Von Bernhard Loyen
Fünf Worte und eine "Ohrwurm"-Melodie können im Jahr 2024 bereits ausreichen, um heranwachsenden jungen Menschen vorerst jegliche Tagträume von nahenden Karrieren bis auf Weiteres zu zerstören. Die mutwillige Zerstörer-Truppe sind dabei die guten, weil aufmerksamen und untergehakt mahnenden Gralshüter der Demokratie. Demgegenüber gemutmaßt alkoholisierte Partygäste, singend im Rausch des privilegierten Daseins. Dadurch die schlechten, die sofort auszugrenzenden "verfassungsschutzrelevanten Delegitimierer des Staates", medial-politisch kurz und griffig "Nazis" oder "Rechte" genannt.
"Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" ist also einer kurzen, verwackelten Videosequenz zu entnehmen, die etwas sehr auffällig schnell ihren digitalen Weg über die sozialen Medien bis in das Großraumbüro von Bundeskanzler Scholz fand. Fürs Protokoll: Die wenigen beteiligten Personen einer größeren Versammlung von Menschen, stürmten oder besetzten dabei keinerlei Gebäude, keine Unterkunft oder attackierten besungene Mitbürger. Es passierte nichts außer der daraufhin folgende Kopfschmerz deluxe und Schwindelattacken, die sich jedoch aus anderen Gründen und Dynamiken für die "bösen Spatzenhirne" (Zitat: Bild) einer "ausgelassenen Partyhorde" (Zitat: Taz) ergaben.
Das Ereignis war provokativ, je nach Blickwinkel auch überflüssig oder schlicht dumm, jedoch bei weitem nicht dazu geeignet, eine mittelschwere Gesellschaftskrise zu entfachen. Wir leben aber in einem Deutschland, wo sich seit dem inkorrekten "Correctiv"-Deportations-Artikel vom 10. Januar jeder Bürger mehr als verdächtig macht, der bei den fünf zitierten Worten nicht sofort "empört", variabel "entsetzt", "sehr traurig" oder auch "sehr, sehr wütend" ist.
Bei Betrachtung der unmittelbaren breiten, sehr "emotionalen", mehrheitlich rein diskreditierenden und wertenden Reaktionen in der Medien- und Politikwelt der Berufsempörten fiel mir spontan eine Schlagzeile der Süddeutschen Zeitung ein. Diese beeindruckte und lautete rund zwei Wochen nach dem "Correctiv-Artikel:
"NS-Unterhaltungsfilme: Wenn Nazis lachen"
Die SZ-Autorin forderte dabei die Leser auf, den "von vielen geliebten" Film-Klassiker "Die Feuerzangenbowle" ab sofort doch bitte etwas kritischer zu betrachten, denn es gebe zum 80. Jubiläum "einige Gründe, die Komödie aus der NS-Zeit kritisch zu sehen". Nun denn ... Zur Causa "Sylt" fiel mir spontan ein Filmzitat aus der "Feuerzangenbowle" ein:
"Bah, wat habt ihr für 'ne fiese Charakter!"
Betrachtet werden sollte der ebenso beeindruckende wie beunruhigende Vorgang, wie junge Menschen im blinden Gehorsam, der Anbiederung an eine vermeintlichen Mehrheitsmeinung, umgehend dem digitalen Schafott zugeführt wurden. Der Tonfall der manipulierenden Anklage gewohnt schrill und unangenehm. Um ein weiteres "Feuerzangenbowle"-Zitat zu nutzen, lautet die adaptierte Frage:
"Wat is 'n Propagandamaschin'?"
Am 24. Mai titelte die Bild-Zeitung: "Nazi-Skandal im feinen Kampen – VIP-Gäste grölen auf Sylt 'Ausländer raus!'" Das Magazin Der Spiegel unterstützt (noch) etwas moderater mit der Überschrift: "Gäste in Sylter Promi-Bar feiern mit ausländerfeindlichen Parolen." Die Leser erfahren (Wortlaut wie im Original):
"Das wenige Sekunden lange Video kursiert seit Donnerstag auf in den sozialen Medien, wurde auf X Hunderte Male retweetet, unter anderem von Jan Böhmermann mit den Worten: 'Wer und wo sind diese Leute?'"
