Von Martin Jay
Ursula von der Leyen möchte eine zweite Amtszeit als Präsidentin der Europäischen Kommission antreten. Dafür hat sie die politische Unterstützung der mächtigsten gesamteuropäischen konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Aber kann sich Europa – ja, sogar der Rest der Welt – mit der engstirnigen Sichtweise dieser Deutschen auf die Rolle Europas in einer neuen multipolaren Weltordnung abfinden? Insbesondere, wenn sie in vielerlei Hinsicht wie ein weiblicher Klon von Joe Biden daherkommt – mental steckengeblieben in den 1980er Jahren, mit den dazu passenden Ansichten über die USA, die jeden und alles im Griff haben und alles und jeden dominieren, selbstverständlich Russland hassen und Putin für alles verantwortlich machen, was schief geht?
Die Ambitionen von Ursula von der Leyen auf eine zweite Amtszeit sind kein Präzedenzfall, nachdem sich auch José Manuel Barroso für eine zweite Amtszeit bewarb, begleitet von Gerüchten, er habe dies nur deshalb getan, weil er verhindern wollte, dass in Portugal eine behördliche Untersuchung gegen ihn in Sachen Pädophile sein politisches Erbe beschmutzen könnte. Die EU würde hier also gar kein Neuland betreten. Aber das System der "Wahl" eines Präsidenten der Europäischen Kommission – jeder Mitgliedsstaat stellt seinen eigenen Kandidaten vor, der letztendlich von den Abgeordneten gewählt wird – könnte Ursula auf analoge Ideen gebracht haben, indem ihre zweite Amtszeit auch als eine Möglichkeit betrachtet wird, umständliche behördliche Untersuchungen wegen vermutlicher Korruption zu vermeiden, die unvermeidlich eingeleitet werden würden, sobald sie ihr jetziges Amt verlässt.
Da ist etwa ihre dubiose Beziehung zum US-Pharmakonzern Pfizer, der unter ihrer Aufsicht an die EU Impfstoffe im Wert von Milliarden Euro verscherbeln durfte, während gleichzeitig die ganze Angelegenheit samt Vertragstexten vor der Öffentlichkeit geheim gehalten wurde. Dann kam heraus, dass ihr Ehemann zu dieser Zeit für ein Biotech-Unternehmen in den USA arbeitete, das seltsamerweise ebenfalls Zuschüsse in Millionenhöhe erhielt und mit Pfizer in Verbindung stehen könnte – diese unappetitliche Geschichte könnte sie dann doch noch einholen.
Somit ist es keine Überraschung, dass die internen Abteilungen für die angebliche Aufsicht und Betrugsbekämpfung der EU bisher nur zum Schein Verfahren eingeleitet haben, um die Beziehung von Ursula von der Leyen zu Pfizer zu "untersuchen" – und erwartungsgemäß weder korrupte Handlungen noch einen Interessenkonflikt feststellen konnten. Aber es ist die New York Times, die mit dem Finger auf sie zeigt, weil Ursula vorgibt, nicht mehr im Besitz der Textnachrichten über den Impfstoff-Deal zwischen ihr und den Chefs von Pfizer zu sein, während immer noch solch ein übler Geruch in der Luft hängt.
Wenn die Abgeordneten des Europäischen Parlaments Frau von der Leyen im kommenden Spätsommer, im Rahmen einer ihrer ersten wichtigen Aufgaben im Parlament ins Kreuzverhör nehmen dürfen, könnte es aber nicht nur um Korruption gehen. Es könnte auch um die Tatsache gehen, dass viele Abgeordnete sie einfach nicht mögen und ihr vor allem auch nicht vertrauen. Und auch wenn man davon ausgeht, dass noch mehr rechtskonservative Abgeordnete ins neu gewählte Parlament einziehen werden, auch dann könnte die Zahl der Abgeordneten, die ihr ablehnend gegenüberstehen, beträchtlich gewachsen sein – was dazu führen könnte, dass von der Leyen zwar kandidiert, aber keinen Erfolg haben wird, in eine zweite Amtszeit gewählt zu werden.
