Von Dagmar Henn
Schon die Geschichte mit dem angeblichen Geld aus Russland und dem vermeintlichen chinesischen Spion waren eigenartig. Und jetzt der enorme Skandal um das Interview von Maximilian Krah mit der italienischen Zeitung La Repubblica. Noch so ein schräges Ding.
Schräg, weil die Reaktion darauf nicht mit dem zusammenpasst, was beispielsweise im September vergangenen Jahres vorgetragen wurde, als in Kanada der ukrainische SS-Mann Hunka im Parlament geehrt wurde, mit stehendem Applaus. Der Parlamentssprecher musste zurücktreten, obwohl der Premierminister ihn eingeladen hatte, und die Springer-Zeitung Politico veröffentlichte einen langen Artikel, der erklären sollte, dass die Waffen-SS nicht so schlimm war.
Nun kommt es bei dem inkriminierten Interview aber aufs Detail an. Zum einen: Die Frage von La Repubblica lautet nicht, ob Mitglieder der Waffen-SS Verbrecher waren. Die juristische Antwort darauf ist eindeutig, weil die SS in Gänze vom Nürnberger Tribunal zur verbrecherischen Organisation erklärt wurde. Das Verbrechen liegt also bereits in der Mitgliedschaft.
Der Interviewer von La Repubblica fragt aber nicht nach der gesellschaftlichen oder juristischen Bewertung, sondern er fragt, ob Deutsche auf ihre Vorfahren stolz sein sollten. Was schon einmal grundsätzlich einen weit längeren Zeitraum umfasst als die Jahre der Nazidiktatur, und wesentlich mehr Generationen. Erst als Krah das bejaht, kommt die Nachfrage, ob das auch gelte, wenn es SS-Offiziere seien. Worauf Krah erwiderte, es käme darauf an, was sie getan hätten.
Nun ist die Art der Fragestellung keine kollektive, sondern eine individuelle, und so beantwortet sie Krah in der Folge auch. Es geht also mitnichten darum, ob die Gesamtheit der Deutschen einen Grund hätte, irgendwie auf eine Gesamtheit von SS-Leuten stolz zu sein, sondern, ob dies den eigenen Nachfahren möglich sei. Und während für die Gesellschaft und die historische Betrachtung durchaus diese Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation zur bestimmenden Eigenschaft werden kann, außer die betreffende Person hätte sich geändert, spielen in der privaten Geschichte, also im Verhältnis der Nachfahren zu ihren Vorfahren, eine ganze Reihe anderer Faktoren eine Rolle. Wie diese Personen sich innerhalb der Familie benahmen, beispielsweise.
Das Ergebnis ist widersprüchlich und vielfach schmerzhaft. Ich hatte in dieser Hinsicht gewissermaßen Glück – die überzeugte Nazisse in meiner Familie war außerdem eine eiskalte Sadistin. Aber es gab sicherlich genug Fälle, in denen der liebevolle Großvater, auf dessen Schoß man saß und der einem Märchen vorgelesen hatte, sich dann als Mörder entpuppte. Oder zumindest zu einer bestimmten Zeit Morde begangen hatte. Und weil die gesellschaftliche Stimmung im Westen so war, wie sie war, sind die Menschen ausgesprochen selten, die diesen Widerspruch noch unmittelbar mit dem Gegenüber klären konnten. Weshalb selbst der Punkt, ob besagter Großvater zur Einsicht gekommen war oder nach wie vor der alten Überzeugung anhing, unbeantwortet blieb.
Der Interviewer der Repubblica fragt nach, aber mit einer unzutreffenden Präzisierung:
"Die SS-Leute waren doch Kriegsverbrecher."
Auf diese Frage ist die Antwort, die Krah gibt, die in Kurzform schlicht "nicht alle" lautet, sogar richtig. Denn sofern man sich nicht auf die Position begibt, dass jeder Soldat auf Seiten des Hitlerfaschismus Beteiligter an einem Kriegsverbrechen war, gibt es hier tatsächlich individuelle Unterschiede. Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation ist genau das, aber kein Kriegsverbrechen. Viele SS-Mitglieder, auch der Waffen-SS, waren an Kriegsverbrechen beteiligt oder haben sie als Offiziere sogar angeordnet. Aber eben nicht alle. Sprich, juristisch ist die Antwort von Krah weitgehend korrekt. Außer eben bei dem Satz "Es gab sicherlich einen hohen Prozentsatz an Kriminellen, aber nicht alle waren kriminell."
