Von Dagmar Henn
Man ahnt es schon, Souveränität ist etwas, was der EU-Kommission nicht gefällt. Insofern wäre alleine die Bezeichnung des ungarischen Souveränitätsverteidigungsgesetzes Grund, dagegen vorzugehen. Tatsächlich hat die EU-Kommission jetzt beschlossen, wegen dieses Gesetzes ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten.
Ein derartiges Vertragsverletzungsverfahren dient als Grundlage dafür, Mittel für ein Land zu sperren. Ungarn ist zwar Nettoempfänger ‒ 2022 waren es 4,4 Milliarden Euro ‒, aber die Mittel, die gesperrt werden können, sind weit umfangreicher. Ungarn hat nun zwei Monate Zeit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen.
Die Auseinandersetzung um die Fragen, mit denen sich das neue ungarische Gesetz befasst, gibt es schon länger. Bereits 2017 verabschiedete Ungarn ein Gesetz, das NGOs, die Mittel aus dem Ausland oberhalb eines Schwellenwerts erhielten, verpflichtete, sich zu registrieren. Damals lag dieser Schwellenwert bei 20.500 Euro im Jahr. Die Liste dieser Organisationen war im Netz einsehbar.
Die EU-Kommission klagte seinerzeit dagegen, und der Europäische Gerichtshof entschied, dieses Gesetz verstoße gegen EU-Recht. In der deutschen Berichterstattung wurde das Gesetz überwiegend als Anti-Soros-Gesetz gewertet. Folge dieses Urteils war auch damals ein Verfahren der Kommission.
Das neue Gesetz wurde im Dezember verabschiedet, und es schafft eine eigene Behörde, die die Aktivitäten der derart registrierten NGOs überwachen soll. Was die Kommission nun zum nächsten Verfahren animierte:
"Mit dem Gesetz wird das sogenannte Amt zur Verteidigung der nationalen Souveränität eingerichtet, das bestimmte Aktivitäten untersuchen soll, die für einen anderen Staat oder eine ausländische Einrichtung, Organisation oder natürliche Person ausgeführt werden und die Souveränität Ungarns verletzen oder gefährden könnten. Gleiches gilt für Organisationen, deren mit Geldern aus dem Ausland finanzierte Aktivitäten Wahlergebnisse oder den Wählerwillen beeinflussen könnten. Mit dem Gesetz werden außerdem ungarische Rechtsvorschriften ergänzt oder geändert, die es Kandidaten, politischen Parteien und Vereinigungen, die an Wahlen teilnehmen, verbieten, Gelder aus dem Ausland einzusetzen, um den Wählerwillen bei Wahlen zu beeinflussen oder dies zu versuchen. Außerdem wird die Verwendung von Geldern aus dem Ausland im Zusammenhang mit Wahlen unter Strafe gestellt."
Nur vernünftig, sollte man meinen. Aber die EU-Kommission sieht darin einen Verstoß gegen demokratische Prinzipien. Auch die Privatsphäre möglicher Spender ist ihr ganz besonders wichtig.
Aber ist dieses Gesetz tatsächlich in irgendeiner Weise undemokratisch? Sicher, es erschwert die Arbeit von NGOs, aber diese Kategorie von Organisationen umfasst eben bei weitem nicht nur reguläre, von Mitgliedern geschaffene Vereine, sondern ebenso künstliche Organisationen, die nie etwas anderes waren als Interessenvertretungen ihrer Großspender. Abmahnvereine wie die Deutsche Umwelthilfe, oder gar dieses ganze suspekte Geflecht aus Nebengeheimdiensten. Technisch gesehen alles NGOs, weil zwar womöglich von der eigenen Regierung finanziert, aber nicht von dieser betrieben.
Wäre es ein Demokratieverlust, gäbe es in Deutschland ein vergleichbares Gesetz, und Correctiv beispielsweise müsste sich als "ausländischer Agent" kennzeichnen? Wäre es einer, wenn Spenden von Gates, Soros oder Omidjar untersagt wären?
Damit wäre man zwar nicht die Bertelsmann-Stiftung los, die ein heimisches Gewächs ist, aber die politischen Prozesse würden wieder etwas authentischer. Irgendwie hat man im Verlauf der Jahre völlig vergessen, wie wichtig die Frage der Finanzierung in der Politik ist. Nicht in dem Sinne, dass man je den Bedarf nach Geld vergessen hätte; nein, man hat vielmehr vergessen, dass ökonomische Ungleichheit mit Demokratie unvereinbar ist, wenn nicht korrigierend eingegriffen wird.
