Rauchzeichen aus der Uckermark: Ächzt es im Gebälk der Kriegstreiber?

Im Landkreis Uckermark in Brandenburg tut sich etwas. Abgeordnete verschiedener Parteien haben in einem "offenen Brief" zum Ende der Militärhilfe für die Ukraine aufgerufen. Einen Trend auszumachen, wäre zwar naiv. Aber an der deutschen "Kriegsfront" der Bellizisten kommt Gegenwind auf.

Von Tom J. Wellbrock

Die Kreisverwaltung Uckermark hat einen "offenen Brief" an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) geschrieben. In diesem heißt es unter anderem:

"Wir wenden uns an Sie in tiefer Sorge vor einer weiteren Eskalation des Krieges und mit der Erwartung, anstelle weiterer Waffenlieferungen Verantwortung für eine friedliche Lösung zu übernehmen. 

Den völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine und den daraus resultierenden Krieg verurteilen wir auf das Schärfste. Wir sind solidarisch mit dem ukrainischen Volk, das seit nunmehr zwei Jahren unter den katastrophalen Folgen dieses Krieges leidet."

Eigentlich politisch alles korrekt gemacht, den Überfall auf die Ukraine verurteilt, Solidarität mit dem ukrainischen Volk geäußert, kein Rede- oder Schriftbeitrag kommt ohne diese Beteuerungen aus, man muss sich schließlich gegen Angriffe schützen. Doch der Wunsch nach einer friedlichen Lösung ist natürlich absolut inakzeptabel. Wenn die Hofreiters, Strack-Zimmermanns, Röttgens und Kiesewetters so etwas lesen, beginnen sie zu kochen, und zwar unverzüglich und brodelnd heiß.

Die Temperatur bei den Bellizisten dürfte weiter gestiegen sein, als sie das hier lasen:

"Mit großer Sorge beobachten wir den Ausbau der Rüstungsindustrie und eine in der Öffentlichkeit immer stärker und scheinbar bedenkenlos genutzte Kriegsrhetorik. Anstelle militärischer Unterstützung sollte Deutschland alles dafür tun, um der Ukraine jedwede humanitäre Hilfe zukommen zu lassen.

Krieg kennt nur Verlierer. Statt der Dominanz des Militärs brauchen wir die Sprache der Diplomatie und des Friedens."

Aber seien wir ehrlich: Wie soll eine (in)offizielle Rüstungslobbyistin wie etwa Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) auf solche Sätze reagieren? Die Frau lebt für die Rüstung, für den Krieg, für den Tod, auch wenn sie es in blumige Worte kleidet, weiß das jeder, inklusive der Talkshow-Moderatoren, die sie brav als "Sicherheitsexpertin" vorstellen, wenn sie ihr Raum für ihre Kriegsrhetorik bieten.

Der Spiegel im Angriffsmodus

In seinem Artikel zum "offenen Brief" erledigt der Spiegel verlässlich das, was von ihm erwartet wird. Er berichtet weder wohlwollend noch auch nur ansatzweise neutral über den Vorgang, sondern arbeitet sich an den Personen ab, die den Brief unterzeichnet haben:

"Gezeichnet ist das Schreiben von 32 Personen – und beim Blick auf die Zusammensetzung des Kreistags wird schnell klar: Der offene Brief entstand in einer offenbar ganz großen Koalition. Allein aus der Grünenfraktion findet sich kein Unterzeichner, dafür aber unter anderem aus den Fraktionen der CDU, FDP, SPD, Linken – und der AfD. Und nicht nur das: Auch ein Abgeordneter der früheren NPD, die heute 'Die Heimat' heißt, hat seinen Namen unter den Brief an Scholz und Bas gesetzt."

Mit der Argumentation der Kontaktschuld ist der Spiegel auf der sicheren Seite, denn selbst in vermeintlich kritischen Kreisen hat sich die Angst vor dieser durchgesetzt. Frei nach dem Motto "Betritt keinen Supermarkt, in dem ein AfDler eingekauft haben könnte" sind in Deutschland Distanzierungen von allem und jedem, der irgendwie verdächtig sein könnte, zum guten Ton geworden.

Neben dem Prinzip der Kontaktschuld bedient der Spiegel auch diverse "Trigger-Begriffe", wie man liest:

"Man sei 'beseelt von dem Willen, dem Frieden zu dienen'. In einem Satz wird der russische Überfall auf das Nachbarland 'auf das Schärfste' verurteilt, dann aber nicht weiter darauf eingegangen: Was man in dem Schreiben beispielsweise nicht findet, sind Begriffe wie 'Wladimir Putin', 'Butscha' oder 'Mariupol'."

