Von Tom J. Wellbrock
Ist das ausgerechnet von "Correctiv" aufgedeckte "Geheimtreffen" einiger Leute mit Planungen einer "Remigration" eine Gefahr für die Demokratie? Droht Millionen von Migranten (auch mit deutschem Pass) die massenhafte Abschiebung aus Deutschland? Es muss wohl so sein, wenn man die Kundgebungen auf der Straße und die Posts auf sozialen Medien verfolgt.
Aber genau genommen funktionierte Widerstand gegen den Faschismus genau andersherum: Die Widerstandskämpfer etwa gegen den deutschen Faschismus waren Minderheiten, die teils unter Aufopferung ihres Lebens die menschenfeindliche Politik der Nationalsozialisten bekämpften. Heute dagegen erleben wir eine aufgebrachte Mehrheit, die auf eine Minderheit eindrischt und ihr Mord, Totschlag und – natürlich! – Umsturzfantasien unterstellt.
Berliner Helden
Stellvertretend für die moralische Überlegenheit der modernen "Widerstandskämpfer" sei ein Redner zitiert, der in Berlin selbstlos den Anti-Faschisten mimte. Er sagt solche Dinge:
"Wenn es eins gibt, was die AfD jetzt möchte, dann dass das alles wieder verpufft. Und wieder nur ein weiterer Skandal, eine weitere Bedrohung, eine weitere Verschiebung der Grenze des Sagbaren bis ins Undenkliche wird. Das dürfen wir nicht zulassen!"
Abgesehen vom eigenwilligen Satzbau ist die Botschaft klar: Die AfD bedroht uns alle, das dürfen wir nicht zulassen, die AfD muss weg. Konsequenterweise muss man ergänzen, dass dann die Notwendigkeit besteht, auch alle AfD-Wähler "wegzumachen", was auch immer das dann bedeuten mag, denn ohne ihre Wähler wäre die AfD ja ähnlich relevant wie die NPD, also gar nicht.
Der Redner fährt fort:
"Überall stehen die Menschen gerade in den Startlöchern und warten nur darauf, dass sich endlich gegen die AfD zur Wehr gesetzt wird, die viel zu lang den politischen Diskurs in Deutschland vergiftet hat. Wir alle wollen endlich wieder über die realen Probleme der Menschen reden. Über bezahlbare Mobilität, über bezahlbare Mieten, über die Zukunftsängste der jungen Menschen und über den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft."
Große Worte, über die man sich verwundert die Augen reibt. Denn es wäre eine ziemlich neue Erkenntnis, dass die AfD für überteuerte Mieten und eine grottenschlechte Infrastruktur verantwortlich ist. Und den Zusammenhalt in der Gesellschaft haben zunächst 16 Jahre lang Merkel und ihre Komplizen gegen die Wand gefahren, jetzt "vergoldet" die Ampel-Koalition den Zusammenbruch des gesellschaftlichen Lebens vollends und auf einem Niveau, das vor zwei Jahren so nicht vorstellbar gewesen ist.
Doch der Punkt ist ein ganz anderer.
Die Liebe, die dem Hass innewohnt
Früher war Widerstand gegen den Faschismus eine Angelegenheit weniger Leute, die den Mut aufbrachten, sich gegen Unmenschlichkeit zu wehren. Heute strömen verwöhnte Café-Latte-Genießer zwischen Starbucks und McDonalds auf die Straße und fühlen sich wie Sophie Scholl. Dabei übersehen sie, dass sie sich so verhalten wie die, gegen die die früheren Widerstandskämpfer aufbegehrt haben.
Widerstand innerhalb autoritärer Systeme lebt in aller Regel von den Wenigen, die sich zur Wehr setzen, die den Mund aufmachen und Karriere oder im schlimmsten Fall ihr Leben aufs Spiel setzen, um sich der Unmenschlichkeit zu entziehen und andere davon zu überzeugen, ebenfalls nicht mitzumachen bei Menschenfeindlichkeit und Totalitarismus. Nachdem "Correctiv" nun aber ein Bild der zerstörten Demokratie durch ein paar Leute gezeichnet hat, wimmelt es im Land nur so von Widerstandskämpfern und Helden, die selbstlos und kämpferisch für das Gute eintreten und den Feind genau kennen.