Jan Böhmermann schickt also wieder einmal seine Millionen Follower auf die wahre und einzige "Demokratie-Spur", um gegen von ihm willkürlich auserwählte Opfer aktiv zu werden. Kurze Zeit später meldet sich ein Correctiv-Mitarbeiter auf der Plattform Blue Sky:
Sehr schnell werden dann vollkommen rücksichtlos und anmaßend den unverpixelten Gesichtern des Videos Namen der Beteiligten vom "rassistischen Sylt-Gegröle" (Zitat: Der Spiegel) zugeordnet und in den Mainstreammedien ohne Rücksprache mit den Betroffenen veröffentlicht.
Der säuerliche Moralismus-Sturm nimmt an Fahrt auf und erreicht die Berliner Politik. Noch am 24. Mai möchte die Sprecherin von Bundeskanzler Scholz den Hauptstadtmedien mitteilen, dass "es natürlich vollkommen klar ist, dass der Bundeskanzler jede Art von rassistischer und menschenverachtenden Äußerungen, wie sie eben in dem Video zu sehen sind, grundsätzlich ablehnt." Der ansonsten eher schweigsame und einsilbige Kanzler gibt zu Protokoll:
"Ganz klar: Solche Parolen sind ekelig, sie sind nicht akzeptabel. Und darüber darf es kein Vertun geben. Und deshalb ist es auch richtig, dass all unsere Aktivitäten darauf gerichtet sind, genau zu verhindern, dass das eine Sache ist, die sich verbreitet."
Bundesinnenministerin Nancy – Hamburg, Kalifat, war da was? – Faeser ist auch empört, sehr empört:
"Wer Nazi-Parolen wie 'Deutschland den Deutschen – Ausländer raus' grölt, ist eine Schande für Deutschland. Es stellt sich die Frage, ob wir es hier mit Menschen zu tun haben, die in einer wohlstandsverwahrlosten Parallelgesellschaft leben, die die Werte unseres Grundgesetzes mit Füßen tritt."
Einen Tag später, am 25. Mai, möchte ARD-Faktenfinder Patrick Gensing nebenberuflich bei den prämierten Denunzierungsprofis vom "Volksverpetzer"-Portal einen Gastbeitrag veröffentlicht wissen. Das Thema lautet:
"Sylt: Auch Reiche können Nazis sein – und das scheint noch vielen neu zu sein"
Die Bild-Zeitung jubiliert: "Das sind die Sylt-Schnösel – Drei wurden bereits gefeuert." Der Spiegel präsentiert einen "Professor für Politische Bildung", der praktische "Tipps" gibt: "Was tun, wenn jemand öffentlich rechtsextreme Parolen skandiert?"
Das Social Media-Team der SPD springt ebenfalls umgehend gehorsam, jedoch gewohnt peinlich und unprofessionell, auf den bunten Empörungszug. Schon am 25. Mai muss daher das Focus-Magazin berichten:
"Wirbel um SPD-Post zum Sylt-Skandal – Partei muss sich entschuldigen. Die SPD hat in einem Beitrag in den sozialen Medien auf das Sylt-Video reagiert – und selbst einen Shitstorm ausgelöst. Denn die Partei zitiert dabei selbst die zuvor kritisierte Neonazi-Parole."
