Von Susan Bonath
Erst die desaströse Corona-Politik, dann bis zum Exzess verschärfte Sanktionen gegen Russland, obendrauf der Terroranschlag auf die Nordstream-Pipelines, an dessen Aufklärung die Bundesregierung nicht interessiert scheint: Die schwere Energiekrise in Deutschland, die Preise explodieren und die Wirtschaft fliehen und schrumpfen lässt, war absehbar. Sie ist vor allem ein Produkt der Politik. Diese feilt nun an Lösungen – zulasten des Gemeinwohls und der lohnabhängigen Mehrheit.
Die Hauptverursacher der Krise streiten um das Wie: Das schlecht gemachte, aber schön betitelte "Wachstumschancengesetz" der Ampel – vom Parlament bereits beschlossen – ließen die unionsregierten Länder im Bundesrat abblitzen. Der Vermittlungsausschuss schlichtet, die Ampel ruderte zurück. Nun legte die CDU/CSU-Fraktion ein eigenes Zwölf-Punkte-Programm vor, mit dem sie die Konjunktur beleben will.
Das Unionspapier klingt rigoroser. Doch wenn CDU-Chef Friedrich Merz, Ex-BlackRock-Mann und rechter Hardliner, mit seiner selbsterklärten Wirtschaftskompetenz in den Medien hausieren geht, sollten in der lohnabhängigen Mehrheitsbevölkerung die Alarmglocken schrillen. Denn sie – es war nicht anders zu erwarten – soll wieder mal zur Ader gelassen werden. Auch wenn der Plan in Teilen gut klingt: Er ist ein Angriff auf die öffentliche Daseinsvorsorge, die sozialen und Arbeitnehmerrechte.
Minusgeschäfte für die Daseinsvorsorge
Das im Bundesrat an den unionsgeführten Ländern vorerst gescheiterte "Wachstumschancengesetz" sah unter anderem lukrativere Abschreibungsmöglichkeiten für Immobilienkonzerne, Fördermittel für klimagerechten Umbau und kleinere Steuererleichterungen für Unternehmen vor, um abwanderungswilliges Kapital im Land zu halten.
Dadurch bedingte Mindereinnahmen des Staatshaushalts sollten dieses Jahr rund 2,65 Milliarden, von 2025 bis 2027 jährlich zwischen 7,6 und 10,1 Milliarden und 2028 etwa 4,1 Milliarden Euro betragen. Die Union kritisierte daran unter anderem, dass ein zu großer Anteil auf die ohnehin schon unterfinanzierten Kommunen abgewälzt würde. Außerdem bestanden CDU und CSU darauf, dem Gesetz erst zuzustimmen, wenn die Ampel von der geplanten Rücknahme von Steuersubventionen für Landwirte absieht.
Die Ampelkoalition stutzte daraufhin ihr Gesetz. Das Einnahmen-Minus soll nun jährlich bei etwa 3,2 Milliarden Euro liegen, die Kommunen weniger zusätzlich belastet werden. Ein Minusgeschäft für die öffentliche Daseinsvorsorge bleibt es trotzdem. Und ihren wichtigsten Punkt strich die Ampel auf Druck der Union komplett: Die Klimaschutz-Investitionsprämien für Unternehmen.
Große Versprechen mit wenig Inhalt
Die Union will ihr eigenes Programm noch im Februar in den Bundestag einbringen. Es ist geschickt genug formuliert, um die gegen die Mehrheit gerichtete Agenda darin erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Zum Beispiel fordert sie darin, die Sozialabgaben für lohnabhängig Beschäftigte auf 40 Prozent des Bruttolohns zu begrenzen. Das ist jedoch eine Schimäre: Aktuell beträgt der Arbeitnehmeranteil an den Sozialabgaben knapp 20 Prozent vom ausgewiesenen Brutto. Der Arbeitgeberanteil kommt obendrauf und ist fast genauso hoch. Auf 40 Prozent kommt man selbst dann nicht, wenn man diesen dazurechnet.
Ein Minihäppchen verspricht die Union einer ihrer größeren Wählergruppen: jenen Rentnern, die ihre mageren Altersbezüge mit Erwerbsarbeit aufbessern (müssen). Sie sollen pro Jahr 2.000 Euro steuerfrei dazuverdienen dürfen, also etwa 167 Euro im Monat. Die Krux: Um in den Genuss zu kommen, benötigt man zunächst eine ausreichend hohe Rente.
Man muss nämlich wissen: Der steuerliche Grundfreibetrag liegt aktuell bei 11.604 Euro im Jahr, also 967 im Monat. Darauf sind keine Steuern fällig. Bei Rentnern, die nebenher arbeiten, werden Rente und Erwerbseinkommen zusammengerechnet. Das heißt: Wenn jemand nur 800 Euro Rente erhält, fallen 2.000 dazuverdiente Euro pro Jahr ohnehin unter den Grundfreibetrag. Für diese Gruppe würde sich nichts ändern. Erst bei höheren Renten plus Erwerbseinkommen würde nach dem Willen der CDU entsprechend der Grundfreibetrag aufgestockt, was dann zu einer minimal geringeren Steuerlast führt.
