Von Tom J. Wellbrock
Der geneigte Leser mag sich fragen: Warum die Briten? Ein in andere Richtung Sinnierender dagegen könnte denken: Na klar, wieso bin ich darauf nicht vorher gekommen? Rufen wir uns ein paar Ereignisse in Erinnerung, die womöglich ganz weit unten im Gedächtnis liegen und die man jetzt noch einmal hervorholen, näher betrachten und ein wenig hin- und herdrehen sollte.
Interessant ist zum Beispiel der Zeitpunkt von Nawalnys Ableben. In Russland stehen die Präsidentschaftswahlen bevor, und die Schwächung Putins ist eines der großen Hobbys des Westens. Wenn man ihm also kurz vor dem Gang zu den Wahlurnen womöglich ein paar Stimmen abspenstig machen könnte, sollte man das unbedingt versuchen. Und so kam es dann.
Auch Tucker Carlson darf nicht übersehen werden (natürlich nicht als Täter). Denn das Interview, das er unlängst mit Wladimir Putin führte, war keines, dem nur ein paar Leute am Stammtisch Aufmerksamkeit schenkten. Es erreichte vielmehr eine große Reichweite und atemberaubende Außenwirkung. Das war nicht gut, ganz und gar nicht gut, wenn der russische Präsident so vielen Leuten mal seine Sicht der Dinge schildern kann. Da ist dann ein rascher Schwenk hinüber zu einem anderen Thema – zu einem mächtig bösen Thema – doch gar keine so schlechte Idee. Und so kam es dann auch.
Die vergiften, die Briten!
Großbritannien ist gewissermaßen ein ziemlich vergifteter Landstrich. Denn dort sind schon einige Gesellen ums Leben gekommen oder gebracht worden. Etwa Boris Beresowski, ein russischer Oligarch, der bei den Briten Unterschlupf gefunden hatte, nachdem er sich gegenüber Putin wiederholt unangenehm geäußert hatte. Von seinem Londoner Anwesen aus war im Jahr 2013 zu vernehmen, Beresowski habe sich eine Menge Gedanken gemacht und darüber nachgedacht, doch wieder ins kalte Russland zurückzukehren. In seinem Gepäck sollen damals auch viele Unterlagen gewesen sein, die er mitnehmen wollte. Er überlebte sein Vorhaben nicht.
Ähnlich endgültig endete die Existenz von Alexander Litwinenko, einem Mitarbeiter von Beresowski, der schon 2006 eine falsche Tasse Tee zu sich genommen hatte. Man vermutete ein Missverständnis, denn in seinem Tee befand sich neben dem Zucker noch eine Portion Polonium, die ihm gar nicht gut bekam. Es war der letzte Tee, den Litwinenko in seinem Leben trinken sollte.
Das Nowitschok-"Reinheitsgebot"
Und ganz gewiss erinnern Sie sich noch an Alexander Skripal und dessen Tochter. Der Ex-Spion musste Anfang März 2018 dran glauben. Nein, genauer gesagt, durfte er nun daran glauben, dass man eine Nowitschok-Vergiftung überleben kann. Das ist durchaus bemerkenswert und ungewöhnlich, gilt dieses Gift doch als äußerst effektiv und sehr, sehr tödlich (verzeihen Sie das zweite "sehr", auch Donald Trump sagt das auch immer so, wenn er etwas besonders hervorheben möchte). Wissen Sie, was aus den Skripals geworden ist? Falls ja, bin ich für sachdienliche Hinweise dankbar.
Aber schauen wir uns noch einmal das Datum der in diesem Fall nicht sehr, sehr tödlichen Vergiftung an den Skripals an. Diesmal war es März, der März im Jahr 2018, und auch damals wollte sich Putin kurze Zeit später zum Präsidenten wählen lassen (was ihm, wie wohl alle wissen, auch gelang). Nun winken Sie doch nicht gleich "Verschwörungstheorie" murmelnd ab, man wird ja wohl noch auf zeitliche Parallelen hinweisen dürfen, die offensichtlich sind.
Nowitschok-Nawalny
Kehren wir zum russischen "Widerstandskämpfer" Nawalny zurück, der angetreten war, alle Kakerlaken auszurotten, also jene Menschen, die ihm als einem überzeugten Rassisten und Rechtsextremisten nicht in den Kram passten. Auch er musste Bekanntschaft mit dem sehr, sehr tödlichen Gift Nowitschok machen. Und zwar im Jahr 2020, als er in der russischen Provinz bei einer seiner flammenden Reden zusammenbrach. Also, ab in den Flieger, und zwar nach Deutschland, wo dem Mann geholfen werden konnte.
Wieder einmal wirkte das Gift also nicht so richtig, und böse Zungen behaupten, dass das womöglich daran liegen könnte, dass es sich nicht um das Original, sondern um eine schlechte britische Fälschung gehandelt haben könnte. Denn (erwähnte ich das schon?) Nowitschok haben auch die Briten hergestellt, und zwar in Salisbury, unweit vom Tatort, an dem Skripal nicht dran glauben musste.
Jedenfalls nutzte Nawalny seine Genesungsphase, um sich prachtvolle Paläste am Schwarzen Meer auszudenken, die angeblich Putin gehören sollten. Taten sie nicht, war alles Schwachsinn, aber weisen wir diese Albernheit einfach den Nachwirkungen von Nowitschok zu, irgendetwas muss das Gift ja bewirken, wenn es schon nicht tötet.
Der nächste "Novit-Schock"
Jetzt rätselt alle Welt über die Ursache, die zu Nawalnys Tod geführt hat. Und wie es der Zufall so will, wird mal wieder das Gift Nowitschok ins Gespräch gebracht. Nawalnys Witwe wird auf merkur.de mit der These eines Giftanschlags durch Nowitschok zitiert. Im selben Artikel kommt ein "Experte" zu Wort, der eine alte KGB-Methode favorisiert: Tod durch Kälte-Folter. Dabei wird der Körper auf eine niedrige Temperatur gebracht, um im Anschluss durch gezielte Faustschläge aufs Herz des Opfers sein Lebenslicht auszuhauchen. Klingt ziemlich aufwändig, aber so ist er halt, der Russe.
Julia Nawalnaja, die Witwe, die jetzt in die Fußstapfen ihres Mannes treten will, weiß nicht nur, dass ihr Gatte mit Nowitschok vergiftet wurde, sie hat laut t-online.de auch gleich angekündigt, in den nächsten Tagen die Namen seiner Mörder bekanntgeben zu wollen. Es ist wohl eher nicht damit zu rechnen, dass diese Namen englisch klingen werden.
Aber der Artikel auf merkur.de beginnt mit dem Hinweis auf die Orte, an denen diese Enthüllungen entstanden sind. Und da steht – lassen wir es einfach als Zufall durchgehen – "London/Paris".
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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