Vielen Abgeordneten missfällt einfach sehr, wie diese Person fast vom ersten Tag ihrer ersten Amtszeit an die meisten Krisen, die sie zu bewältigen hatte, vermasselt hat und in der Folge der EU nicht nur eine Konstellation immer neuer Probleme bescherte – wobei die Einwanderung zu einem Schlüsselproblem wurde –, sondern auch die EU-Schuldenspirale immer höher schraubte. Aber selbstverständlich hat "Ursula", wie Joe Biden sie nennt, auch auf dieses Durcheinander eine Antwort: Einfach den EU-Haushalt erhöhen, wie sie trocken in ihrer Eröffnungsrede auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz vorschlug.
Viele werden im Europäischen Parlament und in weiten Teilen der EU argumentieren, dass der "Job" als Präsidentin der Europäischen Kommission von vornherein einfach außerhalb ihrer Liga spielte: Ein Niemand, die mit dem Dünkel der deutschen Politik daherkam, was der studierten Gynäkologin die Möglichkeit gab, in der EU herumzuschnüffeln und davon zu profitieren. Aber die EU setzt nun einmal traditionell in aller Regel auf solche Kandidaten als Kommissionspräsidenten, die undurchsichtig und inkompetent sind.
Kaum 100 Tage nach ihrem Amtsantritt folgten auf die Pandemie ein rasanter Anstieg der illegalen Migration, dann Russlands Militäroperation in der Ukraine, eine rekordverdächtige Inflation, gepaart mit der offenbar willkommenen Kappung der billigen Energieversorgung aus Russland, gefolgt von einem allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang, der viele EU-Mitgliedstaaten sehr hart traf, wobei Deutschland, das Heimatland von Ursula von der Leyen, dabei härtesten getroffen wurde..
Einige werden sich an sie erinnern, weil sie das Virus nur sehr langsam direkt bekämpfte und darauf wartete, dass ein französischer Impfstoff anstelle eines amerikanischen Impfstoffs verfügbar wurde, der viele Menschenleben kostete, bevor sie die Demütigung erfuhren, den Pfizer-Impfstoff kaufen zu müssen.
Laut dem Nachrichtenportal Politico, einer US-amerikanischen Website, die auf der Seite des Establishments steht und auch entschieden für die EU einsteht, war von der Leyen die "Spitzenreiterin eines geschichtsträchtigen 750-Milliarden-Euro-Kunjunkturfonds, um die Wirtschaft innerhalb der Union nach den lähmenden Monaten des Stillstands wieder in Schwung zu bringen. Monate später beaufsichtigte sie eine beispiellose gemeinsame Beschaffung von Impfstoffen, um sicherzustellen, dass alle Mitgliedstaaten zu gleichen Bedingungen Zugang zu der lebensrettenden Behandlung hatten."
Eine etwas gröbere, weniger freundliche Übersetzung dieser Art EU-Phrasen wäre: "Sie hat der EU eine fantastische Menge Geld als Kredit aufgebürdet, der von den nächsten Wählergenerationen in Form höherer Steuern abbezahlt werden muss, und zögerte bei der Beschaffung von Impfstoffen, während Hunderttausende von Europäern, insbesondere in Italien und Spanien, tot umfielen."
Ursula von der Leyen gilt in mancherlei Hinsicht als ein weiblicher Klon des US-Präsidenten Joe Biden. Tatsächlich werden wohl einige argumentieren, dass es letztlich Bidens Entscheidung war, gerade ihr eine Verlängerung der Amtszeit als Regentin der EU zu ermöglichen – auch deshalb, weil er schließlich jemand anderen anstelle von Ursula von der Leyen für den Posten des nächsten NATO-Sprechers mit dem Titel "Generalsekretär" bestimmt hat. Dieser wird sein Amt genau zum selben Zeitpunkt antreten, wenn das neu konstituierte Europäische Parlament im Juni über eine zweite Amtszeit für Ursula von der Leyen zu beraten hat. Biden hat – wie auch für die NATO – nach jemandem gesucht, der so dumm und untertänig ist wie Jens Stoltenberg, was an sich schon eine mühsame Aufgabe ist. Aber mit der Entscheidung, einen bewährten deutschen Dackel in Brüssel zu behalten, scheint es ihm das auch für die EU gelungen zu sein.
Ersterscheinung in englischer Sprache auf Strategic Culture Foundation.
Martin Jay ist ein preisgekrönter britischer Journalist mit Wohnsitz in Marokko, wo er als Korrespondent für die britische Daily Mail (UK) arbeitet. Zuvor berichtete er von dort aus für CNN und Euronews über den Arabischen Frühling.
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