Die Frage liegt nahe: Was sollten solche Begriffe auch in dem Brief verloren haben? Es ist ein Schreiben, in dem Verhandlungen und Diplomatie gefordert werden. Und, nebenbei bemerkt, in welchem Zusammenhang hätten die vom Spiegel gewünschten Begriffe verwendet werden sollen? Vielleicht so?

"Wir verurteilen Wladimir Putin für sein möglicherweise unter Umständen persönliches Erscheinen oder auch nicht in Butscha und ein paar Dinge, die in Mariupol passiert sind."

Was der Spiegel hier macht, ist durchschaubar und weitgehend inhaltlich sinnfrei, doch es verfolgt natürlich den Zweck, vom Eigentlichen abzulenken. Das Blatt selbst hat aber auch etwas "Eigentliches" im Gepäck. Es rückt die Unterzeichner des Briefes in die Nähe von Faschisten, wenn es darauf hinweist, dass auch ein Abgeordneter der früheren NPD, heute "Die Heimat", seine Unterschrift unter dem Brief hinterlassen hat.

Auf Distanzierungs-Kurs

Die Initiative für den "offenen Brief" war ausgerechnet von der CDU ausgegangen. Und laut nd haben sich AfD und "Die Heimat" später erst mit ihrer Unterschrift verewigt, da hatten aber die Mitglieder von CDU, FDP, SPD und Linken ihren "Otto" schon gesetzt. Es folgte eine leidenschaftliche Distanzierungs-Debatte, die jedoch nicht so eindeutig ausfiel, wie sich das wahrscheinlich der Spiegel vorgestellt hatte. Beim nd heißt es dazu:

"Brandenburgs Linksfraktions- und Linksparteichef Sebastian Walter soll sich am Dienstag im Landtag dazu äußern und tut es. 'Ich habe mir den offenen Brief durchgelesen und ich hätte ihn auch unterschrieben', bekennt er."

Walter erklärt seine Haltung auch gleich noch:

"Walter nennt noch ein Beispiel: Die laufende Volksinitiative 'Schule satt' der Linken, die sich in einem Aktionsbündnis mit Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Elternbeiräten dafür einsetzt, dass Grundschülern in Brandenburg ein kostenloses Mittagessen angeboten wird. Da ließe sich auch nicht verhindern, wenn AfD-Anhänger unterschreiben. Das Anliegen sei trotzdem richtig."

Braut sich da etwas zusammen?

Fernab von der Propaganda des Spiegel und der allgemeinen Debatten um die Rüstungsexporte in die Ukraine, die aufgeklärte Menschen im Grunde nur noch langweilen können, steht eine andere Frage im Raum, die bedeutsam werden könnte, wenngleich sie es noch nicht ist.

Bahnt sich womöglich größerer Widerstand an? Immerhin kommen die Unterzeichner des "offenen Briefes" aus nahezu allen Parteien, deren offizielle Linie die Unterstützung von Waffenlieferungen an die Ukraine ist. Es spricht im Übrigen Bände, dass ausgerechnet Mitglieder der Grünen der Kreisverwaltung Uckermark ihre Unterschrift verweigert haben. Mit Kontaktschuld können sie schlecht argumentieren, da die "bösen" Unterschriften ja nachträglich hinzukamen.

Womöglich ‒ und das wäre zu hoffen und unter Umständen die letzte Option, Deutschland vom selbst herbeigeführten Untergang zu befreien – entwickelt sich langsam, aber stetig, doch eine politische und gesellschaftliche Debatte darüber, wie weit die Politik noch gehen will und wohin das alles führen soll.

Die geneigten Leser mögen sich jetzt denken, was für eine naive Hoffnung der Autor dieses Textes hier hegt und pflegt. Aber was wäre die Alternative? Deutschland befindet sich geopolitisch und wirtschaftlich im steilen Sinkflug, das Land mit all seinen Menschen droht am Ukraine-Krieg und der irrationalen und verantwortungslosen Politik zu zerbrechen. Unzählige Summen des vorhandenen und nicht vorhandenen Geldes fließen in diesen Krieg, der Sozialstaat ist im freien Fall, der Arbeitsmarkt entwickelt sich mehr und mehr zu einem Armutsmarkt, die Rente, die Bildung, die Gesundheit, die Infrastruktur – all das steht auf der Kippe, und die machthabenden Politiker scheren sich einen Teufel um die Konsequenzen.

Wäre es nicht eine tröstliche Vorstellung, wenn von Brandenburg aus eine neue Bewegung entstehen würde, eine Bewegung, die auf Sicht nicht mehr so einfach als "Schwurbler" oder "Lumpenpazifisten" diffamiert werden kann, weil sie sich aus Menschen der bürgerlichen Parteien zusammensetzt?

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

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