Von Gert Ewen Ungar
Inzwischen sind die Zahlen offiziell bestätigt: Wladimir Putin hat die Präsidentschaftswahl in Russland gewonnen. Haushoch gewonnen. Über 87 Prozent der abgegebenen Stimmen konnte er auf sich vereinen. Möglich wurde dieses herausragende Ergebnis ausgerechnet durch diejenigen, die alles daran gesetzt haben, das "System Putin" zu beenden. Wahlhilfe bekam Putin von der EU und der Politik des kollektiven Westens. Sie sind mitverantwortlich für Putins Erfolg. Diese Einschätzung mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, erschließt sich aber auf den zweiten.
Das Narrativ des Westens lautet, Russland hat völlig grundlos die Ukraine überfallen. Putin verfolgt eine imperiale Politik. Wenn die Ukraine Putin nicht aufhält, steht er morgen in Polen, im Baltikum oder vor den Toren Berlins. Deutsche Politiker müssen so tun, als würden sie diesen Unsinn tatsächlich glauben.
Das Narrativ in Russland ist grundlegend anders: Mit der Einladung zum NATO-Beitritt an die Ukraine verletzt der Westen russische Sicherheitsinteressen und verstößt gegen das Prinzip der kollektiven Sicherheit. Die Versuche, den Konflikt durch die Minsker Abkommen zu befrieden, hat der Westen zum Scheitern gebracht. Forderungen Russlands nach Sicherheitsgarantien wurden ausweichend beantwortet. Der Westen will die Ukraine zum Aufmarschgebiet gegen Russland machen. Er stärkt den dortigen Nationalismus und macht so aus einem einstmals der Neutralität verpflichteten Land ein Antirussland. Mit der Eskalation des Konflikts im Donbass wurde Russland in einen Krieg gedrängt, unmittelbar nach Beginn wurden Sanktionen mit dem Ziel verhängt, die russische Wirtschaft zu vernichten.
Es ist evident, dass sich das russische Narrativ deutlich stärker an den tatsächlichen historischen Ablauf anlehnt, als das westliche. Den Russen ist daher auch die Absicht des Westens klar. Man wollte mittels Sanktionen die russische Wirtschaftsleistung im ersten Jahr zweistellig einbrechen lassen und im zweiten dann gleich nochmal. Jeder Bürger Russlands, der den Zerfall der Sowjetunion miterlebt hat, weiß, was das für ihn ganz individuell bedeutet hätte.
Dass dies nicht gelang, ist vor allem der Politik Putins und seiner Regierungsmannschaft zu verdanken. Dieser Dank hat sich an der Wahlurne ausgedrückt. Die Russen haben Stabilität und Wohlstand gewählt. Die Vernichtungsabsicht des Westens hat genau das Gegenteil von dem bewirkt, was er bewirken wollte. Es hat Präsident Putin und die von ihm verfolgte Politik gestärkt. Er wird die unfreiwillige Unterstützung aus dem Westen zu schätzen wissen.
Anders sieht es im Westen selbst aus. Dort ist man sich nicht zu schade für die Rolle des schlechten Verlierers. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat angekündigt, kein Glückwunschschreiben an Putin zu schicken. Das ist genau die staatsmännische Größe, für die Deutschland in der Welt bekannt ist. Es regiert der Kleingeist. Man ist beleidigt.
Dass das Ergebnis nichts mit Wahlfälschung und unfairer Wahl zu tun hat, ist den Verantwortlichen in Berlin sicherlich klar. Das Verfahren war transparent, Kandidaten, die laut Entscheidung der Wahlkommission die Voraussetzungen für eine Kandidatur nicht erfüllten, hatten die Möglichkeit, in mehreren Instanzen die Entscheidung der Kommission anzufechten. Die Bürger wurden über die unterschiedlichen Möglichkeiten, ihre Stimme abzugeben, umfassend informiert. Es waren internationale Wahlbeobachter vor Ort, nur eben nicht von der OSZE. Man misstraut der Organisation in Russland inzwischen grundlegend.
Die Wahlbeteiligung war hoch und die Schlangen von Wahlberechtigten, die sich vor den russischen Auslandsvertretungen gebildet haben, strafen die Behauptung lügen, die Menschen seien zur Wahl gezwungen worden.
Die Sprecherin des Bundespräsidenten, Cerstin Gammelin, sprach mit Blick auf die Wahl in Russland dennoch von "sogenannten Präsidentschaftswahlen". Gammelin ist übrigens die Sprecherin eines Präsidenten, den man gar nicht erst wählen kann. Und das gilt auch für den Kanzler. Man wählt in Deutschland im Großen und Ganzen Parteien und keine Personen in ein politisches Amt – von der Erststimme bei Bundestagswahlen einmal abgesehen. Scholz gratuliert Putin ebenfalls nicht. Beleidigte Leberwurst 2.0.
Auch die Vizepräsidentin des deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt, wusste schon am Freitag, gleich zu Beginn der Wahl, dass es sich um eine "Scheinwahl" handele. Auch sie bekleidet ihr hohes Amt nicht auf der Grundlage der Wählerzustimmung. Der Bundestagspräsident und seine Stellvertreter werden von den Abgeordneten gewählt. Die fünf Stellvertreter kommen aus allen Parteien außer der AfD, denn die gilt als undemokratisch, sodass man ihr die Repräsentation verweigern nicht nur kann, sondern geradezu muss. Um die Demokratie zu schützen, versteht sich. Man stelle sich die Reaktion eben jener Demokraten vor, wenn das, was sie an Repression veranstalten, in Russland passiert wäre.
Göring-Eckardt behauptet, unabhängige Medien werden in Russland mit aller Gewalt unterdrückt. Das ist angesichts der real existierenden journalistischen Zustände in Deutschland ein schlechter Witz. Zensur, Kontokündigungen von kritischen Journalisten, die Koordination und Gleichschaltung der Narrative in den großen Medien sind deprimierender journalistischer Alltag in Deutschland. Der Effekt: In Deutschland wird mehr Propaganda als Journalismus produziert.
Mit schlechten Witzen macht auch das Auswärtige Amt weiter. Das spricht von "Pseudowahlen". Das Amt erkennt Zensur, Repression und Gewalt – in Russland versteht sich. Dass immer mehr Deutsche zu diesen Vokabeln greifen, um ihre real existierende Lebenssituation in Deutschland zu beschreiben, entgeht dem Außenamt. Die deutsche Außenministerin interessiert die Meinung ihrer Wähler ohnehin nicht, wie sie freimütig bekennt.
Die kleingeistige deutsche Zickigkeit wird indes weder am Wahlergebnis noch an der Unterstützung der Russen gegenüber Putin etwas ändern. Sie wird nur die russische Regierung in ihrer Auffassung bestärken, dass mit dieser aktuellen deutschen Politikergeneration absolut nichts anzufangen ist. Sie bemüht sich nicht um das Verstehen von Zusammenhängen, will kompromisslos ihre debilen Narrative in der Welt durchsetzen und ist zum Frieden unfähig. Man lässt sie am besten außen vor. Der von ihnen inszenierte Theaterdonner ist eh nur fürs Publikum im Inland. Und von dem werden die genannten politischen Akteure ohnehin kaum noch ernst genommen.
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