Von Igor Perminow
Seit zwei Monaten jubelt die bulgarische Presse über den gleichzeitig mit Rumnänien vollzogenen Beitritt des Landes zum Schengen-Raum. Die EU-Kommission verkündete in ihrem Bericht enthusiastisch:
"Bulgariens historische erste Schritte im Schengen-Raum sind einer der größten Erfolge dieses Jahres!"
Die lokalen Medien griffen diesen Slogan auf und verbreiteten ihn auf jede erdenkliche Art und Weise.
Tatsächlich haben Bulgaren und Rumänen nur begrenzten Schengen-Zugang erhalten, nämlich exklusiv auf dem Luft- und Wasserweg. Die Landgrenzen werden dagegen weiter kontrolliert. Man sollte sich fragen, warum eine solche Teilentscheidung getroffen wurde. Und vor allem, was bringt es den Bulgaren selbst, in dieser Zone zu sein? Warum befürworten die Brüsseler EU-Leitung und die derzeitigen bulgarischen Machthaber dies so sehr? Und was besonders wichtig ist: Steht die unerwartete Beschleunigung dieser Integrationsprozesse in einem gewissen Zusammenhang mit der Verschärfung der politischen Lage in der Welt, mit der globalen Konfrontation zwischen Russland und der NATO?
Einige europäische Länder, insbesondere Österreich, wehrten sich lange gegen die Aufnahme von "Balkan-Neuankömmlingen" in den Schengen-Raum. Ihre Befürchtungen, dass der Strom illegaler Migranten nach Westeuropa zunehmen könnte, sind nicht unbegründet. Und selbst jetzt, trotz des starken Drucks aus Brüssel, bleibt Österreich sehr skeptisch, was die Öffnung der Schengen-Grenzen für Bulgaren und Rumänen betrifft.
Doch für die EU-Führung ist dieser Schritt von grundlegender Bedeutung. Die meisten von westlichen Agenturen durchgeführten soziologischen Studien bestätigen die unbestreitbare Tatsache, dass "mindestens ein Drittel, wenn nicht sogar die Hälfte der Bulgaren tief verwurzelte prorussische Gefühle hegen" und zu "Euroskepsis" neigen. Angesichts der aktuellen Situation, in der sich die NATO faktisch im Krieg mit der Russischen Föderation befindet (vorwiegend mit Händen ukrainischer Soldaten und ausländischer Söldner), können EU-Ideologen diese Situation nicht akzeptieren.
Was die "prorussische Stimmung" in Bulgarien betrifft, so sollte man sich nicht nur auf die Ergebnisse der beauftragten Meinungsumfragen und Analysen stützen. Hier ein Zitat aus einem vor kurzem geführten Interview mit Kostadin Kostadinow, dem Vorsitzenden der Partei "Wasraschdane" [Wiedergeburt]. Diese Partei belegte bei den letzten Parlamentswahlen den dritten Platz und genießt die Unterstützung eines großen Teils der Bevölkerung.
"Es gibt keinen durchschnittlichen Menschen in Bulgarien, der Russland als eine Bedrohung wahrnimmt. Bulgarien braucht keinen Platz in einem Bündnis, das unsere nationale Sicherheit bedroht. Dieses Bündnis ist ungerecht. Das bulgarische Volk sollte sich die Frage bezüglich der NATO stellen. Denn die größte Bedrohung für uns ist, dass wir in den Krieg eines anderen Landes hineingezogen werden könnten, auch wenn wir das nicht wollen."
Hier ein weiteres aktuelles Beispiel. Die Demontage des Denkmals der Sowjetarmee in Sofia wurde durch eine Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts ausgesetzt, nachdem die bulgarischen Sozialisten (BSP), die Bewegung "Wasraschdane" [Wiedergeburt] und andere linke Parteien geklagt und Petitionen eingereicht hatten. Trotz des Urteils ordnete die Gouverneurin der Hauptstadt, Wjara Todewa, an, die Zerstörung der Überreste des Gedenkkomplexes fortzusetzen! Nur, jetzt muss sie um ihr eigenes Leben fürchten. Sie sagte wörtlich:
"Ich laufe immer noch mit Wachpersonal herum. Es gab viele Drohungen, der Fall wird vom Innenministerium untersucht. Ich fühle mich im Moment nicht ganz in Sicherheit."
Nach meinen eigenen Beobachtungen – ich lebe in Bulgarien – ist es neben Serbien das Land mit der zweithöchsten Zahl von Russland-Befürwortern. Andererseits werden von Machtstrukturen, die zu einigen euro-atlantischen Parteien gehören, regelmäßig aggressive Äußerungen gegen die Russische Föderation getätigt. Dazu gehören die fortgesetzte Lieferung von Waffen an das Kiewer Regime, die Verbreitung von fiktiven "Spionage"-Skandalen in der Presse und andere russophobe Narrative.
