Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer
Unser Balkonist musste unlängst wieder einmal einsehen, dass sogar domestizierte Kater einen gewissen Freiheitsdrang verspüren und bisweilen neuartige und unerwartete Eigenarten entwickeln. Dergestalt entfleuchte der sonst so anschmiegsame und schmeichelhafte Kater Murr III. plötzlich aus der Wohnung, um einen zeitlich wie räumlich ausgedehnten Spaziergang im zehnstöckigen Treppenhaus einschließlich Inspektion der Kellerräume zu unternehmen.
Michael fühlte sich gegenüber seiner Ehefrau zu dem erklärenden Kommentar bemüßigt, dass nun der "Herr Generalmajor" für den Bündnisfall neue Gebiete erschließe und sogar Feindesland observiere (womit er konkret das Territorium vor den Wohnungstüren zweier Katzen und mehrerer kleiner Haushunde in den unteren Etagen meinte). Ob der schon dreistündigen Abwesenheit ihrer Hauskatze besorgt, sammelte Gertrude dann den Kater irgendwo im Keller ein, wo er offenbar an einigen Stellen diskrete kleine "Duftmarken" hinterlassen hatte, um so das fremde Terrain schon einmal abzustecken.
Unser Balkonist wiederum war nicht um einen seiner bisweilen eigenartigen Kommentare verlegen:
"Nun ja, das ist dann wie im großen Manöver, wo es gewisse Kollateralschäden auch ohne Feindberührung gibt.
Man denke nur an die sogenannte Drohnenpanne der Fregatte 'Hessen' im Roten Meer."
Um seiner Frau, welche sich immer noch über Murrs Verhalten echauffierte, etwas mehr auf die Sprünge zu helfen, argumentierte unser Balkonist wieder mit einem seiner Analogieschlüsse aus der täglichen (medialen) Erfahrung: Ist es denn so gänzlich anders mit unserer Verteidigungsarmee?
Wo diese – natürlich stets friedenswahrend und moralisch einwandfrei – in Landes- oder Bündnisverteidigung hilfreich und unterstützend im Einsatz ist: von NATO- und UN-Missionen bis hin zu sogenannten "Unterstützungsmissionen", wenn die Gemengelage sich nicht mehr ganz so populär als Verteidigungsmission titulieren lässt. Aber dies wurde in der Vergangenheit einige Male juristisch wertgeprüft und für einwandfrei befunden: stets mit dem erwartet günstigen Ausgang, dass alles grundgesetzkonform abgelaufen sei.
Bis dahin, dass Deutschland einst gar am Hindukusch verteidigt werden musste, auch in Somalia und unlängst (weniger ruhmreich) in Mali! Wovon mancher Bundesbürger, vielleicht ähnlich bewandert wie eine viel reisende 360-Grad-Wenderin, durchaus weiß, dass Mali insbesondere "völkerrechtlich" irgendwo in Afrika liegen muss. Zum Jahresende 2023 allerdings war von der Sicherung des dortigen abrupten Abzuges (sehr böswillige Zungen haben eher von "Evakuierung" geredet) durch eine Gebirgsjägereinheit deutlich weniger zu hören.
Auch interessant: Diese Gebirgsjägereinheit war dort übrigens im Flachland der Region um den Stützpunkt Gao aktiv. Und, ähnlich wie bei Murrs Duftmarken, werden durch diese Einsätze bisweilen viele positive Veränderungen in den Krisenregionen bewirkt, immer natürlich zum Besten von Freiheit, Demokratie und zum Nutzen der Bevölkerung. Nur dass diese Maßnahmen manchmal eine eher geringe Nachhaltigkeit aufzuweisen scheinen: So wie eben auch des Katers Duftmarken nach einiger Zeit verschwunden sind.
Dies darf aber keinesfalls zu der bösartigen Annahme verleiten, dass die ganze hehre Angelegenheit hierdurch wertmoralisch oder völkerrechtlich abgewertet würde – auch beispielsweise nicht dadurch, dass man sich anfangs wenig bis gar nicht auf spezifische Besonderheiten der fremden Länder eingestellt hatte: Schließlich sollten dort doch alle froh sein, von solch demokratisch abgesandten "Schutztruppen" umsorgt zu werden!
