Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer
Auch im Leben des Balkonisten gibt es solche Tage, an denen sich verdrießliche Stimmung in den Verstand frisst, so wie die unaufhaltsamen Regenwolken den ehemals blauen Himmel aufzufressen scheinen. Überhaupt: Wie kommt heuer ein ungewöhnlich kühler und regnerischer Wonnemonat Mai daher, trotz der allerorten im Weltverbesserungsfunk verkündeten Klimaüberhitzung, die beinahe wie ein "Heiliger Geist der Klimaapologeten" nun kurz nach Pfingsten über die Radiohörer ausgegossen wird?
Nur durch eine solche Stimmungslage, welche übrigens auch Kater Murr III mit unnachahmlich miesepetriger Miene zu teilen scheint, sind überhaupt die nachfolgenden, nicht nur extravaganten, sondern dem Leser womöglich absurd vorkommenden Gedankengänge erklärbar. So wie anscheinend das reale Wetter zu der endlos repetierten mainstream-wissenschaftlichen Theorie eines menschengemachten Klimawandels kontrastiert, so ist es dem Balkonisten kaum möglich, die divergierende Rechtsauslegung in zwei von ihm zufällig und willkürlich erdachten Fallkonstellationen aufzulösen.
Gar dachte er daran, die Frage nach dem zu findenden Unterschied einer auflagenstarken Zeitung vorzuschlagen. In der ersten fiktiven Angelegenheit schwadronierten einige Handvoll, überwiegend im Rentenalter befindliche Zeitgenossen in beinahe Stammtisch-Manier und mit reaktionären Burschenschaftlerträumen (aus ihrer womöglich irregeleiteten Jugend?) über einen Putschversuch in Regenbogenbunt*Land.
Wobei sie ihre eigene Berechtigung aus sehr bizarren und verworrenen (um nicht zu sagen: pathologisch anmutenden) Gedankengängen ableiteten. Trotz der augenfälligen Absurdität dieser Ableitung vermisst man das ansonsten ja ubiquitär in Justizdingen beauftragte psychologische Gutachten – nun egal, das tut ja nichts zur Sache! Aufgrund der Schwere des Vorwurfes wird nun zur juristischen Aufarbeitung die Strafverhandlung, aufgeteilt an drei verschiedenen Orten, unter Hochsicherheitsbedingungen abgehalten. Zugegeben: solch eine Story würde vermutlich auch dem Leser der besagten renommierten Tageszeitung (zumindest bis vor wenigen Jahren) ein wenig zu hanebüchen anmuten.
Die zweite, noch unwahrscheinlicher anmutende Fallkonstellation handelt von hochdekorierten "ganz fabelhaften Jungs" und ihren eigentlich brandgefährlichen Sandkasten-Planspielen, welche sie ein wenig zu unvorsichtig und lautstark besprachen. Daher waren diese selbst aus der entfernteren Nachbarschaft (ab)hörbar. Zudem waren jene Planspiele durchaus in augenscheinlichem Widerspruch zu der offiziell verkündeten Verteidigungsstrategie; und gar auch im Gegensatz zu ungewöhnlich eindeutigen Aussagen des neuen "Geschäftsführers" (mit Spitznamen "Leberwurst-Ole" oder auch "Spaßbremse") gerichtet.
Unterstützt fühlten sie sich allerdings vom tollen Kumpel "Berti Pistoletti", der würde es schon richten. Bekanntlich war der Plan, der nachfolgend medial heftig aufgewirbelt wurde, eine Horde wild gewordener Stiere im rasanten Tiefflug ostwärts zu treiben, um dann an einem bedeutenden infrastrukturellen Bauwerk fern der Heimat ein großes Feuerwerk zu veranstalten. Offenbar konnten sie sich nicht im Geringsten vorstellen, dass der Eigentümer dieses großen Bauwerkes gar nicht so entzückt über die geplante Bescherung sein könnte und auch die autochthonen Bewohner jener Insel keine Fremdbeglückung wünschen würden.
In ihrer eher postpubertär anmutenden verbalen Kraftprotzerei wurde überhaupt nur rudimentär über eventuelle diplomatische oder gar militärische Verstrickungen nachgedacht (nun ja: Das ist wahrscheinlich nicht die primäre Aufgabe solcher soldatischen Sandkastenspiele). Hauptidee war stattdessen, das Ganze ein wenig zu vernebeln, damit der Adressat gar nicht erst auf die Idee käme, woher in aller Welt diese (nur in Regenbogenbunt*Land gezüchteten) Kampfstiere denn kämen.
Zugegeben, die zugrunde liegenden Erzählungen sind recht unterschiedlich. Doch in der banalen Rechtsauffassung von Gretchen Kümmerlich und Heribert Hausverstand würden sie wohl gleichsam eine akkurate und stringente Ermittlung sowie gerichtliche Aufarbeitungen nach sich ziehen. So weit, so gut.
Während aber im ersten Fall antidemokratischer Burschenschaftlerfantastereien tatsächlich eine umgehende Anklage und imposante Gerichtsprozesse unter Hochsicherheitsbedingungen eingeleitet wurden (die man seit der blutrünstigen Zeit der RAF-Terroristen nicht mehr gesehen hatte), zeitigte der zweite Fall von durchgesickerter postpubertärer Großmeierei im Sandkasten bislang keine sichtbaren Konsequenzen. Einer kleinen, kaum publizierten Randnotiz konnte man zwischenzeitlich entnehmen, dass das diesbezügliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei, da kein ermittlungsberechtigender Anfangsverdacht gegeben wäre.
Also war hier der anfänglich sogar den Mainstream erfassende Wirbel völlig überzogen und quasi völlig aufgebauscht um nichts? Zumindest unser Balkonist vermag sich die deutlich unterschiedlichen Reaktionen eines Rechtsstaates in diesen zwei fiktiven Fällen nicht zu erklären. Gibt es hier weitere, bislang geheim gehaltene Mosaiksteine, welche die unterschiedliche Vorgehensweise plausibel machen?
War womöglich der Stammtisch der irr und alt gewordenen Burschenschaftler nicht eindeutig genug als ein Hort der Prahlerei gekennzeichnet worden, oder gab es doch ein bisher nicht bekanntes Netzwerk der eigentlich erforderlichen zigtausend hochrangigen und bewaffneten Putschisten? Andererseits: Hatten die "ganz fabelhaften Jungs" im Sandkasten in Wirklichkeit womöglich gar keinen Schlüssel zum Gatter der Stierhorde? Fragen über Fragen oder fehlt hier der berühmte "Missing Link"? Vielleicht sollte man tatsächlich eine Diskussion durch die "Schwarmintelligenz" nutzen und eine Umfrage starten, dachte unser Balkonist abschließend.
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