Eine Erklärung für diese paradoxe Situation, in der sich das Volk und seine Machthaber zu völlig unterschiedlichen Ansichten bekennen, gab mein guter Freund, ein namhafter Experte und Analytiker, der ehemalige Diplomat und bulgarische Geheimdienstoffizier Bojan Tschukow. Er sagt:
"Die Macht in Bulgarien wurde nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers von Leuten ergriffen, die sozusagen einen Clan, eine geschlossene Gemeinschaft bilden. Für einen Außenstehenden ist es praktisch unmöglich, in ihre Reihen zu gelangen. Die meisten der heutigen Machthaber sind zudem Kinder und Enkel ehemaliger Offiziere der Parteinomenklatur aus der sozialistischen Zeit. Ihre Ideologie basiert auf einem einzigen Prinzip: Machterhalt um jeden Preis. Grundsätzlich wurde die bulgarische Expertengemeinschaft vom politischen Leben im Lande ausgeschlossen. Bulgarien ist ein Land ohne nationale Souveränität und kann sein Schicksal nicht selbst bestimmen."
Die Brüsseler EU-Leitung versucht mit recht primitiven Methoden, die Bulgaren mit "Schengen-Paradiesen" und finanziellen Zuwendungen zu locken, um sie auf ihre Seite zu ziehen und die Balkanländer enger an ihre kriegerische Außenpolitik zu binden.
Die lokalen pro-europäischen politischen "Eliten" setzen sich keine globalen strategischen Ziele. Sie stellen den – wenn auch begrenzten – Beitritt Bulgariens zum Schengen-Raum als ihre grandiose Errungenschaft und als "Fahne" dar, die sie bei den bevorstehenden außerordentlichen Parlamentswahlen Anfang Juni schwenken werden. Dabei vergessen sie ihre eigenen Interessen nicht.
Der Schengen-Raum ist für die heutigen bulgarischen Machthaber, wie Gleb Scheglow, der Detektiv aus einem sowjetischen Kult-Kriminalfilm, sagen würde, "Ein Eldorado! Ein Paradies!" Das Fehlen von Binnengrenzen wird es ihnen ermöglichen, einen umfangreichen Schmuggelstrom in die Nachbarstaaten zu organisieren. Dies beweist der neueste Skandal im Zusammenhang mit den aufgedeckten Schmuggelfällen und dem Faktum eines breiten Korruptionsnetzes im Innenministerium, beim Zoll und in der Justiz.
Die Chefin des bulgarischen Zolls, Petja Bankowa, wurde verhaftet. Den Ermittlungen zufolge war sie Mitglied einer organisierten kriminellen Gruppe, der auch der ehemalige Chefsekretär des Innenministeriums, Schiwko Kozew, angehörte. Im Verhörraum befanden sich: Innenminister Kalin Stojanow, der Direktor des Innensicherheitsdienstes Lubomir Nikolow und der Leiter der Grenzpolizei Anton Zlatanow. Solch ein Team also.
Neben einer großen Menge Schmuggelware wurden 170 kg Kokain beschlagnahmt. Nach Angaben der bulgarischen Presse "gab es Informationen, dass die Einnahmen aus dem Drogenverkauf für die Bestechung von Wählern bei den bevorstehenden Wahlen verwendet werden sollten."
Diese schmutzige Geschichte wäre nie ans Licht gekommen, wenn ihr nicht ein großer politischer Skandal vorausgegangen wäre, der durch den Zusammenbruch der parlamentarischen Koalition zweier regierungsfreundlicher Parteien verursacht wurde. Die pro-europäische Partei "GERB", die wiederholt in zahlreiche Korruptionsskandale verwickelt war, reagierte verärgert auf die pro-amerikanische Partei "Wir setzen den Wandel fort" und zerstörte das gegnerische Schmuggelgeschäft. Ein Dieb stahl dem anderen Dieb den Hut, sozusagen.
Wenn man sich vorstellt, wie viel Schmuggelware über die bulgarische Grenze nach Europa fließen würde, wenn auch die Landübergänge geöffnet würden, ist das erschreckend. Aber diese "Kleinigkeiten" scheinen die EU-Funktionäre nicht zu interessieren.
Und was denken die Menschen? Wie beurteilen die Bulgaren selbst, die nicht der politischen Elite angehören, den Beitritt des Landes zum Schengen-Raum? In meinem Freundeskreis gibt es eine Legende. Es heißt, dass ein einheimischer "Tschorbadschija" (ein reicher und einflussreicher Mann, aus dem Türkischen genau übersetzt: "Suppenspender") am ersten Tag des "begrenzten Schengens" mit seiner Jacht nach Italien segelte. Zum Abendessen... Begleitet wird diese Geschichte von einem nicht sehr freundlichen Lachen. Meine Freunde haben, wie die meisten Bulgaren, keine eigene Jacht. Der Durchschnittsbulgare sieht keinerlei Vorteile durch den Beitritt zum Schengen-Raum.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 2. Mai 2024 in der Zeitung Wsgljad erschienen.
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