Von Wladislaw Sankin
Am 16. September 1812 erreichte der französische Usurpator und Feldherr Napoléon Bonaparte die westlichen Vororte Moskaus. Er stand auf der Anhöhe Poklonnaja-Berg und sah das Panorama der Stadt mit ihren hunderten goldenen, in der Sonne glitzernden Kuppeln und Türmen an. "Da ist sie also endlich, diese berühmte Stadt!", soll er dabei gesagt haben. Er war zufrieden. Der Nationaldichter Alexander Puschkin, der bei Napoléons Einmarsch selbst erst 13 Jahre alt war, beschrieb im Versroman "Eugen Onegin" die Szene folgendermaßen:
"Hier wartete Napoléon,
Berauscht von letzter Siegeswonne,
Auf Kniefall Moskau wie gewöhnlich
Mit Schlüsseln zu dem alten Kreml".
Es geschah anders. Niemand übergab ihm die Schlüssel zu den Toren der Stadt, die meisten der 300.000 Einwohner verließen Moskau. Brände, Krankheiten, Versorgungsprobleme und die Ungewissheit, wie es weitergeht, machten die als erobert geglaubte historische Hauptstadt für die Invasoren unbewohnbar, und in gut einem Monat traten sie fluchtartig den Rückzug an. Zum Jahresende fand fast die gesamte vielsprachige Armee Napoléons mit 500.000 Mann im Riesenreich ihr jähes Ende.
An der Stelle der ersten Begegnung Napoléons mit Moskau errichteten die Moskauer 24 Jahre später den Triumphbogen, der den Sieg Russlands über die eingefallene Armee der Europäer verewigen sollte. Im folgenden Jahrhundert entstanden hier weitere Denkmäler, die den russischen Kriegern im Ersten und Zweiten Weltkrieg gewidmet wurden. Die Straße, die Napoléon nach Moskau geführt hat, heißt heute zu Ehren seines russischen Visavis auf dem Kampffeld, Michail Kutusow, Kutusowski Prospekt, auf dem Poklonnaja-Berg wurden die architektonische Gedenkanlage "Sieges-Park" und Museen der beiden Vaterländischen Kriege errichtet. Der Ort hier ist sehr weitläufig und strahlt eine besondere historische Atmosphäre aus. Die Entscheidung, die Ausstellung mit Technik-Trophäen aus dem Ukraine-Krieg ausgerechnet im Sieges-Park stattfinden zu lassen, war logisch.
32 Kampffahrzeuge aus zwölf Ländern unter freiem Himmel sowie jede Menge Kleinwaffen in einem speziell dafür eingerichteten Zelt gibt es hier direkt am Kutusowski Prospekt vom 1. bis zum 30. Mai zu bestaunen. Obwohl der regelrechte Besucheransturm der ersten Tage etwas abebbte, war das Interesse auch am Tag meines Besuches zur Monatsmitte groß, die Menschen strömten rauf und runter, scharten sich um besonders interessante Exponate, fotografierten sie und machten selbst Selfies. Sie standen in Schlangen vor dem Kleinwaffen-Pavillon an und schauten Präsentationen auf dem großen Bildschirm im Ausgangsbereich: Männer, Frauen, Pärchen, Kinder und Schüler, Jung und Alt.
Auf dem Bildschirm zerstören russische Drohnen die feindliche Technik. Auch die Helden der russischen Militäroperation werden in persona vorgestellt. Rechts daneben zeigt eine Fotoausstellung die Vorläufer-Schau der Jahre 1943-1947 mit Wehrmacht-Technik im Gorki-Park. Immer wieder taucht auf dem Bildschirm die Information auf: "Die Sponsoren der Ausstellung sind: USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Schweden, Finnland, Österreich, Australien. Generalsponsor: Ukraine". Damit zeigte das russische Verteidigungsministerium, dass es die Kunst des modernen politischen Trollings fast wie kein anderer beherrscht. Ein weiterer "Scherz":
"Achtung! Mitarbeiter der Botschaften der USA, Großbritanniens, Deutschlands, Frankreichs und Polens bekommen Zugang zur Ausstellung der Trophäenfahrzeuge aus NATO-Ländern ohne Wartezeit", ist in Großbuchstaben hin und wieder zu lesen.
Zur Ausstellung gehören auch die echten Soldaten, die Teilnehmer der Kampfhandlungen. Viele von ihnen sind für ihre Erfolge auf dem Kampffeld und heldenhaftes Verhalten bereits ausgezeichnet worden. Sie erklären die Besonderheiten der jeweiligen Technik und erzählen die Geschichte, wie sie in russischen Besitz übergegangen ist.
