Von Dmitri Bawyrin
Würde man das Demokratieniveau in einem Land an der Häufigkeit der Wahlen messen, hätte Bulgarien heute die meiste Demokratie. Im Durchschnitt wird dort einmal pro Halbjahr gewählt: Der Republik steht die sechste Parlamentswahl innerhalb von drei Jahren bevor. Noch ist es nicht sicher, doch wahrscheinlich haben proeuropäische Russophobe die proamerikanischen Russophoben frech betrogen. Dies gibt den Nicht-Russophoben die Chance, an die Macht zu kommen.
Eine solche Situation, die von den Bulgaren selbst als Chaos und nicht als Triumph der Demokratie wahrgenommen wird, entstand deswegen, weil die heutige Zusammensetzung der politischen Kräfte nicht in die Gesetzgebung zur Machtbildung passt. Keine mögliche Koalition würde eine Mehrheit erhalten. Dabei werden die Koalitionen selbst weniger nach ideologischen, als vielmehr nach persönlichen Prinzipien zusammengestellt, wenn Politiker mit ähnlichen Ansichten zu unerbittlichen Feinden werden.
Wie in zahlreichen anderen EU-Ländern, liegt der Großteil der Macht in Bulgarien beim Ministerpräsidenten und der Regierung, deren Entscheidungen von der Koalition im Parlament, der Volksversammlung, gebilligt werden müssen. Nach jeder Neuwahl werden in der Versammlung selbst verfeindete Parteien zusammengeführt. Dementsprechend überlegen die aus ihnen bestehenden regierenden Koalitionen nicht lange.
Als vor dem Hintergrund dieser Dauerkrise Russlands Militäroperation in der Ukraine und ein neuer Kalter Krieg begann, hörten Bulgariens Probleme auf, rein bulgarisch zu sein, und der Westen mischte sich ein.
Bulgarien war wegen seines Zugangs zum Schwarzen Meer und der beträchtlichen Arsenale von sowjetisch produzierten Waffen, die vom ukrainischen Militär eingesetzt werden konnten, eine wichtige Rolle bei der Versorgung der Ukraine zugewiesen worden. Eine rasche Übergabe der Waffenbestände an Kiew wurde durch den fragilen Aufbau der Regierung und den Widerstand jener Kräfte verhindert, die die eigentliche Idee, die Ukraine zu bewaffnen und auch noch die letzten Verbindungen zu Russland zu kappen, ablehnten. Dabei handelte es sich vor allem um Sozialisten und um Nationalisten aus der Partei "Wiedergeburt".
Bei den jüngsten vorgezogenen Neuwahlen, den fünften seit 2021, kamen schon wieder Kandidaten ins Parlament, die nicht miteinander arbeiten können. Mit viel größerem Vergnügen würden sie sich gegenseitig bekämpfen, doch die Herren aus Brüssel wiesen sie mit Washingtons Unterstützung zurecht und ordneten ihnen an, miteinander auszukommen. Schließlich stand eine militärische Konfrontation mit Russland auf dem Spiel, und niemand kümmerte sich um bulgarische Sympathien oder Antipathien.
Diejenige Regierung, die das Land bis zuletzt führte, stützte sich auf mehrere Parteien, von denen zwei die wichtigsten sind. Erstere davon ist die GERB ("Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens"). Ihr Leiter Bojko Borissow ist ein langjähriger Ministerpräsident, ehemaliger Militär und Bewunderer der USA, der lange vor dem Zerfall der Beziehungen zwischen Russland und der EU zum ausgewiesenen Russophoben wurde. Ein beträchtlicher Anteil der Bulgaren hält ihn außerdem für einen korrupten Mafioso. Es war gerade seine langjährige Regierung, die dem Beginn der politischen Krise im Land vorausging.
Die zweite Partei, Kiril Petkows PP ("Wir setzen den Wandel fort"), war mit dem Gedanken gegründet worden, Borissow zu entmachten, Antikorruptionskampagnen und ideologiefreie Reformen "zum Wohle der Menschen" durchzuführen. Doch Petkows "Regierung der Technokraten" erwies sich zudem als eine Regierung von Schurken: Der Ministerpräsident und seine Anhänger im Kabinett organisierten ein System, um Waffen an die Ukraine zu liefern – vor ihren Kollegen verborgen und gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit.
Im Gegensatz zu Borissow ist Petkow kein ausgewiesener Russophob, doch das ist eher ungünstig, weil verwirrend. Der Pragmatismus des "Lieblingsschülers der EU-Kommissare in Brüssel" äußerte sich im Erreichen des Ergebnisses. Ohne das für Borissow typische hysterische Versprechen, "um jeden Preis" Waffen in die Ukraine zu liefern, wurde genau dies getan.
Borissow und Petkow hassen einander, doch im Hinblick auf ihre außenpolitische Orientierung sind beide Westler. Deshalb unterwarfen sie sich dem Befehl ihrer Vorgesetzten, sich zu verständigen. Der Kompromiss äußerte sich darin, dass weder Petkow noch Borissow ins Amt des Regierungschefs zurückkehren, während das Amt selbst seinen Inhaber wechselt: Ein Mitglied der einen Partei sollte nach neun Monaten vom Mitglied der zweiten abgelöst werden.
