Journalistische Standards der ARD: Acht Lügen in fünf Minuten

Dass deutsche Mainstreammedien das Putin-Interview mit einer Dreckkampagne gegen Tucker Carlson und der Wiederholung der üblichen Narrative kontern werden, war zu erwarten. Idealtypisch ist ARD-Reporter Demian von Osten, der es schaffte, all das in fünf Minuten und in einem Satz gleich drei Lügen unterzubringen.

Von Anton Gentzen 

Der "Qualitätsjournalismus" der westlichen, speziell deutschen, Mainstreammedien lässt den kritisch denkenden Konsumenten in den letzten Jahren immer wieder ratlos zurück. Beispiele für Lügen und Manipulationen sind so zahlreich, dass die Lebenszeit eines Menschen nicht ausreicht, um jedes aufzugreifen. Gewöhnlich hat man dafür auch keinen Nerv und versucht, das Gelesene, Gehörte oder Gesehene schnellstmöglich zu vergessen, der eigenen Seelenruhe wegen.

Was aber ARD-Journalist Demian von Osten in einer Tucker Carlsons Putin-Interview gewidmeten Zuschaltung in den Tagesthemen am Freitag ablieferte, war in der Konzentration und Dichte der Lüge so intensiv, dass ich mir das fünfminütige Video in der ARD-Mediathek dann doch wider Willen nochmals ansehen musste: Ich wollte nachzählen, wie viele Lügen genau der "Qualitätsjournalist", der bis Dezember letzten Jahres das Studio Moskau geleitet hatte, in diesen fünf Minuten unterbringen konnte. Ich zählte acht.

Lüge Nummer 1: Der Interview-Begriff des Westens

Von Osten: "Also, das hatte mit Interviews, die wir nach westlichen journalistischen Standards kennen, tatsächlich nichts zu tun, eher mit dem, was wir aus dem russischen Staatsfernsehen kennen. Also ein Interviewer, der eher Stichworte gibt und eher unkritisch Fragen stellt."

Keine Ahnung, woher von Osten seinen Interview-Begriff hat. Im Gegensatz zu vielen deutschen Journalisten, die gar keine Berufsausbildung abgeschlossen haben, kann er immerhin auf ein abgeschlossenes Studium der Wirtschaftswissenschaften verweisen. Doch ein Lehr- oder Handbuch des Journalismus hielt offenbar auch er noch nie in den Händen.

Dort wird ein Interview nämlich definiert als "eine Form der Befragung mit dem Ziel, Informationen, Sachverhalte oder Meinungen zu ermitteln". Lehrbücher kennen sowohl das kontroverse als auch das nicht-kontroverse Interview und betrachten beide Formen gleichberechtigt. Der Einsatz der einen oder der anderen Methode hängt von den Umständen ab.

Aufgabe eines Interviews ist es immer, dem Interviewten so viel Informationen zu entlocken wie nur irgend möglich. Wenn die kontroverse Methode erwartbar dazu führt, dass sich der Interviewte verschließt, wird explizit die nicht kontroverse Methode empfohlen. Es ist ausdrücklich nicht die Aufgabe des Journalisten, das vom Gesprächspartner Gesagte zu bewerten oder einzuordnen, Letzteres ist Sache des Zuschauers oder der Analytiker und Kolumnisten, die später ihre Meinungsartikel über das Interview schreiben.

Mit seiner Art hat Carlson Wladimir Putin immerhin zwei Stunden vielfältiger Aussagen entlockt, Stoff für Hunderte von Dissertationen. Ein konfrontatives Interview hätte Putin zweifellos auch bewältigt, aber was hätte der Zuschauer von dem ständigen Unterbrechen und Einhaken durch den "Qualitätsjournalisten"?

Vielleicht führt die ARD ja ausschließlich konfrontative Interviews? Als Beispiel kann dienen, wie Caren Miosga vor Kurzem den ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij interviewte. Während sie ihn journalistisch befriedigte, hatte Miosga während des gesamten Interviews einen Gesichtsausdruck, als fantasiere sie gerade darüber, das Gegenüber auch in einem anderen Sinn zu befriedigen. Und Miosgas kritischste Frage war diejenige, ob Selenskij sich zum Geburtstag Torten leiste.

