Von Wiktorija Nikiforowa
Die Wahlen auf Taiwan hat Peking gewonnen. Die Leser werden sich fragen:
"Wie kann das sein? Schließlich hat die Präsidentschaftswahlen der offen proamerikanische Kandidat der Demokratischen Fortschrittspartei, Lai Ching-te, gewonnen."
Das stimmt. Doch nicht immer ist alles exakt so, wie es scheint.
Erstens, seien wir ehrlich – kein antiamerikanischer Kandidat wird in Taiwan auch nur in die Nähe der offiziellen Politik gelassen. Die beiden Kandidaten, die gegen Lai Ching-te angetreten sind, riskieren nicht, ihre Stimme gegen das Diktat Washingtons zu erheben. Abgesehen davon, dass beide – in unterschiedlichem Maße – auch für den Ausbau der Beziehungen zu Peking sind.
Und wenn man die Stimmen für Hou Yu-ih (Kuomintang) und Ko Wen-je (Volkspartei) zusammenzählt, wird deutlich, dass sie zusammen fast 60 Prozent der Wählerstimmen erhielten. Interessanterweise versuchten beide Parteien eine Zeit lang, ihre Kräfte zu bündeln, was ihrem Kandidaten fast einen Sieg garantiert hätte. Aber irgendetwas hat nicht geklappt. Dennoch konnte selbst die Spaltung der Opposition nicht verhindern, dass Lai Ching-te "nur ein Minderheitenpräsident ist", wie die amerikanische Zeitschrift Foreign Policy feststellte.
Zweitens fanden auf Taiwan nicht nur Präsidentschafts-, sondern auch Parlamentswahlen statt, die von der Kuomintang-Partei gewonnen wurden, die eine Stärkung der Beziehungen zu Peking befürwortet. Die Kuomintang-Partei verfügt zwar nicht über eine absolute Mehrheit, aber zusammen mit den Vertretern der Volkspartei wird sie viele Entscheidungen des Präsidenten blockieren können.
Die Demokratische Fortschrittspartei hat die Parlamentswahlen verloren. Tatsächlich sehen wir, dass dieselben Menschen für Lai Ching-te und für die "Progressiven" gestimmt haben – etwa ein Drittel aller Wähler. Das sind die Chinesen, die sich selbst als Amerikaner und ihre Heimat Taiwan als den 51. US-Staat sehen. Sie waren in der Minderheit.
Was zum Scheitern der DPP führte, war in erster Linie die Verantwortungslosigkeit von Präsidentin Tsai Ing-wen: Die Dame ließ sich von den Amerikanern so weit benutzen, dass diese im August 2022 ein Flugzeug mit der Kongresspräsidentin Nancy Pelosi auf die Insel schickten. Dies geschah gegen den Willen Pekings, und die Volksrepublik China machte ihren Unmut deutlich. Kriegsschiffe patrouillierten an der Küste der Insel und Kampfjets flogen über das Meer. Die Inselbewohner merkten schnell, dass die Amerikaner einen Krieg mit ihren Händen führen wollen. Niemand wollte zu einer zweiten Ukraine werden, daher die Wahlniederlage der DPP.
Darüber hinaus verhängte ein verärgertes Peking Sanktionen gegen Taiwan und weigerte sich, Wolfsbarsch und Mandarinen von dort zu kaufen. Sie werden lachen, aber all dies ist für die Insel von großer Bedeutung. Peking ist Taiwans wichtigster Handelspartner, und wenn es wollte, könnte es die Inselbewohner im Handumdrehen ruinieren, und kein Amerika könnte es retten.
Das Hauptexportprodukt der Taiwaner sind Computerchips, aber ohne seltene Erden wird deren Produktion zum Erliegen kommen. Und es ist das chinesische Festland, das die Seltenerdmetalle liefert. Die Insel erhält außerdem Lebensmittel, landwirtschaftliche und industrielle Rohstoffe vom Festland. Im Jahr 2021, als Taiwan unter einer Dürre litt, wurden die Inseln des Jinmen-Archipels (sie stehen unter der Kontrolle Taipehs) mit Wasser vom Festland versorgt.
Eine Verschlechterung der Beziehungen zu Peking wäre für die Taiwanesen eine Naturkatastrophe, und die Insel hat dies sehr wohl erkannt. Sie haben für die Parteien gestimmt, die den Ausbau der Handelsbeziehungen mit China unterstützen.
