Von Dagmar Henn
So langsam wird erkennbar, wohin die Reise geht, auf die das Land mit der Correctiv-Kampagne geschickt wurde. Quer durch die Presselandschaft wurde jetzt – nach entsprechenden Äußerungen der Bundesministerin des Innern Nancy Faeser – das sogenannte "Demokratiefördergesetz" wieder aus der Schublade gezogen, das diese Bundesregierung schon im vergangenen Jahr durch den Deutschen Bundestag zu bringen versuchte.
Als allererstes muss man dazu sagen, dass man Demokratie nicht mit einem Gesetz fördert. Man fördert sie dadurch, dass die Menschen auf verschiedensten Ebenen die Möglichkeit haben, selbst Entscheidungen zu treffen. Man fördert sie beispielsweise durch öffentliche Räume, in denen sich verschiedenste Vereine gründen können, in denen es möglich ist, Veranstaltungen durchzuführen. Das ist übrigens etwas, was auch Sozialdemokraten früher einmal wussten, das belegen noch viele örtliche Kulturhäuser und Bürgerzentren.
Wobei selbst diese ein Ersatz sind – in meiner Jugend war ich noch auf Veranstaltungen im Westend im Nebenraum einer Wirtschaft, in dem noch eine kunstvoll gestickte Fahne eines SPD-Ortsvereins hing, der sich seit dem Ende der Sozialistengesetze dort getroffen hatte. Die letzten Jahrzehnte hat kaum eines dieser Lokale überlebt.
Wenn man die politischen Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte betrachtet, stellt man fest, dass der Spielraum für reale, erlebbare Demokratie immer kleiner wird. Das beginnt mit Budgets. Wirkliche Erfahrungen damit, wie Demokratie funktioniert (und damit meine ich nicht die Showpolitik, die inzwischen üblich geworden ist), macht man auf den unteren Ebenen, den Kommunen und den Stadtvierteln, allerdings nur, wenn es dort auch tatsächlich etwas zu entscheiden gibt. Schon vor den Erschütterungen der letzten zwei Jahre gab es ganze Landstriche in Deutschland, in denen keine einzige Kommune mehr wirklich etwas zu entscheiden hatte, weil sie unter Haushaltsaufsicht stand und das Budget vielleicht gerade noch für die Pflichtaufgaben reichte.
Auch andere Entwicklungen haben den Spielraum deutlich verringert. Die ganzen Verordnungen aus Brüssel beispielsweise, die zwar mit einer Art demokratischer Inszenierung umgeben werden – dem Europäischen Parlament –, aber dem Einzelnen keinesfalls das Gefühl geben, irgendetwas beeinflussen zu können, was dort entschieden wird. Und gleichzeitig verringern auch eben diese Verordnungen den Entscheidungsspielraum vor Ort.
Gut, kann man sagen, man kann auch in ganz gewöhnlichen Vereinen Erfahrungen machen, wie Demokratie funktioniert. Doch auch die gesamte Vereinslandschaft hat spätestens seit Corona massive Probleme. Und immer wieder stößt man auf dieselben Fragen – nach Räumen und Geld.
Aber es ist noch schlimmer. Da blieb früher ja immer noch die außerparlamentarische Opposition. Nicht einmal mehr diese Erfahrung, die man einst in monatelangen Bündnisverhandlungen vor wichtigen Demonstrationen machte, ist noch möglich. Eines der ältesten derartigen Bündnisse, das SIKO-Bündnis in München anlässlich der alljährlich im Februar stattfindenden "Münchner Sicherheitskonferenz", steht derzeit ebenfalls vor Problemen. Weil große Teile dessen, was einst als "links" definiert wurde, inzwischen jede Gegnerschaft zur NATO abgelegt hat.