Lüge Nummer 2: "Angriffe auf die Zivilbevölkerung"

Von Osten: "Keine Fragen dazu, warum es diese Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung gibt."

Damit will der Qualitätsjournalist suggerieren, dass die russische Armee gezielt und vorsätzlich Angriffe auf die Zivilbevölkerung führt. Das ist jedoch nicht unser Eindruck, die wir den Ukraine-Krieg jeden Tag seit beinahe zwei Jahren intensiv beobachten und jeden Vorfall mit zivilen Opfern akribisch unter die Lupe nehmen.

Bei dem größten Teil der russischen Angriffe fällt die Präzision auf, mit der ukrainische militärische Anlagen oder für die ukrainische Kriegsführung bedeutsame Infrastruktur doppelter Nutzung getroffen werden. Wenn es zu Opfern unter Zivilisten auf ukrainischer Seite kommt, dann sind dies in der Regel vorsätzliche ukrainische False-Flag-Aktionen – Kramatorsk, Konstantinowka oder Theatergebäude in Mariupol –, oder es ist die schlampige Arbeit der ukrainischen Luftabwehr, die versucht, russische Raketen über bewohntem Gebiet abzufangen, und regelmäßig danebenschießt oder für Trümmerregen auf Wohngebäude sorgt.

Wer wissen will, wie vorsätzlicher Terror gegen Zivilisten aussieht, braucht sich nur den ukrainischen Beschuss der Städte des Donbass oder das israelische Vorgehen im Gazastreifen anzusehen. Kiew – Party-Nancy hat sich vom "normalen Alltagsleben" verführen lassen, kann es also bezeugen – sieht nach zwei Jahren Krieg übrigens nicht im Entferntesten aus wie Dresden am 14. Februar 1945.

Lüge Nummer 3: "40, 50 Minuten Ausführungen zur russischen Geschichte" 

Demian von Osten: "Und es begann sehr bemerkenswert mit sehr ausführlichen Ausführungen des russischen Präsidenten über die Geschichte, über mehrere Jahrhunderte. Diese Ausführungen haben ungefähr 40, 50 Minuten gedauert."

Tatsächlich waren es 25 Minuten, in der 26. Minute ging es schon um die Gegenwart Chinas. Danach kehrte Putin nochmals kurz zur Jelzin-Ära und dem Schicksal Jugoslawiens zurück, der Rest war jedoch schon der Gegenwart, nämlich der NATO-Expansion gewidmet. Man kann natürlich auch den gestrigen Tag zu einem langweiligen Geschichtsthema erklären ...

Lüge Nummer 4: Putin lügt über ältere und jüngere Geschichte

Von Osten: "Je näher sich Putin dann näherte den heutigen Ereignissen, umso mehr fingen sie an sich zu unterscheiden von dem, was Historiker sagen, was auch wir als Journalisten vor Ort jeweils aufgenommen haben."

Nun, ich nehme für mich in Anspruch, die russische und ukrainische Geschichte gut zu kennen, und zeitgeschichtliche Ereignisse wie den Euromaidan habe ich Tag und Nacht mitverfolgt. Faktische Fehler sehe ich in den Ausführungen des russischen Präsidenten nicht.

Was allerdings stimmt: Die Wahrheit, die Putin erzählt, unterscheidet sich in der Tat davon, was deutsche Journalisten in den letzten zehn Jahren und darüber hinaus über Russland und die Ukraine zusammengelogen haben.

Lüge Nummer 5: Putin ging davon aus, die Ukraine binnen drei Tagen zu besiegen

Von Osten: "Wie wir sie auch zu Beginn des Krieges gegen die Ukraine gesehen haben, wo Putin ja davon ausging, in drei Tagen könne er die Ukraine ... hmm ... überfallen (gemeint ist offensichtlich besiegen)."

Woher der "Qualitätsjournalist" dies hat, weiß man nicht. Kann er Putins Gedanken lesen? Denn öffentlich hat der russische Präsident derartiges nie geäußert, nicht einmal angedeutet. Die Mär von den drei Tagen (in denen die russische Armee in Kiew sein würde) kam vielmehr von westlichen "Analysten", die offizielle russische Seite hat sich nie zum Zeitrahmen geäußert.