Zur Sicherheit werden wir in der politmedialen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts aufgeklärt – so wie ehedem im letzten Jahrhundert und jenseits der Mauer durch die sagenumwobene Aktuelle Kamera –, dass zweifelsfrei in den meisten Fällen sich ein eigener fortwirkender Effekt dieser "friedensbringenden Einsätze" perpetuiere (im Falle von Mali, geschuldet den völlig unerwarteten und undemokratischen politischen Ereignissen, müsse man dies womöglich noch etwas genauer nachbeobachten...).
Neuerdings ist selbst die Marine in derartige "Ausflüge" einbezogen, so eine leider nur mit limitierter Munition bestückte Fregatte "Hessen", welche die Freiheit des westlichen Handels sogar in nahöstlichen Gewässern sichern sollte. Wieder so ein hehres und unwiderlegbar positives Ziel – zumindest wenn man in exakter 360-Grad-Wendung, jedoch historisch etwas kurz greifend, die Ausgangssituation analysiert. Die Frage nach komplexen Ursachenverknüpfungen, welche erst zu jener Gefährdung der Schifffahrtswege geführt hatten, wäre doch gar zu komplex, zu aufwendig und ist überhaupt vernachlässigbar. Über die sogenannte Drohnenpanne und den doch erstaunlich kurzen Einsatz der Fregatte "Hessen" wollen wir jetzt auch nicht weiter sinnieren!
Und nun soll, nach den Aussagen einer bisweilen exaltiert agierenden Außenministerin, welche vom Völkerrecht kommt, eben dasselbe sogar im Indopazifik gesichert werde – also China diesbezüglich eine verdeutlichende Lehrstunde durch die Bundesmarine erteilt werden. Oder in den wohlgeformten Worthülsen eines Herrn "Pistoletti" gesprochen: Es gelte vielmehr Präsenz zu zeigen, um die regelbasierte internationale Ordnung zu stützen. (Anmerkung des Balkonisten: Wer auch immer die Regeln hierzu uni- oder allenfalls bilateral, sicherlich nicht multilateral, aufgestellt hat).
Denn "Wegschauen ist keine Alternative". Aber wohin genau schauen wir denn so? Gemeint mit "wir" ist das stolze Kriegs-, Pardon: Verteidigungsschiff der Bundesmarine namens "Baden-Württemberg". Auch hierüber werden wir wiederum von der hervorragenden Vertreterin einer "feministischen Außenpolitik" aufgeklärt, die sich durchaus vorstellen könne, dass die Fregatte der Bundesmarine im Rahmen einer (der Balkonist ergänzt: stets friedensreichen) Mission auch die Straße von Taiwan durchquere.
Man fragt sich, ob nachfolgende diplomatische Verstimmungen seitens China bewusst in Kauf genommen werden, jemand beim medialen Dahinplappern wieder nicht tiefgreifend nachgedacht oder gar im Auftrag einer anderen Macht gesprochen hat. Jedoch wird diese bösartige Vermutung bereits durch die nachgehende Rechtfertigung entkräftet, dass das "Recht der friedlichen Durchfahrt" auch für diese Meerenge gelte, so die selbsterklärte Expertin für Völkerrecht. Gerade so, als ob man über eine kleine harmlose Schaluppe der Handelsmarine spräche, die in chinesischen Gewässern mal eben vorbeisegelt.
Man fühlt sich leider allzu sehr an deutsches Kraftmeiertum nachgerade 110 Jahre später erinnert, wenn ein Herr "Pistoletti" erklärt, Deutschland sei bereit, die Führung zu übernehmen. Etwas später in der Rede wird "mit grimmiger Hingabe" auch weiter munitioniert: "Das gilt weltweit", sogar explizit gelte dies "Vom hohen Norden bis zum Balkan, von der Ostsee bis zum Mittelmeer." Und abschließend zurück zur Schaluppe vor Chinas Küsten: Gab es da nicht noch etwas in China bis 1914? Ach ja, mag der geneigte und historisch versierte Leser ergänzen: Da gab es etwas, nämlich die deutsche Kolonie in der Region Kiautschou, die ab 1897 von China "unter gelindem Druck" an das Deutsche Kaiserreich zwangsverpachtet worden war ...
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