Von Rainer Rupp
Seit 23 Monaten führen die USA/EU/NATO mithilfe der Ukraine, ihres gut bewaffneten und gut ausgebildeten Stellvertreters, einen Krieg gegen Russland. Mit Stand von Juli 2023 belief sich die westliche Militärhilfe für die Ukraine auf fast 100 Milliarden US-Dollar, und die Hälfte davon stammte aus den Vereinigten Staaten. Diese militärische Hilfe überstieg das gesamte jährliche Militärbudget der Russischen Föderation (82 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022) erheblich.
Die ganze Dimension der westlichen Hochrüstung der Ukraine wird aber erst ersichtlich, wenn man bedenkt, dass nur ein Drittel der russischen Militärausgaben für die Beschaffung von Rüstungsgütern ausgegeben wird. Mit dem großen Rest wird der tägliche Verbrauch der Armee an Essen, Unterkunft, Sold über Manöver und Treib- und Schmierstoffe bis hin zur militärtechnischen Forschung beziehungsweise für Entwicklung, Versuchsreihen und Auswertungen ausgegeben.
So gesehen übersteigt die Militärhilfe des kollektiven Westens die Jahresausgaben der Russen für neue Waffen um ein Vielfaches. Dazu müssten dann auch noch andere, für die ukrainischen Streitkräfte wertvolle "Dienstleistungen" der USA/NATO hinzugezählt werden, zum Beispiel die von US-Spionagesatelliten gewonnenen Echtzeit-Informationen über die Lage auf dem Schlachtfeld. Denn diese "Dienstleistungen" sind in den 100 Milliarden westlicher Militärhilfe nicht enthalten.
Zudem hat der Westen über 60.000 ukrainische Soldaten nach NATO-Standards ausgebildet und Tausende weitere durch die NATO ausgebildete Söldner zur Verfügung gestellt. Allerdings haben sich die wegen ihrer angeblichen technologischen Überlegenheit anfangs hochbejubelten westlichen "Wunderwaffen" als Rohrkrepierer erwiesen. Zugleich hat die operationelle Taktik der NATO, mit der die ukrainischen Bodentruppen ausgebildet wurden, im Kampf gegen die Russen komplett versagt, während die Russen ihr operativ-taktisches Konzept der Gefechtsführung mit "verbundenen Waffen" (combined arms warfare) von Monat zu Monat immer besser beherrschten. Die falsche Ausbildung der ukrainischen Soldaten durch die NATO hat letztlich zu zig-Tausenden vermeidbaren Verlusten für Kiew geführt.
Und trotz dieser massiven und beispiellosen Investition in diesen Stellvertreterkrieg gegen Russland haben die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Verbündeten bereits jetzt für alle erkennbar eine demütigende strategische Niederlage erlitten, deren Auswirkungen bereits weltweit zu beobachten sind. Das hilf- und planlose Agieren der USA und einiger ihrer NATO-Vasallen im Nahen Osten ist strategisch ebenso zum Scheitern verurteilt wie ihr facto bereits verlorenes Kriegsabenteuer in der Ukraine.
Das Eingreifen der USA und anderer NATO-Länder auf der Seite Israels, dessen irrsinniger Höhepunkt mit den massiven militärischen Hilfslieferungen zum Einsatz in Gaza erreicht ist, wird bereits jetzt von den Ländern des Globalen Südens als Beihilfe zum israelischen Völkermord an den Palästinensern angesehen. Spätestens wenn der Internationale Gerichtshof (IGH) die Klage Südafrikas gegen Israel annimmt und Sofortmaßnahmen gegen Israel erlässt, dürfte auch die Bundesrepublik Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord ins Visier des IGH geraten. Man darf gespannt sein, mit welchen Argumenten sich die Gutmenschen der Ampel-Koalition dann herausreden werden. Die Ausrede, sich an nichts erinnern zu können, hat Scholz schon zu oft benutzt.
Fast einhundert Prozent der Bevölkerung in Gaza bestehen inzwischen nur noch aus Flüchtlingen, die im südlichen Teil des Gazastreifens auf engstem Raum ohne Wasser, Essen, Hygienemittel und Medikamente zusammengepfercht sind, ohne Zelt oder Dach dahinvegetieren und täglich mit ihrem Tod rechnen müssen. Denn zur unglaublichen Brutalität des israelischen Vorgehens gegen die palästinensische Zivilbevölkerung gehört auch, dass die Zionisten selbst auf diese, auf engstem Raum zusammengepferchten Flüchtlinge Bomben abwerfen oder sie mit Artillerie beschießen.
Dennoch rückt mit jedem neuen Tag der von den Zionisten erhoffte, strategische Sieg in weitere Ferne, nicht nur wegen der südafrikanischen Anklage vor dem IGH oder der Tatsache, dass die rechtsradikalen Zionisten in den USA und Europa vor allem im nicht zionistischen Judentum und in deren Freundes- und Einflusskreisen jegliche Unterstützung und jedes Verständnis verloren haben. Wenn man in Zukunft an die Juden im "Heiligen Land" denkt, denkt man nicht mehr an die Heimstadt der Überlebenden des Holocaust, sondern an die brennende Trümmerwüste von Gaza und an Berge toter Kinder.
Zugleich schwindet die Hoffnung, die Hamas besiegen oder gar auslöschen zu können. Am 22. Januar veröffentlichte das US-amerikanische "Libertarian Institute" auf seiner Webseite eine Analyse, in der es heißt:
"Es wird immer deutlicher, dass die israelische Regierung keines ihrer beiden Ziele, nämlich die Hamas auszulöschen und die in Gaza gefangenen israelischen Geiseln zu befreien, erreichen kann."
