Von Gert Ewen Ungar
Es wird Lenin zugeschrieben, gesagt zu haben, wenn die Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen sie vorher eine Bahnsteigkarte. Mit umso mehr Erstaunen nahm man in Russland die Bauernproteste und ihren enormen Umfang zur Kenntnis.
Russische Medien haben breit über die landesweiten Aktionen berichtet. Die Aktionswoche der Landwirte wurde von der russischen Berichterstattung gut begleitet. Man zeigte in Russland Bilder, die man aus Deutschland nicht erwartet. Breiter gesellschaftlichen Protest, angeführt von den Landwirten, denen sich in Solidarität zahlreiche gesellschaftliche Gruppen angeschlossen haben.
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Berichterstattung über Deutschland in Russland unter journalistischen Gesichtspunkten von deutlich höherer Qualität ist, als die deutsche über Russland. Während es in Deutschland beispielsweise praktisch keine unkommentierten Originaltöne zu hören gibt und jede Information für den Medienkonsumenten sofort in das bestehende Russland-Narrativ eingeordnet wird, berichten russische Medien über Deutschland deutlich neutraler und um Objektivität bemüht. Dieses Bemühen fehlt den deutschen Berichten über Russland völlig.
Das heißt nicht, dass es in Russland keine Kommentare und Meinungsäußerungen zu Vorgängen in Deutschland geben würde. Deutsche Politik fordert schließlich geradezu zur Kommentierung auf. Aber Kommentar und Nachricht sind eben journalistisch sauber getrennt, während sie in den deutschen Berichten über Russland vermischt werden. Gleichzeitig unterscheidet sich die Berichterstattung auch in der Differenziertheit.
Deutsche Medien berichten im Kern über Putin und noch über Außenminister Lawrow. Sie berichten nicht über Parteipolitik, nicht über die in der Duma vertretenen Parteien, sie berichten nicht über die russische Regierung, nicht über Parteineugründungen, nicht über den Austausch zwischen Politik und Zivilgesellschaft. Das hat einen guten Grund.
Die russische Berichterstattung über Politik in Deutschland ist weitaus breiter aufgestellt, wobei selbstverständlich klar ist, warum die deutsche vor allem auf Putin fokussiert. Er wird für die Deutschen medial als Diktator inszeniert. Die Rede vom "System Putin" und vom "Autokraten" ließe sich mit Berichten über ein breit diskutierendes Parlament und eine Zivilgesellschaft, die an Politik partizipiert, nicht aufrechterhalten. Das deutsche Narrativ über Russland lebt vom Verschweigen und von der Unterdrückung von Information.
Wie das deutsche stützt sich auch das russische Fernsehen auf Journalisten vor Ort. Hinzu kommen deutsche Medienberichte. Der russische Fernsehkanal Rossija 1 übernahm bei den Protesten der Landwirte zahlreiche Fernseh-Beiträge der Welt. Sie wurden lediglich übersetzt. Dass russische Medien als Quelle für Vorgänge in Russland durch deutsche Medien herangezogen werden, ist dagegen nicht vorstellbar. Es sei denn, es handelt sich um vom Westen finanzierte Außenseiter-Medien.
Der Perwy Kanal zeigt Interviews mit Demonstranten vor Ort. Das Logo des Kanals ähnelt dem der ARD. In einer Einstellung regieren die Demonstranten zunächst abwehrend auf das vorgehaltenen Mikrofon mit dem vermeintlichen ARD-Logo. Als sie schließlich erkennen, dass es sich nicht um die ARD, sondern um das russische Fernsehen handelt, kippt die ablehnende Haltung ins Freundschaftliche.
"Hey, kommt her, das ist das russische Fernsehen."
Eine Gruppe von Demonstranten versichert Russland der Solidarität der Deutschen und distanziert sich vom Konfrontationskurs der Bundesregierung. Druschba – Freundschaft, spricht eine Teilnehmerin ins Mikrofon.
Das deutsche Fernsehen trifft in Russland in der Regel auf eine Mauer aus Schweigen. Für die deutschen Zuschauer ordnet ARD-Korrespondentin Ina Ruck dies regelmäßig als Angst vor freier Meinungsäußerung in Russland ein. Dabei ist hier in Russland genau wie in Deutschland bekannt, wie unfair und entstellend deutsche Medien mit Originaltönen umgehen. Es ist nicht die Angst vor dem "Regime", sondern ein gesundes Misstrauen gegenüber deutschen Medien, das sich in der Weigerung, mit deutschen Journalisten zu sprechen, ausdrückt. Gegenüber russischen Medien ist man auch in Russland gesprächiger als gegenüber deutschen.
An der Szene mit dem Perwy Kanal in Berlin wird daher deutlich, wie weit sich deutsche Medien von ihren Medienkonsumenten entfernt haben. Dass sich die Bauern über die Berichterstattung und die mediale Einordnung der Proteste als rechts beschwert haben, passt in dieses Bild. Der deutsche Journalismus ist in seiner Berichterstattung unfrei und versteht sich als verlängerter Arm der Bundesregierung. Auch das ist in Russland angekommen.
Dass Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) behauptet, Russland hätte Deutschland den Gashahn zugedreht, er damit die Unwahrheit sagt, nimmt man hier mit Verwunderung zur Kenntnis. Man hat all die Angebote noch im Gedächtnis, die Russland gemacht hat, um Deutschland trotz der durch die Sanktionen ausgelösten Schwierigkeiten weiterhin mit Gas zu versorgen. Putin hat eine Versorgung über den letzten noch intakten Strang von Nord Stream immer wieder angeboten und es wurde darüber selbstverständlich im russischen Fernsehen berichtet. Im deutschen dagegen nicht.
Es würde das Habeck-Narrativ, Russland habe den Gashahn zugedreht und sei daher verantwortlich für die deutsche Wirtschaftskrise, sehr unter Druck setzen. Eigentlich eine Aufgabe von kritischem Journalismus. Dass dies unterbleibt, zeigt, wie sehr der deutsche Mainstream bereits mit der Politik verschmolzen ist und sich die Sicht der Regierungspolitik zu eigen macht.
Die Landwirte und die Demonstranten, die sich den Protesten angeschlossen haben, haben die Schieflage in Deutschland sehr wohl verstanden. Die wirtschaftlichen Probleme sind hausgemacht. Sie sind allerdings nicht zu lösen, wenn man weiterhin auf die Geltungshoheit von Narrativen besteht und offene Diskussionen unterdrückt, wie das derzeit in Deutschland der Fall ist. Es braucht eine grundlegende Reform in Deutschland, die auch die Medien umfasst und sie wieder in den Stand versetzt, Journalismus zu machen. Die aktuellen Proteste sind nicht nur Ausdruck einer Krise der Politik, sondern auch einer Krise des Journalismus in Deutschland.
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