Lüge Nummer 6: Putin hat vor dem 24.02.2022 westliche Politiker belogen 

Von Osten: "Putin hat spätestens auch mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine international jede Glaubwürdigkeit verloren, weil er ja auch die westlichen Staatschefs ... hmm ... ja bewusst angelogen hat wenige Tage vor dem Krieg, da war ja ein diplomatisches Kommen und Gehen."

Hier gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder von Osten versteckte sich während der Gespräche am langen Tisch im Kreml in dem Rollkoffer von Olaf Scholz und weiß etwas über das dort Gesprochene, das wir alle nicht wissen, oder er lügt. Denn öffentlich hatte der russische Präsident in jenen Wochen wiederholt erklärt, dass Russland die durch die Ausbreitung der NATO-Infrastruktur in die Ukraine entstehende Gefahr mit "militärisch-technischen" Mitteln beseitigen werde, falls der Westen nicht ernsthaft über den Rückzug der NATO und ungeteilte Sicherheit in Europa verhandele.

Deutlicher kann man ein Ultimatum nicht stellen und nach den langen Gesichtern von Scholz und Emmanuel Macron zu urteilen, hat Putin ihnen unter vier Augen auch nichts davon Abweichendes gesagt, genauso, wie die beiden selbst keinerlei ernsthafte Verhandlungsbereitschaft nach Moskau mitgebracht hatten.

Lüge Nummer 7: Carlson wird in den russischen Staatsmedien hochgepäppelt 

Von Osten: "Ja, Tucker Carlson wird in den russischen Staatsmedien schon seit einigen Jahren, ja man kann schon sagen, hochgejubelt als der einzige US-Journalist, der wirklich kritische Fragen stellen würde."

Ich habe in großen russischen Medien nie eine solche Aussage gehört. Es gab ab und zu Zitate von Carlson, wenn er etwas Neocon-Kritisches in seiner Sendung gesagt hat. Dass er besonders häufig Thema in russischen Medien war, stimmt jedenfalls nicht. Schon gar nicht hat man ihn dort als "einzigen US-Journalisten, der wirklich kritische Fragen stellt" bezeichnet.

Bekannt ist Carlson in Russland in der Tat, sein Bekanntheitsgrad rührt jedoch aus der Verbreitung seiner Videos in sozialen Netzwerken her. Wenn er im russischen Fernsehen in den vergangenen zehn Jahren 20-mal – hauptsächlich in Nachmittagstalkshows – Erwähnung gefunden hat, dann ist es schon sehr hoch geschätzt. Die Google-Suche bis zum 31. Dezember ergibt Erwähnungen nur in Printmedien, und das hauptsächlich mit seinem Rausschmiss bei Fox News.

Lüge Nummer 8: Carlson verbreitet Kreml-Propaganda

Von Osten: "Tucker Carlson ist eben der einzige, vielleicht einzige oder einer der wenigen prominenten westlichen Journalisten, der – ja, man muss es so sagen – sehr aktiv Kremlpropaganda verbreitet."

Uralte europäische Sitte: Wenn dir die Botschaft nicht gefällt, töte den Boten. Und als Kremlpropaganda bezeichnen unsere Qualitätsjournalisten ja auch alles, was ihnen nicht gefällt, als Verschwörungstheorie alles, was sie nicht wissen. Eine Lüge, die über die bloße Wertung hinausgeht, bleibt es trotzdem.

Carlson ist ein US-Journalist und Bürger der USA, der sich hauptsächlich mit der US-Politik beschäftigt. Dass er dabei auf Kriegsfuß mit dem Neocon-Faschismus ist, ehrt ihn, macht ihn aber nicht zum Kreml-Propagandisten.

Viel näher an der Wahrheit ist da die Aussage, dass von Osten Langley- und Pentagon-Propaganda verbreitet. Nomen ist bei ihm definitiv nicht Omen.

Fazit

Im deutschen Volksmund sind Anwaltswitze beliebt. Einer davon lautet:

"Woran erkennt man, dass ein Anwalt lügt?

Seine Lippen bewegen sich."

Dem Anwaltsberuf tut dieser Witz zu großen Teilen Unrecht, auf deutsche Mainstreamjournalisten bezogen würde er indes wie die sprichwörtliche Faust auf das sprichwörtliche Auge passen. Und das ist das wahrscheinlich größte Problem Deutschlands, steht es doch aktuell der Lösung aller anderen Probleme im Wege.

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