Unter Berufung auf verschiedene hochrangige Quellen im israelischen Militär (IDF) auf verschiedenen Ebenen, einschließlich des Ranges von Generälen, berichtet das Institut, "dass die Zerstörung des Tunnelnetzwerks unmöglich" sei. Dies wird auch von der links-liberalen israelischen Tageszeitung Haaretz bestätigt, die am 21. Januar schrieb:
"Die israelischen Verteidigungskräfte werden nicht alle Tunnel der Hamas und des Islamischen Dschihad unter Gaza zerstören. Wahrscheinlich nicht einmal die meisten von ihnen. … Die IDF reduziert ihre Streitkräfte in Gaza-Stadt in dem vollen Wissen, dass viele Tunnel übersehen wurden. Das sollte keine Überraschung sein. Die Tunnel unter dem Gazastreifen gab es schon vor der Gründung der Hamas im Jahr 1987 und es scheint, dass es sie auch nach diesem Krieg geben wird."
Weiter erklärt die israelische Zeitung, dass das israelische Militärkommando von der Ausdehnung des Tunnelnetzes unter Gaza überrascht gewesen sei. "Erst nach und nach habe die IDF-Führung erkannt, dass das Tunnelnetz viel umfangreicher war, als sie zuvor geglaubt" hatte. Auch habe der Hauptzweck des unterirdischen Netzwerks durch die Hamas nicht wie angenommen darin bestanden, "Raketen zu starten, sondern ihre Streitkräfte in Sicherheit zu bringen". Zudem habe sich eine weitere Annahme der IDF-Führung als falsch erwiesen, wonach "es ausreichen würde, den Boden über den Tunneln für ein paar Wochen zu kontrollieren, um die Hamas-Kämpfer auf der Suche nach Nahrung, Wasser und Sauerstoff zu zwingen, an die Oberfläche zu kommen".
Auf der Webseite des "Libertarian Institutes" heißt es weiter, die New York Times habe berichtet, dass Tel Aviv zunächst geglaubt hatte, die Hamas kontrolliere ein Tunnelnetz von 250 Meilen (rund 402 Kilometer). Diese Zahl werde nun jedoch auf fast 450 Meilen (rund 724 Kilometer) geschätzt. So berichtete auch Haaretz, dass ein IDF-Kommandant die ihm übergebenen Karten der Tunnel beiseite wischte und die diesbezüglichen Geheimdienstinformationen als "nutzlos abtat".
Inzwischen steht zweifelsfrei fest, dass die Tunnel nicht nur mit Proviant für eine längere Belagerung bestückt waren, sie boten auch einen sicheren Durchgang zwischen verschiedenen Abschnitten des gesamten Gazastreifens. Wenn die IDF behauptete, sie habe diese oder jene Gruppe der Hamas vernichtet, seien Kämpfer aus diesen Gruppen an anderen Stellen in Gaza wieder aufgetaucht. Und bis in den Tunneln Anzeichen für die Anwesenheit von Geiseln entdeckt wurden, seien diese schon längst in andere Tunnel verlegt worden.
Abschließend heißt es: "Es wird ein Tag kommen, an dem das israelische Sicherheitsestablishment eingestehen muss, dass die Zerstörung der Tunnelnetze niemals ein realistisches Ziel war." Implizit heißt das auch, dass die Befreiung der in den Tunneln versteckten Geiseln ebenfalls nicht realistisch ist. Aber mit diesen beiden Zielsetzungen haben die rechtsradikalen Zionisten in der israelischen Regierung bisher die Flächenbombardierung Gazas gerechtfertigt, ohne Rücksicht auf Krankenhäuser, UN-Hilfsposten für die Obdachlosen und Hungernden, Schulen, Kindergärten und Universitäten. Ganz allgemein wurde die palästinensische Zivilbevölkerung zum Freiwild für die zionistische Soldateska erklärt, denn tatsächlich geht es um die Vertreibung der 2,3 Millionen Menschen: aus Gaza in die Wüste und oder nach Ägypten.
Die Soldaten der IDF können allerdings von Tag zu Tag weniger straflos in Gaza operieren. Inzwischen belaufen sich die eigenen Verluste auf acht bis zehn Tote pro Tag. Und an manchen Tagen liegen sie bedeutend über diesem Durchschnitt. Berichten zufolge hatte die berühmt-berüchtigte "Golani"-Elitetruppe der Israelis, die vom ersten Tag an in Gaza eingesetzt war, bereits nach einer Woche empfindliche Verluste eingefahren. Mitte Dezember hatte die Golani-Einheit über die Hälfte ihrer Soldaten verloren. Weil sie funktionsunfähig geworden war, musste sie abgezogen werden. Sie soll nun wieder aufgefüllt und neu aufgebaut werden, was viele Monate dauern dürfte.
Allein am Montag, dem 22. Januar fanden 24 israelische Soldaten ihren "Heldentod" in Gaza. Das ist die bei Weitem größte Zahl israelischer Todesopfer pro Tag in dem dreimonatigen Krieg gegen die Hamas. Die Todesfälle ereigneten sich inmitten heftiger Kämpfe um die südliche Stadt Chan Yunis, bei denen Dutzende Palästinenser getötet und verwundet wurden. Man kann nur hoffen, dass die große Zahl der israelischen Opfer den innenpolitischen Druck auf die rechtsradikale Regierung von Benjamin Netanjahu erhöht, einen Waffenstillstand nicht länger abzulehnen.
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