Der Stellvertreterkrieg der NATO in der Ukraine wird mit dem Fall von Awdejewka nicht enden

Der fast ein Jahrzehnt alte Konflikt, der vor zwei Jahren zu einem veritablen Krieg geworden ist, wird in den nördlichen Donezker Ausläufern weitergehen. Es wird weitere Terroranschläge geben und die Not der Zivilbevölkerung könnte noch eine ganze Weile andauern.

Von Pepe Escobar

Um es mit den Worten von Bob Dylan zu sagen:

"It's All Over Now, Baby Blue."

Übersetzt:

"Jetzt ist alles vorbei ..." 

Awdejewka ... Der Name klingt wie eine Beschwörung. So wie Debalzewo oder Artjomowsk (Bachmut). Wie ein Zauberwort, das einen Geist in der Gestalt einer militärischen Einkesselung aus der Flasche lässt.

So wie es aussieht und sich alles rasend schnell bewegt, bleibt nur noch etwa ein zwei Kilometer breiter Flaschenhals, bis der Kessel vollständig geschlossen ist. Nahezu alle Straßen und Wege stehen unter massiver russischer Feuerkontrolle. Und mittlerweile wird berichtet, dass die Stadt selbst bereits in russischer Hand sein soll und noch bis zu 6.000 Soldaten der Streitkräfte der Ukraine (AFU) im Kessel übrig geblieben sein könnten. Sie können so gut wie nirgendwohin gehen. Sie sind bereits in der Hölle oder gehen direkt in die Hölle.

Syrski, "Der Schlächter", der vor Kurzem als Nutznießer eines fiesen Hahnenkampfs in Kiew zum Oberbefehlshaber der AFU ernannt wurde, besorgte sich umgehend nach Amtsantritt einen neuen Kessel, in den er seine Männer hineinwerfen und in dem er diese verheizen konnte, wie zuvor in Artjomowsk (Bachmut). Gerüchten zufolge, soll er auch bereits beim Kessel von Debaltsewo kommandierend zugegen gewesen sein. Alte Gewohnheiten sind eben schwer abzulegen.

Die Moral und der psychologische Zustand der Soldaten der AFU liegen in Trümmern. Die Neonazis des Asowschen Bataillons werden durch massive Artillerie, Drohnen und gelenkte Freifallbomben dezimiert. Dennoch bereiten die Generäle der AFU die Bühne für die Verkündung eines weiteren "Siegs" vor – eine Wiederholung der Vorgänge nach den Niederlagen bei Ilowajsk und Debaltsewo. Der eigentliche Rückzug, die Evakuierung oder "Extraktion" der verbliebenen Soldaten in Awdejewka durch den verbliebenen Flaschenhals, wird durch die Hölle erfolgen. Tatsächlich war General Saluschny der einzige Protagonist, der sich gerade noch rechtzeitig erfolgreich mit heiler Haut aus dieser Hölle befreien konnte. Oder um Dylan zu zitieren: 

Tritt einen neuen Kampf an, beginne neu.

Jetzt ist alles vorbei, Baby Blue.

Die Achse des Widerstands und ihre slawische Komponente

Während meiner jüngsten Reise durch den Donbass vor wenigen Tagen war Awdejewka – das Zauberwort– allgegenwärtig. Bei einem Treffen in einem geheimen, in Dunkelheit getauchten Anwesen am westlichen Stadtrand von Donezk stellten zwei Kommandeure orthodoxer christlicher Bataillone bei der Taktikbesprechung fest, dass der Fall dieser Vorstadt von Donezk nur noch eine Frage von Tagen oder höchstens Wochen sein würde. Mittlerweile soll es gefallen sein.

Die Symbolik überschreitet dabei Grenzen und geht über die menschliche Erfahrung hinaus. Kiew hat Awdejewka fast zehn Jahre lang stark befestigt und gegen Angriffe gewappnet – im Wesentlichen, um weiterhin ungestraft und bis in alle Ewigkeit, Zivilisten in Donezk und anderen Teilen des nördlichen Donbass mit Artillerie zu beschießen. Donezk bleibt weiterhin äußerst verwundbar und der Beschuss hält noch an. Die Willensstärke, Widerstandskraft und der religiöse Glaube der Bewohner dieser historischen Bergbaustadt – und jener der umliegenden Ausläufer – sind zutiefst bewegend.

In einem ganz besonderen Gespräch mit Alexander Dugin haben wir direkt und indirekt deutlich gemacht, dass die Arbeiterklasse von Noworossija – so wie die Gebiete, die jetzt von Russland befreit wurden und auch historisch einst so hießen – im Geiste Brüder der Unterdrückten in Palästina und im Jemen sind. Ja, die Achse des Widerstands in Westasien spiegelt sich in der slawischen Achse des Widerstands auf der Schwarzerde und in den Steppen der Ostukraine wider.