Viele Menschen verstehen die Politik Pekings gegenüber der Insel nicht, insbesondere auf dem Kontinent selbst. Es mangelt nicht an chinesischen Couch-Kriegern, die dazu aufrufen, taiwanesische Separatisten zu "bashen" und die Amerikaner zu "schlagen". Im August 2022 wurde in den chinesischen sozialen Netzwerken leidenschaftlich über die Möglichkeit diskutiert, das Flugzeug mit Pelosi an Bord abzuschießen.
Die chinesische Führung hingegen beschränkt sich auf "Warnungen", "ernste Warnungen" und "ernste Erklärungen". Gelegentlich greift sie auf den Mechanismus selektiver Sanktionen zurück – hauptsächlich gegen amerikanische Partner. Warum diese Zurückhaltung?
Tatsache ist, dass Peking sehr wohl weiß, dass es keine "Taiwanesen" gibt, sondern nur ganz normale Chinesen – fast 24 Millionen Menschen, die auf mehreren Inseln leben. Ja, die Festlandchinesen sind teilweise wütend auf sie – sie sind die Nachkommen der "Umsiedler", die nach der Niederlage im Bürgerkrieg aus dem Land geflohen sind. "Weiße Akazienblüten der Emigration", sozusagen. Eine ganze Insel von Flüchtlingen.
Dies ist jedoch kein Grund für Peking, Taiwan anzugreifen oder es mit echten Sanktionen zu ruinieren. Im Gegenteil, Peking tut alles, um die taiwanesischen Chinesen an sich zu binden. Hier geht es um enorme Handelsumsätze, kulturelle Bindungen und menschliche Beziehungen. Ein ziemlich pikanter Skandal spielte sich bei einem der Kandidaten der Demokratischen Fortschrittspartei ab. Plötzlich stellte sich heraus, dass der proamerikanische Politiker eine langjährige Affäre mit einer Bewohnerin des chinesischen Festlandes hatte – können Sie sich das vorstellen? Die Liebesaffäre kostete den Politiker seine Karriere.
Peking profitiert davon, dass es die Beziehungen zu Taipeh wie eine Liebesaffäre aufbaut – es lockt, verführt und umarmt die Insel. Daher die ständigen Ideen der Volksrepublik China, die Insel durch Infrastruktur mit dem Kontinent zu verbinden, einen Unterwassertunnel zu verlegen, eine Brücke zu bauen, eine konstante Trinkwasserversorgung zu schaffen. Ja, diese Ideen werden jetzt vom taiwanesischen Regime blockiert, aber sie sind in der Tat die Zukunft.
Natürlich träumen die USA davon, Taiwan in eine zweite Ukraine zu verwandeln. Aber Peking will in der Insel eine zweite Krim oder besser noch ein zweites Hongkong sehen. Das setzt voraus, dass die proamerikanischen Taiwaner in der absoluten Minderheit bleiben, und genau das geschieht jetzt.
Sollte ein Oppositionskandidat Präsident Taiwans werden, würden die Amerikaner nicht zögern, einen weiteren "Maidan" auf der Insel zu veranstalten. Es gibt Präzedenzfälle dafür. Im Jahr 2014 inszenierten die USA bereits eine "Sonnenblumenrevolution" auf der Insel, um die damals regierende Kuomintang-Partei zu stürzen, die zu sehr auf Kontakte mit Peking aus war. Es kam zu Unruhen, Kundgebungen und terroristischen Anschlägen, etwa zur Explosion einer Gasleitung.
Ein neuer "Maidan" würde Peking zu einer Reaktion zwingen, und die amerikanischen Medien würden über die chinesische Bedrohung aufheulen. Wozu braucht das Reich der Mitte das alles? Bei den Wahlen in Taiwan hat Peking das Wichtigste gewonnen – Zeit. Mindestens Monate einer ruhigen, friedlichen Entwicklung.
Es sind die Amerikaner, die von einem Tag auf den anderen leben und alles um sich herum in Brand setzen. Alle anderen Länder profitieren davon, dass sie den ihnen auferlegten Konflikten so lange, wie möglich aus dem Weg gehen. Je länger wir durchhalten, desto größer ist die Chance, dass die USA die Nase voll haben und zusammenbrechen werden.
Der Erfolg Pekings in diesem Fall wurde in den USA selbst erkannt. Unmittelbar nach den Wahlen in Taiwan erklärte Präsident Biden, dass er "Taiwans Unabhängigkeit nicht unterstützt". Das ist genau das, was der alte Xi Jinping von dem alten Mann wollte, als er sich im November mit ihm traf. Kurzum: ein klarer Sieg.
Übersetzung aus dem Russischen. Der Artikel ist am 15. Januar 2024 auf ria.ru erschienen.
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