Stattdessen gibt es eine neue Variante, die sich das erste Mal mit "Unteilbar" bemerkbar machte. Plötzlich wurden Aufrufe zu Demonstrationen nicht mehr zwischen Partnern unter Bedingungen der Gleichheit verhandelt, sondern es wurden Aufruftexte vorgelegt, die unterzeichnet werden konnten oder nicht. Sicher, das hat die Mobilisierungsgeschwindigkeit deutlich erhöht, das konnte man beim ganzen Auftrieb "gegen Rechts" der letzten Wochen sehen. Aber es handelt sich nicht länger um das Ergebnis eines demokratischen Prozesses. Dann würde der Vorlauf Monate brauchen, nicht Tage. Die Debatten über den Aufruf zur SIKO-Demonstration, die jährlich im Februar anlässlich des "Münchner Sicherheitskonferenz" genannten NATO-Treffens stattfindet, beginnen ein halbes Jahr vor dem Ereignis.
Dem kann man entnehmen, dass Verhandlungsfähigkeit ein wichtiger Punkt ist. Ebenso wichtig ist ein Gefühl dafür, wann Kompromisse und wann ein Beharren auf der eigenen Position angesagt sind. Man merkt es überdeutlich, dass die gesamte westliche Führungsmannschaft an diesem Punkt völlig "blank" ist. Ihr fehlen entscheidende demokratische Qualifikationen.
Das ist allerdings kein Wunder, wenn man betrachtet, dass nicht nur der Lobbyismus in den letzten Jahrzehnten völlig neue Ausmaße angenommen hat, sondern zudem noch das als "Astroturfing" bezeichnete Phänomen immer mächtiger wird. Dabei besteht die deutlichste Folge dieser Astroturfing-Bewegungen wie etwa "Fridays for Future" darin, wirkliche demokratische Entwicklungen zu entmutigen. Im "normalen" Ablauf dauert es nämlich Jahre, um jenen Einfluss auf die Medien und damit jene Sichtbarkeit zu erreichen, die heute derartige, mit viel Geld ausgestattete und zentral und undemokratisch gelenkte Strukturen im Handumdrehen erzielen.
Es gibt einen ganz einfachen Grund, warum früher Organisationen äußerst selten zu derartigen Mitteln griffen wie die Klimakleber im vergangenen Jahr. Wenn man das betrachtet, was in früheren Jahrzehnten einmal spektakuläre Aktionen waren, lief das ganz anders ab. Als die FDJ beispielsweise Anfang der 1950er Jahre Helgoland besetzte, das damals von der britischen Royal Air Force als Übungsziel für Bombenabwürfe genutzt wurde und damit binnen weniger Jahre verschwunden wäre. Es brauchte monatelange Vorbereitung und für die Finanzierung Bündnispartner und zehntausende Mitglieder, wobei die Teilnehmer ein hohes persönliches Risiko eingingen.
Die Geldstrafen der Klimakleber werden ebenso von Großspendern finanziert wie ihre Aktionen selbst, und die Staatsgewalt ist mehr damit beschäftigt, sie zu schützen, anstatt ihre Aktionen zu verhindern. Und am Ende gibt es auch noch eine ihnen gewogene Presse. Natürlich können unter solchen Bedingungen ganz andere Risiken eingegangen werden. Das hat auf jeden Fall die Konsequenz – selbst wenn alles, was diese Astroturfing-Strukturen unternehmen, tatsächlich im Interesse der überwiegenden Mehrheit wäre –, dass die langsamen, zähen demokratischen Prozesse ineffizient und überflüssig wirken.
Innerhalb der linken Szene tauchte diese Frage schon vor fünfzehn, zwanzig Jahren als "Kampagnenfähigkeit" auf. Konkret sah das in der Linken dann so aus: die Partei hatte eine Mindestlohnkampagne beschlossen, daraufhin gab es dann PowerPoint-Präsentationen für die Mitglieder, über die vermittelt wurde, welche Argumente sie zu gebrauchen hätten und welche Aktionen durchzuführen wären. Dahinter steckt dann die Vorstellung einer Partei, die mehr wie eine Armee funktioniert denn wie eine Partei.