So leitete das Ministerkabinett der studierte Physikochemiker Nikolaj Denkow von der PP, während Marija Gabriel von der GERB zu seiner Stellvertreterin und Außenministerin wurde. Ihre Regierung regelte schließlich alle Formalitäten bezüglich der Waffenlieferungen an die Ukraine. Im März 2024 fuhr nach zahlreichen Verzögerungen der erste Zug mit gepanzerten Mannschaftstransportern für die Ukraine ab. Danach endeten schon die Denkow gewährten neun Monate, doch Gabriel erfuhr zur eigenen Überraschung, dass sie nicht das Amt des Ministerpräsidenten antreten kann. Die PP kündigte die bisherigen Vereinbarungen und verweigerte die "Ablösung".
Somit wurden Borissows Leute schlicht betrogen, nachdem die für die EU und NATO relevante Frage der Waffenlieferungen gelöst wurde. Es war eine Niedertracht ganz im Geiste von Petkow, doch besteht die GERB keinesfalls aus solchen Politikern, die einem leidtun könnten.
Die PP gibt vor, dass Borissows Leute die Antikorruptionsreformen behindert hätten. Es wäre merkwürdig, wenn sie es tatsächlich nicht getan hätten, berücksichtigt man den mafiös-oligarchischen Charakter von Borissows Regierung. Doch die Wahrheit, ebenso wie die laufenden Versuche, eine Regierung ohne Neuwahlen aufzustellen, interessiert nur die Bulgaren selbst.
Mindestens zwei weitere Versuche wird es geben. Der Erste wird mit Sicherheit an Petkows Selbstablehnung scheitern, während der Zweite mit einer 99-prozentigen Wahrscheinlichkeit scheitern wird, denn keine andere Kraft wird eine Parlamentskoalition aufstellen können – es sei denn, dass Verhandlungen ein besonders monströses Mischwesen hervorbringen, das ohnehin nicht lange überleben wird. Deswegen werden die Bulgaren wieder abstimmen und den abgegriffenen Kartensatz von politischen Persönlichkeiten neu mischen müssen.
Es ist zu bezweifeln, dass dies das Land aus dem Teufelskreis führen wird. Unter dem Teufelskreis wird hierbei nicht das Chaos mit den ständigen Neuwahlen verstanden, sondern die Tatsache, dass sich jede neue Regierung dem Willen Brüssels unterordnet.
Betrachtet man soziologische Umfragen, sollte sich Bulgarien in der EU in einer Reihe mit Ungarn und der Slowakei befinden, deren Regierungen tatsächlich hartnäckig eine neutrale Position vertreten. Sie leisten Kiew keine militärische Hilfe und kritisieren die antirussischen Sanktionen als "Selbstverstümmelung". Ideologisch sind sie sich nicht ganz ähnlich – Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán ist eher ein rechter Nationalist, während sein slowakischer Amtskollege Robert Fico ein Linkskonservativer ist. Doch beide orientieren sich am Schutz der nationalen Interessen, zu denen auch eine Zusammenarbeit mit Russland gehört.
Eine ähnliche national orientierte Partei, die gleichzeitig von einem erfahrenen und charismatischen Politiker geleitet würde, gibt es im Grunde nicht. Die nationalistische "Wiedergeburt" ist zu radikal, um eine Führungsrolle für sich zu beanspruchen, und die einstmals einflussreichen Sozialisten, deren Partei noch auf die kommunistische Periode zurückgeht und gemäßigt prorussisch ist, stecken selbst in einer Krise und haben ihre Wählerschaft längst enttäuscht.
Selbst einige ethnische Russen, die die bulgarische Staatsbürgerschaft erhalten hatten, aber Verbindungen zur Heimat behielten und von der russophoben Politik der Regierung enttäuscht sind, wollen nicht für die Sozialisten stimmen. Sie denken, dass diese Partei nicht in der Lage sei, die zahlreichen innenpolitischen Probleme des Landes zu lösen.
Formal ist der Rücktritt von Denkows Regierung und die neue Wahlkampagne dennoch eine Chance für Bulgarien, die selbstzerstörerische Politik der Verwicklung in einen Konflikt mit Russland abzuweisen. Es ist von vornherein klar, dass nichts dergleichen passieren wird, doch diese Chance macht mögliche künftige Ausreden der Art "Das ließ sich nicht verhindern" und "Das Volk war eigentlich dagegen" nichtig.
Die prorussische Einstellung einer Mehrheit der Bulgaren ist nichts wert, wenn sie ermöglicht, dass sich Russophobe an der Macht gegenseitig abwechseln. In der Ukraine wurden Wahlen abgeschafft, und für sie ist Wladimir Selenskij ein regelrechter Diktator. Doch Bulgarien scheint, nach der Anzahl von Wahlkampagnen zu urteilen, über genug Demokratie zu verfügen. Es sollte also möglich sein, eine Teilnahme am Ukraine-Abenteuer nach dem Beispiel Ungarns und der Slowakei zu vermeiden. Eine dritte Teilnahme an einer antirussischen Koalition innerhalb von zwei Jahrhunderten kann kein Zufall sein, zumal nach sechs Wahlen in Folge.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
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