Von Susan Bonath
Wenn deutsche Medien nur Gutes über Demos schreiben und sich mit Teilnehmerzahlen übertrumpfen, ist irgendetwas faul. Bei den Protesten "gegen rechts" ist das regelmäßig so. Am Wochenende seien in Deutschland laut Meinungsschlachtschiff Tagesschau insgesamt 250.000 Menschen auf der Straße gewesen. Sogar Springers Welt "berichtete" verzückt von "mehr als 100.000" Teilnehmern und zitierte, den Eindruck von Neutralität erweckend, wohlwollende O-Töne von Politikern.
Das rechte Establishment
Da stimmt doch etwas nicht. Denn wenn das Volk mal auf die Straße geht, kommt das in aller Regel weder bei den Öffentlich-Rechtlichen noch beim Springer-Verlag gut an. Ultrarechte Kriegspropaganda, häufig unbelegte Gräuelmeldungen darunter, ist bei ihnen zum Programm geworden. Insbesondere die Springer-Zeitungen sind zudem Gewohnheitstäter im Verbreiten von rassistischer und sozialdarwinistischer Hetze.
Aber "gegen rechts" zu sein – genauer: gegen die AfD – ist heute in. Wen man auf diesen Protesten nicht alles sah: Ampel-Politiker riefen dazu auf und marschierten mit. Der niedersächsische SPD-Ministerpräsident Stephan Weil agitierte flammend "für Menschenrechte und Demokratie".
Den sprichwörtlichen Vogel jedoch hat wohl CDU-Chef Friedrich Merz abgeschossen: Der ultrarechte Ex-BlackRock-Lobbyist, Remigrationshardliner und Faulheitsexperte, der stets dafür plädiert, Arme noch ärmer zu machen, bezeichnete die Proteste auf Anfrage als "ermutigend". Man reibt sich die Augen.
SPD und Grüne, mit der FDP in der Regierung, stehen aber Merz kaum nach. Rechte Politik im Sinne imperialistischer NATO-Ziele ist ihr Programm: Sie rüsten auf und liefern so viele Waffen in Kriegsgebiete wie nie. Sie schonen Milliardäre und basteln an harten Repressionen gegen Arbeitslose. Gerade sogar diskutieren sie ihr eigenes "Remigrationsprogramm". Zum Abschieben benötigen sie die AfD nicht mal.
Die Scheinopposition
Realpolitisch unterscheidet sich die angebliche "Brandmauer" aus Union, FDP, SPD und Grünen tatsächlich nur noch in Nuancen von der AfD. Ihre Worte klingen meistens etwas freundlicher, auch wenn sie oft das Gleiche meinen. Und die Großsponsoren der Parteien entstammen verschiedenen Kapitalklüngeln.
Ansonsten sind sich alle ziemlich einig: Die NATO ist so alternativlos wie Aufrüstung, Reichenschutz und Abbau von einst hart erkämpften Sozial- und Arbeitsrechten. Den Wert von Menschen bemisst man durch die Bank weg nach ihrem Nutzen für das Kapital.
Der Affront des rechten politischen Establishments gegen eine rechte AfD hat wohl vor allem einen Grund: Ihre Großspender sind sich nicht einig, gelinde gesagt. Die verschiedenen Kapitalfraktionen konkurrieren freilich gegeneinander. Zu Recht fürchten viele alt eingesessene Unternehmerklüngel um ihre Pfründe, denn die multinationalen Player sind am Ball. Dabei heißt es doch so schön: Konkurrenz belebt den Markt. Konkurrenz zielt allerdings auch darauf ab, Konkurrenten auszuschalten.
Betrachtet man das aus dem Blickwinkel der "kleinen Leute", wird schnell deutlich: Das rechte Establishment bekämpft eine rechte Scheinopposition. Es ist ein Spiel der Mächtigen und ihrer Vertreter um politischen Einfluss. Alle Seiten instrumentalisieren Teile der Bevölkerung für ihre Sache. Um die Interessen der Normalbevölkerung geht es dabei aber nicht.
Der Mythos von der Mitte
Der Erfolgskurs dieser Scheingefechte beruht auf Propaganda, die ein Gebilde schuf, das es in Wahrheit gar nicht gibt: die angebliche "bürgerliche Mitte", die weder rechts noch links sei, sondern vernünftig. Und deshalb seien die "politischen Ränder", also die sogenannten "Extremisten", beiderseits ihre Feinde, die man bekämpfen müsse. Rechts klingt dabei freilich böser als links. Doch auch als Linker ist man heute nicht gefeit, dass einem das Establishment den Stempel "rechts" aufdrückt.
Das ist wohl ein taktisches Verwirrspiel. Mancher kommt dabei sogar auf die Idee, diese ominöse "Mitte" oder nur die Ampel für politisch links zu halten. Dies würde allerdings bedeuten, dass sie sich für Gleichwertigkeit aller Menschen einsetzen und gegen Herrschaft, Unterdrückung, Krieg und Ausbeutung kämpfen würde. Dass das Gegenteil der Fall ist, liegt auf der Hand.
Diese "bürgerliche Mitte" ist in Wahrheit gar nicht existent. Sie ist ein Mythos, geboren aus der Assimilation der Sozialdemokratie in das regierende Establishment, begleitet vom Projekt einer vermeintlichen Sozialpartnerschaft zwischen Lohnabhängigen und Kapital. Auch die Grünen und sogar die Linkspartei folgten später mehr oder weniger ihrem Beispiel. Die Futtertröge der Macht sind eben verlockend.
Es geht tatsächlich um die Erziehung der Bevölkerung. Wer zu diesem Scheingebilde der "guten Mitte" gehören will, muss sich anpassen. Für Lohnabhängige heißt das vor allem, brav fürs Kapital zu ackern. Aufstand gegen das politische Establishment ist freilich unerwünscht. Der kleine Arbeiter darf höchstens mal die Regenbogenflagge schwenken oder den Nonsensruf "Nazis raus!" loslassen.
Teilen und Herrschen
So führt das politische Establishment seinen Pseudokampf "gegen rechts", um einen Buhmann in Gestalt der AfD herbeizuzaubern. Erfolgreich verschleiert es damit seine eigene ultrarechte, gegen die Bevölkerungsmehrheit gerichtete Agenda und verdeckt die echte Frontlinie zwischen oben und unten. Und "die da oben" haben gerade die Nase sehr weit vorn.
Wenn also Rechte wie die Ampelparteien zum Protest "gegen rechts" trommeln und sich sogar ultrarechte Hardliner wie Friedrich Merz begeistert dazugesellen, sollte das Volk hellhörig werden. Dann riecht es gewaltig nach Propaganda für das altbekannte Spiel der Mächtigen: Teilen und Herrschen.
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