Nur, ihn jetzt dafür ans Kreuz zu schlagen, nachdem eben noch der ukrainische SS-Mann Hunka ein ukrainischer Freiheitsheld war und nicht nur in der Ukraine, sondern eben auch in den baltischen Staaten Regierungen an der Macht sind, die die Angehörigen dieser Truppen geradezu verehren, ohne dass sie aus der EU geworfen oder des Verrats an den berühmten "Werten" bezichtigt werden, das ist blanke Heuchelei. Aber das Gedächtnis der deutschen Medien ist kurz genug, dass der Fall Hunka bereits vergessen wurde, oder die Scheuklappen sind so genau ausgerichtet, dass die Gedenkmärsche im Baltikum komplett verdrängt werden können, oder der Gehorsam gegenüber dem Narrativ wirkt so tief, dass – auf jeden Fall erinnert die ganze Reaktion an die berühmte "Jehova"-Szene im Leben des Brian. Im Grunde sollte jedem, der diese SS-begeisterten Politiker aus dem Baltikum und der Ukraine stützt, untersagt werden, zu diesem Thema je wieder den Mund zu öffnen. Oder all jenen, die ein Verbot der sowjetischen Fahnen am 9. Mai für angemessen halten…
Es war die DDR-Tradition, die in dieser Hinsicht sauber war. In der Bundesrepublik ging Kanzler Helmut Kohl mit US-Präsident Ronald Reagan auf einen Soldatenfriedhof in Bitburg, auf dem auch SS-Mitglieder begraben sind. Von einer Einheit, die zuvor eine Gruppe amerikanischer Kriegsgefangener ermordet hatte. Nur so zur Erinnerung.
Aber dass man sich Sätze aus Interviews so zurechtbiegt, dass sie dem gewünschten politischen Zweck dienen, das ist nichts Neues. Da hätte Krah auch dran denken müssen, ehe er das Interview in dieser Form freigab. Für seine Blödheit ist er tatsächlich verantwortlich.
Nur der ganze Zirkus, der rund herum passiert, der ist auf geradezu bizarre Weise widernatürlich. Ja, die Reaktion aus Frankreich ist nicht erstaunlich, wenn dort nur das kurze Zitat angekommen ist – im Gegensatz zu der Vorstellung, die man in Deutschland von ihm hat, war der Vater von Marine Le Pen zwar ein reaktionärer Knochen, aber Mitglied der Résistance (während der spätere sozialistische Präsident Mitterand für die Vichy-Regierung arbeitete). Und in Frankreich verbindet man heute noch etwas mit dem Ortsnamen Oradour. Ein Kriegsverbrechen der Waffen-SS nämlich.
Aber all das andere drum herum, das sich ja schon vor der Veröffentlichung des Interviews entwickelte, von der Distanzierung von Bystron bis hin zum Auftrittsverbot für Krah, das ist mehr als seltsam. Weil es nicht passt.
Der Motor des Erfolges der AfD ist die Wahrnehmung als Gegenstimme zur "demokratischen" Einheitspartei mit Russlandfeldzug, EU-Vergötterung und Klima. Was gleichzeitig bedeutet, in einer Wahlkampfphase liegt es im kollektiven Interesse aller Kandidaten und der Gesamtpartei, eben diesen Eindruck zu verstärken. Die Manöver, die in der AfD in den letzten Tagen stattgefunden haben, gehen eher in die Richtung "Wir sind doch ganz lieb, lasst uns bitte, bitte mitspielen." Was es ja geben kann, aber üblicherweise erst nach der Wahl. Und überhaupt ist der Zeitpunkt, an dem die inneren Auseinandersetzungen in einer auf Parlamentspositionen fixierten Partei am schärfsten sind, vor allem die Phasen vor der Kandidatenaufstellung, und nicht danach.