Noch etwas, wo man in der deutschen Vergangenheit schon einmal weiter war. Die Proteste, die es einst gegen die Bild-Zeitung und den Springer-Konzern gab, hatten auch etwas mit der Rolle zu tun, die einst der Zeitungsmogul Alfred Hugenberg in der Weimarer Republik gespielt hatte. Auch die Gründung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks war ursprünglich dadurch motiviert, eine Monopolisierung des Meinungsraums durch wirtschaftlich besonders Mächtige zu verhindern.
Diese Überlegungen sind sowas von gestern. Heute wird bedenkenlos mit "Philanthropen" geschmust, es wird kassiert und geliebedienert, was das Zeug hält, und gerne auch die jeweils neueste politische Gummipuppe in gemeinsamer Anstrengung aufgeblasen. Diese künstlichen Organisationen werden schließlich auch nicht durch zähe innere Entscheidungsprozesse daran gehindert, Material für die Berichterstattung zu liefern, und kommen nicht immer wieder mit den gleichen alten Geschichten wie Tarifkämpfen oder kommunalen Verkehrsproblemen.
Dass viele dieser Organisationen einer Agenda folgen, die mit den Interessen der Bevölkerung nichts zu tun hat, ist für die deutschen Medien kein Problem, und für die EU-Kommission erst recht nicht. Dabei hat sich das Missverhältnis genau im gleichen Maß verschärft, wie sich die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen erhöht hat.
Die staatliche Parteienfinanzierung sollte einmal dazu dienen, es zu verhindern, dass einige wenige Reiche durch Spenden ihre politischen Interessen durchsetzen können, indem der Abstand zwischen den willfährigen und den weniger willfährigen Parteien verringert wurde. Und es gab die Möglichkeit, durch viele kleine Spender mit den einzelnen Großen mitzuhalten. Aber je reicher die Reichen werden, desto mehr dieser kleinen Spenden bräuchte es dazu.
Im Grunde entwickelt sich ein Teufelskreis – der schnellere Erfolg dieser synthetischen Politik entmutigt die ganz normalen Bürger, ihre Interessen zu vertreten, wodurch dann der finanzielle Abstand noch größer wird. Am Ende bleibt ein Polittheater, das eine Demokratie simuliert, die gar nicht mehr auf freiwillig von Menschen geschaffenen Organisationen beruht, sondern auf tausend auswechselbaren Masken stets der gleichen Oligarchen.
Jeder Schritt, mit dem man diese Finanzflüsse einschränkt, ist ein Gewinn für die Demokratie, weil er den wirklichen politischen Prozessen, die auf Begegnungen wirklicher Menschen beruhen, die sich für ihre eigenen Interessen einsetzen, wieder Raum verschafft. Ein Raum, in dem Debatten auch langsam sein dürfen, weil daneben eben keine NGO mit Hochglanzbroschüren steht, die es besser weiß.
Es ergeht dem politischen Leben nicht anders als dem geistigen, das sich seit Beginn der Drittmittelmode an den Universitäten auch deutlich auf dem absteigenden Ast bewegt. Nicht nur, weil die spezifischen Interessen der Spender immer über die der Allgemeinheit gestellt werden. Auch, weil eine derartige Struktur geradezu darauf abrichtet, Ergebnisse zu liefern, die besagten Spendern besonders genehm sind. Schließlich sind da immer auch andere, die nach den gleichen Mitteln spähen.
Und gleichzeitig sorgen gerade diese wenigen Individuen dafür, möglichst wenig über Steuern zur staatlichen Finanzierung beizutragen. Wodurch sich auch der Entscheidungsspielraum der Politik immer weiter einengt. Was das normale politische Leben ein weiteres Mal stranguliert.
Die Sicht, die in den deutschen Medien verbreitet wird, nach der dieses Gesetz antidemokratisch sei, zeugt nur davon, wie vage und abstrakt die Vorstellung der Schreiber von Demokratie und wie gering ihre Ahnung von wirklichen politischen Abläufen ist. Oder wie gerne sie einfach das schreiben, was den Oligarchen gefällt. In Wirklichkeit ist ein solches Gesetz, wie Ungarn es besitzt, eine inzwischen leider notwendige Maßnahme, um die Chance auf Demokratie zu wahren.
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