So sehr Russland in einen zivilisatorischen Krieg gegen den kollektiven Westen verwickelt sein mag, so sehr ist dieser Krieg auch ein spiritueller. Der Stellvertreterkrieg des westlichen Hegemons gegen Russland in der Ukraine ist ebenso ein geopolitisches Spiel eines Hasardeurs wie jener Krieg des westlichen Nihilismus gegen die russische Orthodoxie.

Ich habe einem der Kommandeure gegenüber die Parallele zwischen orthodoxem Christentum und Schiismus erwähnt. Er schmunzelte zwar amüsiert, hat aber definitiv den Kern der Aussage verstanden. Schließlich muss auch ihm instinktiv bewusst geworden sein, dass es die Ausgegrenzten, Schikanierten und Bombardierten im orthodoxen Christentum und im Islam waren, die den Überlebenskrieg wiedererweckt haben. In Grenzen, die um einiges über die menschliche Erfahrung hinausgehen – bestärkt durch den jeweiligen Glauben.

Weit über die Beschwörung von Awdejewka hinaus – als eine Art Katalysator in all diesen schwierigen Zeiten, als ob Maria, die Mutter Gottes, selbst Trost spenden würde – beeindruckte mich auf dieser atemberaubenden Reise durch den Donbass vor allem die allmächtige Kraft des Volkes. Die Zivilisten sind die wahren Helden der vollständigen Befreiung von Noworossija, ebenso wie die versprengt lebenden Menschen in Syrien, Palästina, Libanon, Irak und Jemen.

Dies sind die Seelen, die eine Hölle auf Erden ertragen mussten.  Eine Hölle, die viel giftiger ist und viel länger andauerte – und noch andauert – als der Kessel von Awdejewka. Eine Hölle, die entstand, als der Zionismus und die ihm folgenden Kolonialsiedler mit ihrem Kult vom kommenden Weltuntergang das Heilige Land übernommen haben, es in eine Garnison verwandelten und die ursprünglichen Bewohner in KZ-ähnliche Freiluftgefängnisse warfen.

Bei den Menschen in Noworossija ist der religiöse Glaube ebenso wie bei den jemenitischen Huthi in die DNA eingebrannt. Die zutiefst engagierten Kommandeure und Soldaten, denen ich in Noworossija nahe der Front begegnet bin, spiegeln diese Gemeinsamkeit wider.

Zocker auf der Highway der Hoffnung

Für jemanden aus der Generation der Babyboomer aus dem Westen ist es unvermeidlich, sich auf Bob Dylan zu beziehen, wenn wir wieder mal unterwegs sind: 

Die Highway ist für Zocker,

nutze lieber deinen Verstand:

Halte fest, was der Zufall

dir zugespielt hat.

Irgendwie sind die ultimativen Glücksspieler diese freiwilligen Vertragssoldaten, die eine Macht des unerschütterlichen Glaubens heraufbeschwören, mit dem sie ihr Land und ihre Heimat verteidigen. Für die Bauernopfer im westlichen Teil des Spiels, die entweder kapitulieren oder sterben werden, wenn der Kessel bis zum Maximum kocht, heißt es:

Sogar der Himmel strauchelt unter dir.

Jetzt ist alles vorbei, Baby Blue.

Der von Macht berauschte Mann zerstört alles, was vor ihm liegt, und wird dann seinerseits zerstört – das ist das Schicksal des gegenwärtigen Imperiums der Lügen. Dann ist da noch der Weg, dem der Dichter oder spirituelle Krieger folgt, dessen Seele die Harfe ist, die gewaltige, unsichtbare, wundersame Kräfte beschwört.

Natürlich wird der Stellvertreterkrieg in der Ukraine nicht mit Awdejewka enden. Er wird in den nördlichen Donezker Ausläufern weitergehen. Es wird weitere Terroranschläge geben und die Not der Zivilbevölkerung könnte noch eine ganze Weile anhalten. Glasklar ist jedoch bereits, dass jeder unterdurchschnittliche Schachspieler, der mit der "regelbasierten internationalen Ordnung" bewaffnet daherkommt und davon träumt, die russische Seele in tausend Jahre alten russischen Gebieten zu besiegen, unweigerlich dem Untergang geweiht ist.

It´s all over now, Baby Blue!

Erstveröffentlichung in englischer Sprache bei der Strategic Culture Foundation.

Pepe Escobar ist ein unabhängiger geopolitischer Analyst und Autor. Sein neuestes Buch heißt "Raging Twenties" (Die wütenden Zwanziger). Man kann ihm auf Telegram und auf X folgen.

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