Selbst wenn es bei der Aufstellung dazu kam, dass eine Fraktion eine andere untergebügelt hat, ist die Auseinandersetzung schon vor dieser Aufstellung sichtbar und bekannt. Das, was über derartige Auseinandersetzungen zur Europawahl zu finden ist, ist Kleinkram und betrifft ganz andere Kandidaten. Mit dieser Form des Konflikts schießt sich die Partei tatsächlich in den eigenen Fuß, denn die Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen endete am 18. März, die Liste ist also nicht mehr veränderbar, gleich, was geschieht. Sprich, jetzt kann sich dieser Konflikt nur noch negativ auf das eigene Wahlergebnis auswirken.
Würden das Leute tun, die das parlamentarische System einigermaßen verstehen, wie man das bei einer Alice Weidel voraussetzen kann? Sie soll immerhin etwas von Finanzen verstehen und wird daher wissen, dass sich ein Verlust an Europamandaten besonders stark auswirkt, weil das Europaparlament zwar kaum etwas zu entscheiden hat, aber sehr gute Diäten zahlt, die Mandatsträgerbeiträge also entsprechend hoch sind. Schwer zu glauben, dass sie eine finanziell so unvernünftige Entscheidung trifft.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Spitze der AfD nachgibt, wenn sie in die Offensive gehen könnte. Das war schon bei Krahs Mitarbeiter der Fall, der vielleicht für China spionierte, mit Sicherheit aber für den Verfassungsschutz – was war das für ein freier Blick auf die Weichteile des Gegners, und es wurde nicht gebissen. Im Gegenteil, diese eigenartige Umfalleritis scheint sich nur weiter zu verstärken. Und weil es so sehr sowohl gegen das sonst übliche Verhalten als auch gegen das eigene Parteiinteresse verstößt, fragt man sich dann schon, wem da welche Pistole an die Schläfe gehalten wird. Das Versprechen, die AfD künftig mitspielen zu lassen, wird es wohl eher nicht gewesen sein.
Aber wenn man hört, wie extrem die Reaktion der EU auf den Entschluss des georgischen Parlaments ist, und an den Anschlag auf Robert Fico denkt, gewinnt man schon den Eindruck, dass derzeit alle Register gezogen werden. Was noch nicht zuordnet, wer diese Register zieht, das können deutsche Behörden ebenso sein wie US-amerikanische, aber an der ganzen Entwicklung ist etwas faul. Oberfaul. Womöglich muss der Stimmanteil der AfD nach unten gezwungen werden, damit EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen noch ein weiteres Mal durchgesetzt werden kann, woran wiederum die extreme US-Hörigkeit in Brüssel hängt… und Maximilian Krah geriet in einem Machtkampf, in dem es um globale Fragen geht, schlicht zwischen die Räder.
Jedenfalls, wenn ich wetten müsste, ich würde auf ein faules Spiel wetten, und zwar auf eines der Kategorie Erpressung und nicht der Kategorie Bestechung. Was damit zusammenpasst, dass auch jene Teile der deutschen Industrie, die zwischendrin mal kurz protestierten, jetzt den Schwanz einzuziehen scheinen und einfach verschwinden. VW verlegt seine Forschungsabteilung nach China (jahrzehntelang war Deutschland der Forschungsstandort für Kfz-Entwicklung), BASF verlagert auch, und Thyssen-Krupp verscheuert seine Stahlbranche. Das sieht nach universeller Kapitulation vor dem US-amerikanischen Abwrackvorhaben aus. Und wer glaubt, dass nicht auch da die eine oder andere böse Drohung über den Tisch gewandert ist, lebt ohnehin in Disneyland.
"Natürlich" ist diese Entwicklung jedenfalls nicht. Sollte aber die Vermutung zutreffen, dass hier Erpressungen in größerem Maßstab genutzt werden, um die deutschen Wähler selbst um die Möglichkeit einer Protestwahl zu bringen, wenn dieser nur gefühlte Zusammenhang mit den Entscheidungen der Industrie zutrifft, dann hätte sich die US-amerikanische Kriegsführung gegen Deutschland, die spätestens mit der Sprengung von Nord Stream begann, jetzt ins Landesinnere ausgebreitet. Und immer noch wird so getan, als wären das Verbündete.
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