Witzigerweise lauert im Hintergrund immer das Fantasiebild, kommunistische Parteien seien so. Wer jemals wirklich erlebt hat, wie es dort abläuft, der weiß, dass das mit der Realität nichts zu tun hat. Das, was als Einheit nach außen tritt, ist das Ergebnis langer Debatten, die wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, als das beispielsweise in der Linken üblich ist, wo heutzutage Redezeitbeschränkungen auf drei Minuten die Norm sind.
Wie viele fragen sich, welche Folgen es für die parlamentarische Debatte hat, dass die Redezeit vorab sekundengenau zugeteilt wird. Man kann den Unterschied erkennen, wenn man einmal alte Parlamentsprotokolle aus dem Reichstag liest, als es dort noch zu regelrechten Wortwechseln kommen konnte. Der Ablauf heute sorgt schon dafür, dass weitgehend nur die zuvor festgelegten Positionen wiedergekäut werden. Überraschungen, weil einmal ein Argument überzeugt? Die sind nicht vorgesehen, so etwas gibt es höchstens noch auf kommunaler Ebene.
Man lügt sich in die Tasche, wenn man meint, das eigene Erleben politischer Wirksamkeit durch ein Mehr an politischer Bildung ersetzen zu können. Selbst wenn diese nicht inzwischen von solchem Unfug wie "Schutz vor Desinformation" dominiert würde: Vorträge könnten nie eigene Erfahrung ersetzen. Es ist das Verschwinden demokratischer Räume im physischen wie im metaphorischen Sinne, das aufgehalten werden müsste.
Das ist jetzt nur ein kleiner Einblick in die wirklichen Probleme, und ein erster nötiger Schritt für eine reale Förderung der Demokratie wäre, den Astroturfing-Sumpf auszutrocknen. Das hätte ganz nebenbei noch den Vorteil, einige solcher Strukturen zumindest zu schwächen, die sich gegen jede Souveränität richten.
Faesers "Demokratieförderung" allerdings füttert genau jene Strukturen, die schon per se undemokratisch sind, weil sie eben nicht vom politischen Engagement vieler getragen werden, sondern von Großspenden und Staatsförderung, und die noch dazu in vielen Fällen Denunziation und Verleumdung als Hauptgewerbe betreiben – wie "Correctiv".
Das Gesetz bewirkt also das Gegenteil dessen, was es vermeintlich bewirken soll, wobei selbstverständlich das, was der Entwurf für "Demokratieförderung" hält, selbst schon zutiefst antidemokratisch ist: Es tauchen alle Schlagworte auf, die in den letzten Jahren genutzt wurden, um gegen politische Gegner vorzugehen, von "Hass und Hetze" über "Delegitimierung des Staates" bis zur "Desinformation".
Wie formulierte Faeser ihre Absichten gegenüber der Presse?
"Für mich kommt es daher weiter darauf an, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen, ihre Finanzquellen trockenzulegen, ihnen Waffen zu entziehen und Hetzer und Gewalttäter strafrechtlich hart zu verfolgen."
"Hetzer" übrigens ist historisch kein unschuldiger Begriff, und es ist eines der vielen gruseligen Details dieser vermeintlich "gegen Rechts" gerichteten Entwicklung, dass damit Bezeichnungen reaktiviert werden, mit denen einst die Nazis ihre Gegner bezeichneten. Brechts Gedicht "Begräbnis des Hetzers im Zinksarg", das Hanns Eisler in der Deutschen Sinfonie vertont hatte, belegt das deutlich genug.
Wenn man allerdings verstehen will, warum es Frau Faeser so wichtig ist, jetzt dieses Gesetz durchzudrücken, muss man einen Blick in das im vergangenen Jahr verabschiedete Verfassungsschutzgesetz werfen. Darin findet sich nämlich, neben ohnehin schon großzügigen Möglichkeiten, alle Welt mit Informationen über Personen zu versehen, bei denen der Schutz der einzelnen Person unter schwerer Schwindsucht leidet, noch ein Schlupfloch, das sämtliche Beschränkungen endgültig beseitigt. Es gibt darin nämlich den Paragrafen 25 d, der da lautet:
"(1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten, die es aus allgemein zugänglichen Quellen erhoben hat, einer anderen Stelle übermitteln, wenn dies erforderlich ist
1. zur Erfüllung seiner Aufgaben oder
2. der Aufgaben der empfangenden Stelle.Eine automatisierte Übermittlung ist zulässig."
