Von Tom J. Wellbrock
Als Beobachter kann ich die Beileidsbekundungen aus Deutschland nicht ernst nehmen. Man sei bei den Angehörigen der Opfer, hoffe auf schnelle Aufklärung, sei erschüttert. Wer soll das glauben? Nachdem die Russen inzwischen in allen Lebensbereichen aus der deutschen Wahrnehmung ausgeschlossen werden, klingen die Beileidsbekundungen hohl und leer. Nicht nur politisch, sondern auch kulturell und sportlich gehören Russen heute zum Abschaum, die als "Orks" (wie in der Ukraine) oder als Leute, die zwar wie Europäer aussehen, aber keine sind (Florence Gaub), tituliert werden.
Der derzeitige Höhepunkt kommt einmal mehr aus der Ukraine, wo die absurde Behauptung entstand, Wladimir Putin selbst habe diesen Anschlag verübt, seine Leute mal eben umgebracht und dann mit seinen Mitverschwörern die nächsten Schritte im Krieg besprochen. Wenn ich so etwas lese, wird mir schlecht. Sollten nicht gerade aus der Ukraine vorsichtigere Töne kommen, also aus dem Land, das so viele Zivilisten zu beklagen hat?
Die Antwort lautet: Nein. Denn die politische Führung in der Ukraine hatte – unabhängig von der Geschichtsverfälschung, die in Deutschland betrieben wird – schon 2014 kein Problem damit, Zivilisten umzubringen. Die Angriffe auf die Ostukraine sind dokumentiert und selbst von den Vereinten Nationen anerkannt. Doch was interessiert das die ukrainische Regierung oder die deutsche? Nicht im Geringsten, denn es ging und geht nicht um den Schutz von Zivilisten, 2014 nicht und heute auch nicht.
Man könnte die widerliche Unterstellung, Putin würde seine eigenen Leute töten lassen, als Unsinn einer politischen Führung von Sinnen stehenlassen und ignorieren. Aber sie zeigt Wirkung, wie man an einigen Kommentaren in den sozialen Medien sehen kann:
Sicher ist es nur ein kleiner Teil der Deutschen, der solche menschenverachtenden und abstoßenden Kommentare absondert. Man muss aber davon ausgehen, dass die allgemeine Russophobie in Deutschland in den letzten gut zwei Jahren erheblich zugenommen hat. Die politische Ebene hat dazu aktiv beigetragen, und wer vor dem 24. Februar 2022 vielleicht noch kein Russland-Hasser war, ist es womöglich heute schon, es wurde politisch und medial alles dafür getan, dass die Wahrscheinlichkeit höher ist als vor dem aktuellen Krieg.
Die Reaktionen des Hasses sind aus zwei Gründen bemerkenswert:
- Weil sie blind und unwissend der Erzählung über den russischen Aggressor folgen.
- Weil sie zivile Opfer nicht etwa nur ignorieren, sondern deren Tod begrüßen.
Hat eigentlich Roderich Kiesewetter (CDU) schon seine Anteilnahme zum Ausdruck gebracht? Oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP)? Anton Hofreiter (Grüne), Norbert Röttgen (CDU), Michael Roth (SPD)?
Immerhin, könnte man sagen, Annalena Baerbock hat sich "erbarmt" und gesagt, was sie immer sagt, wenn sie Eskalationen bedauert, an denen sie Anteil hat, während sie hintenherum weiter an Krieg und Terror arbeitet. Doch um diese Floskeln des Nichtssagenden kam in diesem Fall nicht mal sie herum. Ob sie ihre Anteilnahme auch so meinte, mögen die Leser für sich beurteilen, ich hülle mich da besser in Schweigen.
Während ich diesen Text schreibe, habe ich auf der Website des Auswärtigen Amtes (und ich meine nicht X, sondern die Website des Außenministeriums) jedenfalls kein Wort zu dem Terror gegen russische Zivilisten finden können. Dafür prangt groß in der Mitte der Seite ein Bild mit der deutschen Außenministerin. Sie lacht, und wenngleich dieses Foto natürlich nicht direkt mit dem Anlass eines Terroranschlags in Moskau im Zusammenhang steht, ist es doch höchst symbolträchtig.
