Von Susan Bonath
Im Westen tobt der Propagandakrieg. Mächtige Lobbygruppen verzerren die Wirklichkeit, kreieren und verbreiten Vorurteile und Medien stapeln immer neue Geschichten darauf. Eine besagt etwa, der russische Präsident Wladimir Putin wolle sich erst die Ukraine unter den Nagel reißen, dann Polen und schließlich ganz Europa überfallen.
Mit dieser in Dauerschleife gefütterten Wahnvorstellung ringt der NATO-Blog um Kriegsbegeisterung im Volk.
Der Kern jeder Propaganda ist die einfache Freund-Feind-Erzählung: Glamouröse Helden führen ihren gerechten Kampf gegen ultimative Bösewichte. Einer dieser Helden ist der imperialistische Staat Israel. Jedes abscheuliche Kriegsverbrechen des NATO-Außenpostens im Nahen Osten an seinen Unterdrückten, dem palästinensischen Volk, geht als angeblich "gerechter Kampf" durch. Kann der Westen dem Todfeind "Hamas", gern gleich synonym für alle Palästinenser benutzt, gerade keine Untaten nachweisen, erfindet er eben selbst welche.
Geklaute Hilfsgüter?
Propaganda braucht weder Logik noch Beweise. Es reichen die erwünschten Emotionen. Dazu gehört etwa die Story, wonach die Hamas Zivilisten sämtlich als "menschliche Schutzschilde" halte. Dass auch solche nicht getötet werden dürften, vor allem aber der Umstand, dass auf abgeriegelten 360 Quadratkilometern mit 2,3 Millionen Menschen eine räumliche Trennung von Kombattanten und Zivilisten unmöglich ist, ja als absurd erscheint, ist Nebensache.
Die neueste Geschichte knüpft an Israels stets wiederholte Behauptung an, die sich selbst als islamische Befreiungsorganisation sehende Hamas würde der eigenen Bevölkerung die Hilfsgüter klauen. Beweise gab es bisher dafür nicht. Doch nun, so ging es durch die deutsche Presse, sei es ein für alle Mal bestätigt. Das Motto: Haben wir doch immer gewusst! Vorurteil bestätigt, Haken dran.
Erst umgeleitet, dann zurückgegeben
So blies am Morgen des 3. Mai die mächtige Nachrichtenagentur dpa eine bloße Behauptung des Sprechers des US-Außenministeriums Matthew Miller zu einem Skandal auf. Deutsche Leitmedien, etwa Die Zeit über Tagesschau und Deutschlandfunk bis hin zur Springerpresse, warteten prompt mit der Schlagzeile auf "Hamas soll Hilfsgüter abgefangen haben". Der Sender n-tv machte daraus gleich "Hilfsgüterdiebstahl".
Mit dem Konjunktiv auf der sicheren Seite, wohlwissend um dessen Irrelevanz für die beabsichtigte Emotionen schürende Botschaft, geht die dpa-Meldung erst weiter unten im Text ins Detail. Wer bis dahin liest, erfährt dann plötzlich: Hamas habe die Hilfsgüter gar nicht gestohlen, sondern den Transport nur umgeleitet, aber wieder an die zuständige NGO übergeben.
Ja, was denn nun? Doch nicht geklaut, nur umgeleitet und wieder zurückgegeben? Wurde vielleicht die Strecke bombardiert oder beschossen? Hielten gar (sehr unplausibel) die NGO-Mitarbeiter die Hamas vom Stehlen ab? Man erfährt es nicht. Im Raum stehen bleiben nur die Behauptungen des US-Sprechers. Und der betonte: Auch das Umleiten und Zurückgeben sei "inakzeptabel".