Programm zum Leeren öffentlicher Kassen
Ein weiterer Unionsplan, die Stromsteuer zu senken, hülfe auch Privathaushalten, großen energieintensiven Unternehmen aber umso mehr, was letztlich die Staatseinnahmen besonders mindern würde. Nach dem Motto "arbeiten bis zum Umfallen" sollen überdies Überstunden steuerlich auch ein wenig vorteilhafter werden. Aber da hört es auch schon auf mit mickrigen Verbesserungen für "die kleinen Leute".
So geht es schließlich vor allem darum, das Kapital zu bezirzen, in Deutschland zu bleiben. Beispielsweise mit großzügigen Steuersenkungen auf Gewinne, die "im Unternehmen bleiben", auf maximal 25 Prozent. Das wäre natürlich auch gut für kleine Betriebe – aber noch viel vorteilhafter freilich für Großkonzerne, da macht die Union nämlich wie gewohnt die Kleinen und die Großen gleich.
Heraus kommt ein Programm zur Leerung öffentlicher Kassen. Dem wird das Unvermeidliche folgen müssen: weiterer Sozialabbau, Ausverkauf der Daseinsvorsorge an Privatiers. Staatseinnahmen werden ausfallen, und fürs Gemeinwohl gilt bekanntlich, anders als fürs Kriegsgeschäft, die Schuldenbremse.
Arbeiter sollen "flexibler" werden
Zugunsten ihrer Unternehmerklientel will die Union zudem die Arbeitnehmerrechte stutzen. So sollen Beschäftigte noch flexibler werden, beziehungsweise flexibler von ihren Chefs zum Arbeiten eingesetzt werden können. Aus der täglichen Höchstarbeitszeit soll nämlich eine maximale Wochenarbeitszeit werden.
In der Praxis gilt es dann auch zu verhindern, dass die Malocher ob der Entrechtung murren. Auch dafür hat die Union einen Punkt im Gepäck: Um die Angst Beschäftigter vor Arbeitslosigkeit zu erhöhen, will sie, wie bereits zigfach in den letzten Wochen verkündet, die Grundsicherung nicht nur möglichst niedrig halten, sondern wieder härtere Sanktionen gegen ungehorsame Erwerbslose einführen.
Mit anderen Worten: Die Union will den Druck auf die Ware Arbeitskraft durch Entrechtung der Lohnabhängigen erhöhen, damit Konzerne auch in Deutschland billig produzieren können, es sich für sie also weniger lohnt, in ärmere Länder mit niedrigeren Sozialstandards abzuwandern. Man könnte sagen: Sie will perspektivisch die Sozialstandards denen der Peripherie angleichen, auch wenn es anders klingt.
Westliche Ideologie: Probleme mit ihrer Ursache bekämpfen
Nun ist die aktuelle Energie- und Wirtschaftskrise freilich vor allem politisch selbst gemacht. Aber es ist der westliche Imperialismus mit seiner allseits gepredigten Ideologie vom "freien Markt", der gleichwohl langfristige Lösungen zum Wohle der Mehrheit verhindert. Man kann nicht zugleich für Gemeinwohl sorgen und dem Kapital freie Hand zum Akkumulieren von Reichtum gewähren.
Dies ist ein Grund dafür, dass regelmäßig Gemeinwohl-Projekte zu kostenfressenden Dauerbaustellen zugunsten von Konzerngewinnen und zulasten der Bürger werden. Solche Pläne funktionieren nicht, wenn die Politik, selbst gewählt, kaum Handhabe über die beteiligte Wirtschaft und diese wiederum ganz andere Interessen als das Glück der Bürger hat: nämlich Rendite.
Hinzu kommt der hohe, multinationale Organisierungsgrad des westlichen Großkapitals, dessen zunehmende Kartell- und Monopolbildung und, dadurch bedingt, sein wachsender Einfluss auf die und seine Verquickung mit der Politik. Das stets auf Maximalprofit spekulierende Großkapital vagabundiert im Eigeninteresse, hofiert durch marktideologische Politik, stets dorthin, wo zulasten der Arbeiter die größten Gewinne warten – also vor allem in Länder mit geringer entwickelter Wirtschaft und niedrigen Sozialstandards. Daraus erwächst – politisch gewollt – sein Potenzial, die Politik zu erpressen.
Die "Lösungen" der westlichen Marktideologen aller politischer Richtungen sind stets gleich: Anpassung der Lebensstandards nach unten, um dem Kapital lukrativere Bedingungen zu bieten. Für die arbeitende Klasse bleibt das ein Verlustgeschäft, die Krise zieht sie immer weiter nach unten. Ampel und Union versuchen mal wieder, selbst gemachte Probleme mit ihrer systemischen Teilursache zu bekämpfen. Gutgehen kann das für die Mehrheit freilich nicht.
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