Aus Russland hörte ich heute Morgen (am 23.3.2024), dass die Stimmung dort ruhig ist, Vorverurteilungen finden nicht statt, man hat aber alle Veranstaltungen abgesagt und sucht selbstredend mit Hochdruck nach weiterführenden Informationen zum Tathergang und den Tätern. Zum Stand der Ermittlungen will ich mich hier nicht äußern, aber eine Frage liegt mir auf der Seele.
Wie lange wird Russland den Hass noch ertragen? Wie lange wird sich der russische Pragmatismus halten können, der in Deutschland auf der Ebene der politischen Führungen heute schlicht nicht mehr zu den Charaktereigenschaften gehört, der von Verantwortungsträgern erwartet wird?
Es gibt Stimmen, die schon ziemlich "humorlos" klingen, etwa die von Dmitri Medwedew, Putins Stellvertreter in der Funktion als Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates, der sagte:
"Terroristen verstehen nur Vergeltungsterror. Kein Gericht und keine Ermittlung wird helfen, solange man der Gewalt nicht Gewalt entgegenstellt – und den Morden durchgehende Hinrichtungen der Terroristen und Repressalien gegen ihre Familien. Sollte herausgefunden werden, dass dies Terroristen des Kiewer Regimes waren, so ist es unmöglich, mit ihnen und ihren ideologischen Inspirationsquellen anders zu verfahren. Sie alle gilt es, ausfindig zu machen und gnadenlos als Terroristen zu vernichten, einschließlich der offiziellen Vertreter des Staates, der eine solche Missetat beging. Tod um Tod."
Putin kündigte an, dass alle Täter und Hintermänner ihre unweigerliche Strafe bekommen werden – wer sie auch sein mögen. Und er sagte noch etwas Bemerkenswertes:
"Wir rechnen hier mit der Zusammenarbeit mit allen Ländern, die unser Leid teilen, die in der Tat ihre Bemühungen vereinigen wollen, um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu führen."
In Richtung der Täter sagte Putin, sie erwarte nur Vergeltung, sie hätten keine Zukunft.
Der Appell an die internationale Gemeinschaft, zusammen gegen den Terrorismus zu kämpfen, ist eine Einladung, aber auch der Hinweis, dass oberflächliche Beileidsbekundungen nicht ausreichen werden, um Mitgefühl und Anteilnahme unter Beweis zu stellen.
Trotz der Tragik und der Gewalt, die mit dem Anschlag verbunden werden müssen, streckt Putin einmal mehr die Hand aus, um mit dem Kampf gegen den Terror den kleinsten gemeinsamen Nenner aufzuzeigen, der als Beleg dafür dient, die schrecklichen Taten nicht nur zu verurteilen, sondern aktiv und zusammen gegen sie vorzugehen.
Ich bin mir sicher, dass die politischen Eliten in Deutschland diese ausgestreckte Hand nicht annehmen werden. Es ist eine Frage der Zeit – und womöglich passiert es schon jetzt, in diesem Augenblick –, wann die ersten eskalierenden und die Gewalt relativierenden Stimmen zu vernehmen sein werden.
Das Niveau der deutschen politischen Verantwortungsträger unterscheidet sich nicht sehr von den Kommentatoren, die weiter oben in diesem Text ihre widerwärtigen Abscheulichkeiten von sich gegeben haben. Sie sind weit entfernt von Mitgefühl, von Geschichtsbewusstsein, von Menschlichkeit und Empathie.
Und womöglich wird es zum Beispiel Kiesewetter sein, der als Erster mit einstimmt in den Chor der Russland-Hasser. Es spielt aber keine große Rolle, denn die Deutschen werden in einer künftigen Weltordnung ohnehin nichts mehr zu sagen haben.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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