Von Tom J. Wellbrock
Neben Pandemien und Naturkatastrophen sei die Vorbereitung auf "militärische Konflikte" von großer Bedeutung, sagte Karl Lauterbach im Deutschlandfunk. Man könnte dieses Gerede als das eines verwirrten Mannes abtun, und man müsste es auch, wäre die Situation nicht so, wie sie ist.
Kriegsminister und Katastrophen
Den Krieg nach Russland tragen – das ist laut Roderich Kiesewetter (CDU) jetzt geboten. Er hatte das erst kürzlich in einem Interview gesagt. Als denkender Mensch würde man annehmen, dass Kiesewetter diese Aussage später bereut hat oder zumindest gern in der Versenkung des Vergessens lassen würde. Doch stattdessen wiederholte er seine Forderung bei Markus Lanz noch einmal:
"Die Ukraine muss befähigt werden, den Krieg nach Russland zu tragen. Nichts anderes hat auch Pistorius am 20. April letzten Jahres deutlich gemacht im Fernsehen, als er sagte: 'Es ist das Normalste der Welt, dass der Aggressor auch den Krieg vorträgt auf das Gebiet des Angreifers.' [Kiesewetter verspricht sich an dieser Stelle – Anm. der Red.] Das Einzige, was ich in Ergänzung sage, ist, dass man auch das Kriegsministerium oder das Nachrichtendienstministerium – also Geheimdienstministerium – angreifen muss."
Kiesewetter betonte aber, dass Deutschland damit nichts zu tun habe. Taurus etwa, das deutsche System, mit dem die Ukrainer direkt Moskau angreifen könnten, könne auch ohne deutsche Hilfe bedient werden, und die Ukraine würde ohnehin nicht auf Moskau feuern: "Nein, wenn wir der Ukraine vertraglich sagen, die Taurus setzt ihr nur auf den von Russland besetzten Gebieten ein, dann halten die sich auch dran."
Wer etwas anderes behaupte, zeige fehlendes Vertrauen in die Ukraine. Und überhaupt: Angriffe auf Russland bzw. Moskau seien nun einmal notwendig, mit Drohnen habe das ja auch schon funktioniert. Die Zivilbevölkerung Russlands will Kiesewetter verschonen, es sei aber wichtig, "der russischen Bevölkerung klarzumachen, dass sie die Aggressoren sind".
Die Aussagen Kiesewetters sollen die allgemeine Stimmung unter den immer zahlreicher werdenden Falken in der politischen und medialen Landschaft verdeutlichen. Der Tenor zeichnet sich immer deutlicher ab: Deutschland ist zwar offiziell noch keine Kriegspartei, es wäre aber schön, wenn sich das änderte.
Lauterbach scheint ähnlich zu denken.
Beste Versorgung für Verletzte
Immer wieder heißt es, Russland habe auf Kriegswirtschaft umgestellt. Das ist insofern interessant, als Deutschland sich im Dauerzustand des Kriegsmodus befindet. Die Ausgaben für Militär und Rüstung haben schwindelerregende Ausmaße erreicht, zudem wird ganz offen darüber gesprochen, dass für die "Wehrhaftigkeit" Deutschlands und die "Unterstützung" der Ukraine andere Bereiche werden bluten müssen, etwa der soziale Bereich.
Gleichzeitig sind die wirtschaftlichen Daten für Deutschland aufgrund seiner verheerenden Sanktionspolitik in einem dunklen Keller gelandet, und selbst der Politiker, der sich Wirtschaftsminister nennt, gibt zu, dass die Lage schlecht ist (Robert Habeck spricht zwar davon, dass nur die Zahlen, nicht aber die Lage schlecht sei, doch das ist vergleichbar mit Unternehmen, die nicht pleite sind, sondern nur nichts mehr produzieren oder verkaufen).
Lauterbach hat seinerseits ein neues Geschäftsmodell entdeckt: die Versorgung von Verletzten im Falle eines militärischen Konflikts. Auch er ist also im Kriegsmodus und entdeckt für sein Ministerium neue Aufgaben, die dann vermutlich die alten schlicht ablösen werden. Der Deutschlandfunk dazu:
"Gesundheitsminister Lauterbach spricht von einer Zeitenwende auch für das Gesundheitswesen. Lauterbach hat angekündigt, das deutsche Gesundheitssystem auf mögliche militärische Konflikte vorzubereiten. Der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte der sozialdemokratische Minister, Deutschland müsse sich nicht nur für künftige Pandemien, sondern auch für große Katastrophen und eventuelle militärische Konflikte besser aufstellen."
Da spricht derselbe Mann, der in der Vergangenheit und in Zukunft in großem Stil Kliniken in Deutschland schließen wollte und will. Ob er nun davon absieht? Oder einfach die Stationen mit neuen Patienten belegen will, die in einem künftigen Krieg verwundet werden? Während also die Bevölkerung Deutschlands sich seit Jahren mit einem stetig schrumpfenden Gesundheitssystem abkämpfen muss, beschäftigt sich der Gesundheitsminister schon jetzt mit Kriegshelden und deren optimaler Versorgung.
