Nahost: Der unendliche Kreislauf aus Rache und Vergeltung muss durchbrochen werden

Die altertümliche Logik der gegenseitigen Rache und Vergeltung wird immer wieder und immer weiter ihre blutige Ernte einfahren. Lässt sich der blutige Kreislauf in Nahost durchbrechen?

Von Oleg Jassinski

Vor ein paar Tagen unterhielt ich mich mit einem Journalistenkollegen, der bis vor Kurzem noch aus dem Südlibanon berichtet hatte. Ein israelischer Raketenangriff hat seine Kollegen von der libanesischen Filmcrew, mit denen er an diesem Tag noch gefrühstückt hatte, getötet. Ich spürte, dass er immer noch unter Schock stand, obwohl er als Kriegsberichterstatter schon viele Kriege miterlebt und dabei ehrliche und heldenhafte Arbeit geleistet hatte, die allein von ideologischen Überzeugungen getragen wurde.

Als er über diese Tragödie und die Verbrechen in Gaza sprach, war er überzeugt, dass "das Ergebnis davon die endgültige Diskreditierung Israels in der Welt sein wird" und die Hamas in dieser Hinsicht "ihr Ziel erreicht hat". Auf Kosten von Zehntausenden Opfern sei "das wahre Gesicht des zionistischen Regimes gezeigt worden", sagte er mir.

Leider handelt es sich hierbei nicht um eine Einzelmeinung. Millionen Menschen in der Welt, die über die abscheulichen Kriegsverbrechen Israels aufrichtig empört sind, sind bereit, die "Vergeltungsschläge" auf israelisches Gebiet zu feiern, wobei sie die Tatsache ignorieren, dass deren Hauptopfer Zivilisten sein werden. Ganz zu schweigen davon, dass nur die israelischen politischen Eliten, die ihr Geschäft seit Langem auf dem Krieg aufgebaut haben, davon profitieren werden, und, seien wir ehrlich, auch ein beachtlicher Teil der arabischen Eliten.

Es geht mir nicht darum, die Führung Israels, der Hamas oder eines ihrer Nachbarn in den Augen der öffentlichen Meinung zu diskreditieren oder zu rehabilitieren. Ich sehe ein Aufeinandertreffen von Kräften, die andere Werte als das menschliche Leben verteidigen. Aufsehenerregende Posts mit Fotos von ermordeten und sterbenden palästinensischen Kindern sind zu einem weiteren Instrument der Aufwiegelung geworden, ebenso wie das israelische Mantra vom "arabischen Terrorismus". Es hat kein einziges Leben gerettet, aber es hat sicherlich mehr als nur einen Toten gekostet.

Die altertümliche Logik der gegenseitigen Rache und Vergeltung wird immer wieder und immer weiter ihre blutige Ernte einfahren. Das Schwungrad der Entmenschlichung wird sich auf allen Seiten mit dem Recht des aufrichtigen Mitgefühls für alle unschuldigen Opfer weiter drehen, gegen die objektiven Interessen der Palästinenser und Juden, die diesen elementaren Mechanismus nicht erkennen.

Jeder neue Schuss, der von einer der beiden Seiten abgefeuert wird, wird garantiert dutzendfach zu ihr zurückkehren. Er wird die Abscheulichkeiten des Antisemitismus und der Islamophobie noch verstärken und jeden Hassenden auf jeder Seite in seinem Hass festigen.

Vom nicht endenden Leid und dem vergossenem Blut abgesehen wird es nichts bewirken: Das palästinensische Volk wird nicht verschwinden und auch Israel wird nicht ins Meer geworfen werden.

Bei aller Komplexität der Nahost-Tragödie ist eines klar: Es gibt keine militärische Lösung und es wird sie auch in Zukunft nicht geben. Die Kinder und Enkel der heutigen Feinde werden, ob sie wollen oder nicht, als Nachbarn zusammenleben müssen.

Ich setze hier keineswegs den Henker und das Opfer gleich. Die Realität ist komplexer und zugleich einfacher als das: Man kann die Rechte und die Würde seines eigenen Volkes nur dann effektiv schützen, wenn man die Würde und die Rechte aller schützt. Wenn man mehr sieht, als nur die Opfer der einen Seite, die man sich als die eigene ausgesucht hat.

So befremdlich es heute auch klingen mag – ich wünsche allen, die diese Zeilen lesen, Salām, Schalom und Frieden von ganzem Herzen.

Oleg Jassinski (englische Transliteration: Yasinsky), ein aus der Ukraine stammender Journalist, lebt überwiegend in Chile und schreibt für RT Español sowie unabhängige lateinamerikanische Medien wie Pressenza.com und Desinformemonos.org. Man kann ihm auch auf seinem Telegram-Kanal folgen.

Mehr zum Thema - Palästina-Kongress: Veranstalter beklagen öffentliche Diffamierung und staatliche Repression