In diesem Fall gibt es nur noch eine einzige Einschränkung – wenn die Informationen das Ergebnis einer Anwendung von Data Mining durch den Verfassungsschutz selbst sind, gelten wieder die Regeln der übrigen Paragrafen.
Und so sieht dann Trick 17 aus: Wenn einer dieser Nebengeheimdienste wie Correctiv, Volksverpetzer etc. Daten über jemanden veröffentlicht, dann darf das Bundesamt für Verfassungsschutz sie gleichsam uneingeschränkt übermitteln. Beispielsweise der Bank oder dem Vermieter. Wollte man nun die in den letzten beiden Jahren bereits angewandten Techniken, wie Kontenkündigungen oder die Veranlassung von Kündigungen unliebsamer Personen, massiv ausweiten, sind es diese vermeintlich "unabhängigen" Strukturen, die dafür sorgen können, dass jede beliebige Information erst einmal zu einer "allgemein zugänglichen" gemacht wird, ehe sie dann – gewissermaßen öffentlich recycelt – von der Behörde, von der sie womöglich ursprünglich sogar stammt, wieder aufgegriffen und unter Einsatz der staatlichen Autorität genutzt wird.
Übrigens wird beim Blick auf die politische Repression des Hitlerfaschismus oft übersehen, dass es neben der offenen, brutalen Gewalt durch SA und SS, durch Gestapo und Konzentrationslager auch jene Maßnahmen gab, die sich gegen die breite Masse der politischen Gegner richtete. Während die Arbeitslosigkeit insgesamt zurückging, weil Arbeitskräfte für die massive Aufrüstung gebraucht wurden, war es Mitgliedern der KPD, Sozialdemokraten und bekannten Gewerkschaftern vielfach völlig unmöglich, überhaupt noch eine Arbeit zu finden. Außer dem Gewaltexzess gab es zusätzlich – in erheblicher Breite – den Entzug der wirtschaftlichen Existenz, und zwar bereits ab 1933.
Das ist jene Richtung, in welche eine der mittels "Demokratieschutzgesetz" erweiterte Finanzierung der bekannten Verdächtigen gehen dürfte, denn selbstverständlich geht es nicht nur um eine "dauerhafte Finanzierung", sondern auch um noch mehr Geld. Und wer glaubt, das richte sich "nur" gegen Mitglieder der AfD, deren Entfernung aus dem öffentlichen Dienst ebenfalls bereits diskutiert wird, der hat in den letzten Jahren nicht aufgepasst. Ob Kritik an der NATO, eine Ablehnung des israelischen Genozids im Gazastreifen, ein nicht ausreichender Glaube an den Klimawandel oder die Corona-Pandemie: diese Standbein-Spielbein-Nummer lässt sich gegen alles und jeden nutzen.
Vor allem aber – und das macht sie so gefährlich – findet sich in dem ganzen Ablauf kein behördliches Handeln, das je die Gestalt eines Bescheids oder eines vergleichbaren Rechtsaktes annimmt. Es gibt auch kein Verfahren mit der Möglichkeit einer anwaltlichen Vertretung. Es gibt nur ein kafkaeskes Gegenüber, das Urteile verhängt, die nie gesprochen wurden, und gegen die Einspruch gar nicht möglich ist, weil man in der Regel nicht einmal beweisen könnte, was tatsächlich stattgefunden hat. Wenn man sich je Gedanken darüber gemacht hat, was einen Rechtsstaat ausmacht – dann ist es das genaue Gegenteil davon. Von Demokratie braucht man in diesem Zusammenhang dann nicht mehr zu reden.
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