Siedler-Angriffe und ein Missverständnis
Wenig später kommt doch noch Licht ins Dunkel: Die US-amerikanische Nachrichtenagentur AP meldete unter Berufung auf die Vereinten Nationen (UN) und Zeugen vor Ort: Tatsächlich sei besagter Hilfskonvoi mit Lebensmitteln aus Jordanien im von Israel besetzten Westjordanland von "israelischen Zivilisten", also bewaffneten Siedlern, angegriffen, teils geplündert und beschädigt worden.
Dann sei der im Gazastreifen angekommene Rest der Lieferung irrtümlich von "bewaffneten Sicherheitskräften" zur falschen UN-Einrichtung geleitet worden. Dies habe laut UN auf einer "Fehlkommunikation mit den Hamas-Behörden" beruht. Das "Missverständnis" sei inzwischen geklärt, der Transport habe den richtigen Stützpunkt erreicht. Das klingt ganz anders als die dpa-Meldung.
Mehr Propaganda statt Aufklärung
Nachdem die AP-Meldung durch die englischsprachige Presse gegangen war, rafften sich nur noch wenige deutsche Medien dazu auf, die Klarstellung mit Verspätung aufzugreifen. Versteckt im Liveticker meldete Die Zeit, wie einige weitere deutsche Medien, allerdings noch immer nur die Hälfte: Ein Transport sei von israelischen "Zivilisten" im Westjordanland angegriffen worden.
Anstatt also die vorherige Lüge aufzuklären, suggerierten die deutschen Medien, es handele sich um einen anderen Transport. Doch das stimmt nicht. Das ebenso aufgeklärte Missverständnis im Gazastreifen blendeten sie vollkommen aus. Die Lüge von angeblich durch die Hamas geraubten Hilfsgütern ist weiterhin zu lesen. Aufklärung: Fehlanzeige.
Gezüchtete Vorurteile
Kurzum: Die USA erfinden zu einem echten Vorfall eine falsche Geschichte, die der bekannten westlichen Propaganda entspricht und Israels Hasbara unterstützt. Die Nachrichtenagenturen übernehmen sie, deutsche Medien verbreiten sie weiter mit einer irreführenden Schlagzeile in der Überschrift. Fliegt die Lüge auf, verschweigt man dies oder bastelt wiederum eine falsche Geschichte daraus.
Das Wichtigste an Propaganda ist, die Desinformation erst einmal zu streuen. Selbst nachträgliches Richtigstellen spielt bekanntlich kaum noch eine Rolle für die bereits erzeugte öffentliche Meinung. Wie heißt es so schön: Einmal im Kopf, immer im Kopf. Besonders effektiv gelingt das, wenn vorab genügend Vorurteile, also falsche Grundannahmen, in der Bevölkerung gezüchtet wurden.
Fundament aus Desinformation
So läuft es bei vielen Themen, zum Beispiel Russland/Ukraine, Bürgergeld, Asylbewerber, DDR, Muslime und so weiter. Die 1990 von der mächtigen PR-Agentur Hill & Knowlton erfundene und medial breit gestreute Brutkastenlüge, um den ersten Irakkrieg 1990 einzuläuten, lässt grüßen. Apropos Brutkastenlüge: Obwohl die Lüge bereits vor mehr als 30 Jahren aufgeflogen ist, wird in der englischsprachigen Wikipedia-Darstellung die genannte PR-Agentur noch immer nur mit ihrer Leugnung der Propagandalüge zitiert und sind bis heute im Internet Artikel abrufbar, die diese von A bis Z erfundene Geschichte für wahr erklären, zum Beispiel bei der taz.
Der neoliberale Propagandakrieg ist allgegenwärtig. Die Desinformation beschränkt sich nicht auf einzelne große Lügen, sondern bildet ein Fundament für eine medial auch im Detail konstruierte Scheinrealität, die mit der Wirklichkeit oft wenig zu tun hat. Gegen derlei konzertierte Stimmungsmache, breit gestreut durch Nachrichtenagenturen und große Medienhäuser, kommt der Normalbürger kaum an.
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