Der "Kreativ-Rohrkrepierer" wurde gelöscht. Da dachte sich der SPD-Politiker Torsten Liebig, das kann und mache ich besser, weil die erfolglose Kandidatur im Jahr 2021 immer noch etwas am Selbstbewusstsein nagt:
Ein Zeitungsartikel beschrieb diesen "fiesen Charakter" im Februar 2021 mit der Überschrift:
"Kandidaten-Porträt: Torsten Liebig (SPD) – Den 'Bösewicht' spielt er nur"
Derlei Menschenkenntnisse und dienliche wie anbiedernde Lokalpresse bergen Widersprüche und sind ein schwieriges Terrain. Am Wochenende konnten dann in Berlin unterstützende, schmerzfreie oder dokumentierende Bürger das "Demokratie-Fest" über sich ergehen lassen. Auch hier war die "Sylt-Saga" Thema bei den Interviews. In den öffentlichen Diskussionsrunden zum Thema: "75 Jahre Grundgesetz". SPD-Bundestagspräsidentin Bärbel Bas erklärte den schweigenden Zuschauern, dass nun der große Vorteil sei, dass man durch den Videomitschnitt "bestimmte Personen auch identifizieren" könne. Sie gehe davon aus, dass diese "verfassungsfeindlichen Parolen" bestraft werden.
Bas weiter wörtlich:
"Und vielleicht auch mal mit einer Höchststrafe belegen."
Nun existieren jedoch drei Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2010, welche Frau Bas und dem CDU-Kollegen Armin Laschet vielleicht bekannt sind, etwaig jedoch verdrängt wurden. Die Taz-Zeitung informierte:
"'Ausländer-Raus'-Parolen alleine verletzen nicht die Menschenwürde und sind vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in drei am Freitag bekanntgegebenen Beschlüssen. Werde in den Parolen allerdings Menschen das Lebensrecht abgesprochen oder Ausländern pauschal 'sozial unerträgliche Verhaltensweisen oder Eigenschaften' zugesprochen, könne von einer Menschenwürdeverletzung ausgegangen werden, erklärten die Richter."
"Deutschland den Deutschen, Ausländer raus", fünf pauschale Worte, ohne den Vorgang physischer Gewalt, reichen jedoch im Jahr 2024 aus, um mehrere Biografien junger Menschen im Rahmen einer öffentlichen und digitalen Hetzkampagne mutwillig zu zerstören. Die möglichen psychosozialen Folgen dabei noch vollkommen unbekannt. Eine Vorgang warnenden Charakters?
Der CDU-Politiker Armin Laschet nannte abschließend am 26. Mai bei schönstem Demokratie-Wetter "diese Sylt-Szenerie in jeder Hinsicht daneben und abscheulich". Die umgehende Denunzierung, mit der fatalen Folge mehrerer Berufsverluste, beschrieb der für seine Empathie bekannte Laschet wie folgt für die Geschichtsbücher:
"Ich glaube, die haben jetzt aber ihren Preis bezahlt. In kürzester Zeit waren allen Namen öffentlich, sie haben alle ihren Job verloren."
In der Gesellschaft, so "glaube" er, gelte nun das ungeschriebene Gesetz der willkürlichen Deutungshoheit, dass zukünftig "bei allen diesen Vorfällen gilt". Er wünsche sich, bitte vormerken für die nächste Grillparty oder den geselligen Biergartenbesuch:
"Und da wünsche ich mir, dass man genau so jeden Einzelnen versucht zu bestrafen, der antisemitisch, der rassistisch und der anders ist."
Meine sinnbildliche Frage an den "Spiegel-Professor für Politische Bildung" Klaus-Peter Hufer lautet daher mehr als besorgt: "Was tun, wenn jemand öffentlich totalitäre Parolen skandiert?". Am 27. Mai gibt die Leitung des "Oktoberfest München" bekannt, dass der Hit "L’Amour Toujours" auf der sogenannten "Wiesn" in diesem Jahr nicht gespielt werden darf. Der offizielle Grund lautet, die Melodie würde "immer öfter für rassistische Parolen missbraucht".
Ein befreites Lachen und Dasein könnte vielen Bürgern – so zu befürchten – zeitnah im Hals stecken bleiben.
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