Von Susan Bonath
Unverhohlene Freude am Töten, Massakrieren und Foltern von Palästinensern: Ein nicht unerheblicher Teil der israelischen Gesellschaft scheint von einer blutrünstigen Rachsucht besessen zu sein. In großen Gruppen leben hunderttausende Hebräischsprachige dies beim Messengerdienst Telegram nicht erst seit dem 7. Oktober aus. Verbindungen in Militär- und Regierungskreise sind wahrscheinlich.
Besonders sticht ein hebräischsprachiger Telegram-Kanal namens "dead terrorists" mit fast 127.000 Mitgliedern hervor. Zelebriert wird dort grausame Barbarei, darunter schwerste Kriegsverbrechen im Gazastreifen und im Westjordanland. Mit spöttisch kommentierten Aufnahmen brutal zugerichteter Leichen palästinensischer Männer, Frauen und Kinder, getöteter Journalisten oder gefolterter Gefangener peitscht sich die Community gegenseitig auf.
"Völkermörderischer Blutdurst"
Der auch in Deutschland erreichbare, bereits im April 2022 eröffnete Telegramkanal liefert erschütternde Zeugnisse von zwei Jahren grausamer Gewaltherrschaft über Palästinenser im Gazastreifen und Westjordanland. Zu sehen sind schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, verübt von Siedlern, Soldaten oder IDF-Einheiten. Das publizierte Material ist so verstörend, dass hier auf eine Verlinkung verzichtet werden muss.
Auch der aus einer jüdischen Familie stammende Journalist Max Blumenthal zeigte Anfang Februar fassungslos über die Inhalte des Kanals, den er als von Israel aus betrieben identifizierte. Er sagte in einem Videostatement, dass "die israelische Gesellschaft von einem völkermörderischen Blutdurst besessen" sei. Hier muss man wohl mehr differenzieren, denn viele Israelis heißen das sicherlich nicht gut.
Perverse Lust am Töten und Foltern
Der Inhalt ist an Grausamkeit kaum zu überbieten. Ein am 21. Februar geteiltes Foto zeigt beispielsweise einen trauernden palästinensischen Vater aus Gaza mit seinem durch Israels Krieg getöteten, in ein Leichentuch gewickelten Baby im Arm. Das Gesicht des toten Kindes wurde ausgeschnitten, diese Fläche mit Nahrungsmitteln "verziert" und das manipulierte Foto mit einem verspottenden Kommentar ergänzt.
Diese Darstellung ist eine von vielen dieser Art. Gezeigt und verhöhnt werden Leichenberge aus Gaza, trauernde Angehörige bei ihren toten Familienmitgliedern, mit Brandwunden übersäte Bombenopfer, in Blutlachen herumliegende Tote und Körperteile, illegale Erschießungen Unbewaffneter, auch Kinder darunter, Folter an Gefangenen, Morde an Ärzten und Journalisten, die flächendeckende Zerstörung ziviler Infrastruktur, hungernde Menschen – bis zum Aufruf zu gezieltem Massenmord an Frauen und Kindern.
Zeugnis jahrelanger Barbarei
Die Barbarei begann demnach lange vor dem Angriff von Hamas-Kämpfern und anderen Gruppen aus dem Gazastreifen auf israelische Soldaten und Zivilisten. Bereits im April 2022 fütterten die Betreiber ihren Kanal mit unzähligen Fotos von gefolterten, erniedrigten, erschossenen, verstümmelten, teils regelrecht zu Tode massakrierten Palästinensern jeden Alters, darunter immer wieder Kinder und Frauen. Mehreren dargestellten Opfern wurde offenbar mit Absicht der Kopf weggesprengt.
Das grauenhafte Bildmaterial und die rassistischen, entmenschlichenden Kommentare dazu stellen wohl manches Gewaltvideo des Islamischen Staats (IS) geradezu in den Schatten. Die palästinensischen Opfer bezeichnen die Kanalbetreiber wahlweise als Kakerlaken, Ratten oder Schweine, den Gazastreifen nennen sie konsequent "Nazistreifen".
Das Ausmaß der Brutalität, das die israelischen Besatzer lange vor dem 7. Oktober gegen Palästinenser an den Tag legten, ist freilich eine Vorgeschichte, die in der westlichen Berichterstattung fast immer unter den Tisch fällt. Das ist so ähnlich wie beim Ukrainekrieg, wo der Kontext der antirussischen Propaganda geopfert wurde. Allein die Inhalte dieses Kanals strafen die eisernen Israel-Solidarischen der Lüge. Es ist wohl eher ein Wunder, dass es in Palästina nicht schon viel früher so wie am 7. Oktober eskaliert ist.
Verbindungen zur IDF?