Viele der Fahrzeuge sind intakt. In der Regel sind es monströs-riesige, mit Feuerwaffen unterschiedlichen Kalibers ausgestattete gepanzerte Mannschaftstransporter in verschiedenen Tarnfarben. Auch eine unbeschädigte US-Haubitze M777 ist dabei. "Warum müssen sie so riesig sein?!", fragte ich mich als Militärlaie. So groß bieten sie nur noch mehr Angriffsfläche für den Gegner. Das ebenfalls hier ausgestellte, von Tschechien übergebene Amphibien-Panzerfahrzeug BMP-1 der alten sowjetischen Bauart ist dagegen flach wie eine Aktentasche. Sicherlich wenig bequem und weniger gepanzert, aber dafür viel wendiger und weniger sichtbar.
Offenbar waren sie für unterschiedliche Kriege konzipiert. Die Riesenfahrzeuge aus dem Westen und der Türkei eher für Wüsten und unterlegene Gegner, deren Waffen dicke Bepanzerung kaum knacken können. Die Ukraine bekam als Kriegshilfe bunt zusammengeschustertes Material, eindrucksvoll aussehend, aber für diesen Krieg weniger tauglich. Erschwerend kommen längere Ausbildungszeiten für immer wieder neue und kompliziertere Waffensysteme sowie die Probleme mit deren Reparatur hinzu. Diese Schwäche des Gegners bekommen nun die Moskauer Gäste der Ausstellung als augenscheinliche Tatsache vorgeführt.
Die zwei Hauptexponate und Selfie-Magnete stehen direkt in der Mitte. Es sind der stark demolierte US-Kampfpanzer Abrams und der fast ebenso schwere deutsche Leopard 2. Rechts vom Leoparden steht eine weitere von Deutschland gelieferte Kriegsbeute, der Schützenpanzer Marder. Noch weiter rechts sein Wehrmacht-Vorgänger, die kleine Selbstfahrlafette Marder 2. Dieses Exponat ist mit dem Hinweis versehen "Geschichte wiederholt sich".
Natürlich waren die deutschen Medien, welche die Leopard-Lieferung an die Ukraine bejubelt hatten, von der Trophäen-Ausstellung wenig begeistert. So versuchten sie, wie Der Spiegel in einem Video, die Ausstellung ins Lächerliche zu ziehen. "Putins Propaganda-Show kommt beim Putin-treuen Publikum gut an", kommentiert das Medium in Heute-Show-Manier. Darüber hinaus wird über die nach unten gebogene Leopard-Kanone gespottet. Also würden sie in Moskau lieber eine stolz erhobene deutsche Kanone sehen ‒ entlarvend!
Diese "Kommentatoren", die sich anschicken, der eigenen Bevölkerung etwas über Russland zu erzählen, klammern aus, an welchem Ort die Ausstellung stattfindet und welche historischen Bezüge sie an diesem Ort, wo Napoléon Moskau zum ersten Mal bestaunte, bei den Russen in Erinnerung ruft. Die Kommentatoren hätten es lieber einer in Deutschland lebenden Ukrainerin gleichtun sollen, die unter dem Video anmerkt: "Man muss Russland nicht bekämpfen, man muss mit Russland befreundet sein, und alle werden zufrieden sein."
Nun sterben die Russen wieder von einem von den Deutschen zumindest mitangezettelten (Aufstellung Klitschkos, Maidan-Putsch, diplomatische Deckung für die Bewaffnung der Ukraine) Krieg. Deutsche Panzer seien gut dafür geeignet, russische Stellungen zu beschießen, und die Ukrainer berichten den Deutschen, dass sie bei der Vernichtung der russischen Soldaten effizient sind.
Wäre die Trophäen-Schau eine "Propaganda-Show" gewesen, wie Der Spiegel berichtet, wäre hier auf dem Poklonnaja-Berg gegen die Gegner, sei es die faschistische Ukraine, Deutschland oder die USA, Hass geschürt worden. Nichts dergleichen findet aber statt. Die Ausstellung bleibt sachlich und konkret. Der einzige Slogan, der als Propaganda-Element angesehen werden könnte, steht gut sichtbar auf einem Plakat:
"Unser Sieg ist unvermeidlich".
Aber diese tiefe innere Überzeugung muss nicht propagiert werden. Die Russen haben sie ‒ sowohl Armeeangehörige als auch Besucher der Ausstellung ‒ einfach aus dem geschichtlichen Kontext heraus. Auch wenn die Ukraine wegen eines Missgeschicks der Geschichte vorübergehend ein anderer Staat ist, wissen die Russen, dass sie, wie schon so oft in der Vergangenheit geschehen, auf eigenem Boden kämpfen, gegen einen Gegner, der zu ihnen mit Waffen kommt. Es findet so herum statt und nicht umgekehrt, wie die westlichen Medien ihr Publikum glauben machen wollen. Deswegen wird und muss sich dieser Slogan bewahrheiten.
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