Lauterbach mimt den einsamen Rufer in der Wüste, der ganz praktisch mitdenkt, wie der Deutschlandfunk fortfährt:
"Es wäre albern, so Lauterbach, zu sagen, wir bereiten uns nicht auf einen militärischen Konflikt vor, und dann wird er auch nicht kommen. Es geht nicht um Panikmache, sollte aber der Bündnisfall eintreten, werde Deutschland zur Drehscheibe bei der Versorgung von Verletzten und Verwundeten auch aus anderen Ländern. Lauterbach rechnet damit, spätestens im Sommer einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen zu können. Es gehe darum, dass im Krisenfall jeder Arzt, jedes Krankenhaus, jedes Gesundheitsamt wüsste, was zu tun sei. Es brauche klare Zuständigkeiten etwa für die Verteilung einer hohen Zahl an Verletzten auf die Kliniken in Deutschland."
Vom Bündnisfall war im Zusammenhang mit Deutschlands Rolle in der aktuellen Eskalationsspirale nicht oder kaum die Rede. Lauterbach aber spricht ihn ganz offen an, und seiner Persönlichkeit entsprechend kann das einfach gedankenlos geschehen sein oder mit dem bewussten Ansatz der Angsterzeugung innerhalb der Bevölkerung. Denn wenn ausgerechnet Lauterbach, der in der Corona-Episode einer derer war, die den Pandemie-Teufel gar nicht groß genug an die Wand malen konnten, jetzt sagt, er wolle "keine Panikmache" betreiben, ist das ein Treppenwitz der Geschichte.
Von Kopf bis Fuß auf Krieg eingestellt
Vom Kind bis zum Greis: Die Deutschen werden auf Krieg eingeschworen, ob sie wollen oder nicht. Die sich wie ein täglich wiederholendes Murmeltier heruntergeleierte Argumentation ist immer gleich: Wladimir Putin wolle uns angreifen, spalten, seinen imperialen Wünschen freien Lauf lassen und die glorreiche Demokratie des Westens zerstören.
Man muss sich diese Demokratie nur einmal etwas näher anschauen, um zum Schluss zu kommen, dass sie selbst es ist, die sich – ganz ohne fremde Hilfe – gerade zerstört. In Deutschland ist die Meinungsfreiheit bereits Geschichte, sie mag zwar im Grundgesetz festgeschrieben sein, wird aber von Gesetzen wie dem "Demokratiefördergesetz" einfach geschluckt. Die Pressefreiheit beruht auf einem Kollektiv staatstragender Medien, die nicht nur nachplappern, was ihnen vorgegeben wird, sondern sämtliche Medien, die ihrem ursprünglichen Job nachgehen – dem kritischen Blick auf die Politik der Mächtigen –, meinungs- und reichweitenstark das Leben schwer machen oder verunmöglichen.
Als Hoffnungsschimmer kann man die desaströse Ausrüstung der Bundeswehr betrachten, die schon vor dem Ukraine-Krieg ein Trauerspiel war. Mit ihr ist erfreulicherweise kein Krieg zu gewinnen, vermutlich nicht einmal zu führen. Doch jene kurz aufflammende Hoffnung wird zunichtegemacht, wenn man miteinbezieht, dass der allgemeine Zerfall nicht nur Deutschland, sondern die gesamte Europäische Union betrifft, Hand in Hand mit den USA, die als wankender imperialer Riese bezeichnet werden müssen.
Es ist die Kombination aus neoliberaler und menschenfeindlicher Politik, die Infrastrukturen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstört, die die Verarmung weiter Teile der Bevölkerungen befördert, und nicht zuletzt die zutage tretende Unterwürfigkeit der politischen Verantwortungsträger, die zu einem Prinzip der Selbstzerstörung führt.
Ein Krieg ist aus Sicht der politisch Verantwortlichen die letzte Option dieser von Grund auf gescheiterten Politik. Wie nahezu immer, wenn die innenpolitische bzw. systemische Lage auf eine Katastrophe zusteuert, muss ein äußerer Feind her, der dafür verantwortlich gemacht werden kann. Objektiv betrachtet ist Russland keine Bedrohung für Deutschland oder den Westen. Und objektiv betrachtet muss das Gesundheitssystem auch nicht auf den Bündnisfall vorbereitet werden. Es müsste aber vom Kopf auf die Füße gestellt werden, es müsste auf dem Prinzip der bestmöglichen Versorgung der Menschen beruhen, nicht auf dem der Rendite als oberstes Gebot.
Doch das ist das Problem, nicht nur das von Lauterbach, in diesem konkreten Fall steht der Gesundheitsminister aber stellvertretend für das westliche politische System: Lauterbach kann das deutsche Gesundheitssystem nicht mehr retten. Weil er die Entscheidungshoheit abgetreten hat an die Klinikchefs, die ihrerseits abhängig von Investoren, Hedgefonds und Vermögensverwalter sind. Einen Krieg herbeizureden, ist das Letzte, das Lauterbach und seinen Komplizen jetzt noch bleibt. Alles Weitere haben und werden auch künftig ganz andere entscheiden, und die stehen weit über der Gehaltsklasse von Lauterbach, Olaf Scholz und Kiesewetter.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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