Bemerkenswert groß ist die Zahl der Mitglieder. Fast 127.000 Nutzer sind erheblich viele, wenn man bedenkt, dass der Kanal ausschließlich auf Hebräisch betrieben wird. Dieser Sprache sind nur etwa neun Millionen Menschen weltweit mächtig. Wohl gehören auch die meisten Kanalmitglieder dazu, denn die Kommentarfunktion wird – freilich auf Hebräisch – ausgesprochen rege genutzt.
Der Kanal wird wohl von Israel aus betrieben. Darauf deutet regelmäßig geschaltete Werbung für israelische Firmen und Geschäfte hin. Wahrscheinlich besteht auch ein direkter Draht zur IDF und in die Regierungskreise. Zwar nutzt der Kanal wohl auch gestohlenes Bild- und Videomaterial von palästinensischen Fotografen und arabischen Sendern. Aber viele Aufnahmen stammen ersichtlich direkt von Soldaten der IDF, was auf irgendeine Form der Zusammenarbeit schließen lässt.
Jüngst war verschiedenen Medien bereits ein anderer israelischer Kanal unter dem Titel "72 virgins – uncensored" mit rund 5.300 Mitgliedern und ähnlichen Inhalten aufgefallen. Im Dezember 2023 berichtete Middle East Monitor darüber und nannte als Betreiber das israelische Militär. Anfang Februar bestätigte dies die israelische Zeitung Haaretz.
Schließlich griff die Jerusalem Post die Geschichte am 6. Februar auf. Urheber dieses angeblich "nicht autorisierten" Kanals war demnach eine "IDF-Einheit für psychologische Kriegsführung". Das in diesem inzwischen entweder gelöschten oder umbenannten Kanal verbreitete Videomaterial ähnelt den – vorsichtig gefassten – Beschreibungen zufolge jenem, das vom Kanal "dead terrorists" veröffentlicht wird.
Bezug zu regierungsnahem Kanal
Für den heißen Draht der Kanalbetreiber in Regierungs- und Militärkreisen spricht eine weitere Verbindung. So werben sie etwa immer mal wieder für einen größeren hebräischsprachigen Telegramkanal namens "TheBigBadShadow" ("Der große böse Schatten" – gemeint sind wohl die Palästinenser) mit sogar 306.000 Mitgliedern und regen Unterhaltungen im zugehörigen Chat.
Dort geteilte Fotos und Videos zeigen zwar meist nicht ganz so grausame Darstellungen, stammen aber noch offensichtlicher aus Militär- oder Regierungskreisen. Dazu gehören nicht nur von IDF-Soldaten selbst gefilmte Armeeeinsätze im Westjordanland oder an den abgeriegelten Grenzen zu Gaza. Gezeigt und bejubelt werden etwa auch frisch von IDF-Scharfschützen hingerichtete oder schwer verletzte Palästinenser.
Politische Bekundungen und publizierte interne Dokumente lassen eine besondere Nähe zum israelischen Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir vermuten, der 2007 in Israel wegen Anstiftung zum Rassismus und Unterstützung einer Terrorvereinigung verurteilt wurde. Aber auch der Likud, das ultrarechte Parteienbündnis, dem Israels Premierminister Benjamin Netanjahu vorsteht, wird angefeuert, noch härter gegen die unterdrückte palästinensische Bevölkerung vorzugehen.
Belege für Rassismus liefert auch dieser Kanal unzählige. Beispielsweise verbreitete er am 29. September 2023 eine Art Rassenkunde über "die vier jüdischen Stämme" in Israel. Die israelischen Palästinenser werden in diesem Erguss als "schädliches Unkraut", das man "jäten" müsse, beschimpft. Das ist ein klarer Aufruf zu rassistisch motiviertem Töten und Vertreiben dieser Menschen, und es ist nicht der einzige.
Westliche Moralapostel schauen weg
In Deutschland würden die meisten Inhalte dieser Kanäle gesichert unter den Straftatbestand Volksverhetzung fallen. Theoretisch jedenfalls: Denn von einem gesetzlichen Verbot dieser mörderischen Hetzplattformen war bisher nicht die Rede. Eine Presseanfrage ließen das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt mehrere Tage unbeantwortet.
Stattdessen verbieten die EU und Deutschland lieber diesbezüglich wirklich nicht auffällige russische Medien. Man will eben vor allem die Wirkung der eigenen Propaganda sichern. Die deutsche Staatsräson hat, Gesetze und Holocaust-Gedenken hin oder her, zuallererst wohl die imperialistische Agenda des Westens im Blick. Dafür ist Israel ein wichtiger Stützpfeiler in Nahost. Da drücken westliche Moralapostel selbst bei unverhohlenen Aufrufen zum Völkermord und obszönen Gewaltdarstellungen schon mal alle Augen zu.
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