Hören wir noch einmal in die Rede des Berliner Antifaschisten rein:
"Jeder und jede einzelne von Euch könnte der Funke sein, den jemand anderes gerade braucht, um aktiv zu werden und um aus der Defensive herauszukommen. Lasst uns das gemeinsam angehen, Hand in Hand, und unteilbar zeigen wir: Wir sind die Brandmauer gegen die AfD!"
Und um seinen liebevollen Emotionen besonderen Ausdruck zu verleihen, ruft der Redner dann noch:
"Und jetzt rufen wir noch mal alle zusammen: Ganz Berlin hasst die AfD!"
Er wiederholt mehrere Male, dass ganz Berlin die AfD hasse, und es dauert nicht lange, bis die Widerstandskämpfer in den Chor einstimmen. Zarte Gemüter könnten diese Rede durchaus als Aufruf zur Gewalt interpretieren, aber da es sich hier um waschechte Antifaschisten handelt, kann das natürlich nicht sein.
Die konstruierte Gefahr
Es ist ein Meisterstück der Propaganda! Nicht nur, dass Bauern und andere Branchen gerade massenhaft auf die Straße gehen (oder besser: fahren), um der Bundesregierung zu zeigen, dass sie deren Politik nicht mehr zu ertragen bereit sind. Nicht nur, dass gerade ein verfassungsfeindlicher Bundeshaushalt die Menschen überall im Land auf harte Proben stellt. Nicht nur, dass sich Deutschland unter seiner Regierung in ein Land der Kriegstreiber verwandelt hat. Nicht nur, dass die ganze politische und diplomatische Welt unsere Außenministerin mit wahlweise Kopfschütteln oder einem müden Lächeln verfolgt. Nicht nur, dass die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung Deutschland in einen deindustrialisierten Scherbenhaufen verwandelt.
Nein, all das reicht nicht, mehr noch, es interessiert die Widerstandskämpfer im Jahr 2024 nicht einmal. Sie stürzen sich auf eine Partei, die bundesweit stetig weiter an Zuspruch gewinnt, und stellen sich damit gegen einen großen Teil ihrer Mitbürger. Dabei konstruieren sie eine völlig abwegige Gefahr, die Gefahr eines Umsturzes mit anschließender Abschiebung von Millionen von Menschen.
Man muss ganz nüchtern fragen: Haben die noch alle Latten am Zaun? Wir haben während der Corona-Episode erlebt, wie die Staatsgewalt auch mit Tausenden Demonstranten gnadenlos und gewalttätig umgegangen ist. Jene Staatsgewalt hält sich bei den Bauernprotesten (noch) zurück, weil sie eine andere Macht darstellen und sich längst zu einer kritischen Masse entwickelt haben. Doch die Wasserwerfer stehen schon bereit, und in Berlin hört man täglich, dass das Ende der Unterstützung des Agrardiesels nicht zur Diskussion steht. Es wird also eskalieren. Oder die Bundesregierung sitzt es aus, man wird es sehen.
In dieser allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Stimmung im Land auf den Zug der AfD-Hasser aufzuspringen, ist wahlweise entweder Propaganda in Reinkultur oder es sind intellektuelle Defizite der Demoteilnehmer in höchster Vollendung.
Die AfD ist nicht das Problem, auch heute nicht. Sie ist das Ergebnis einer desaströsen Politik, einer Politik, die seit inzwischen Jahrzehnten Deutschland dominiert. Die Deutschen neigen dazu, sich eine ganze Menge gefallen zu lassen. Wenn die Menschen in anderen Ländern längst die Mistgabeln in den Händen halten, fragen sich die Deutschen normalerweise zunächst, ob die Dinger ökologisch korrekt und nachhaltig produziert wurden.
Doch es scheint eine Grenze des Tolerierbaren erreicht zu sein. Aus allen möglichen Ecken bekommt die Bundesregierung Gegenwind, und womöglich entwickelt er sich zu einem Sturm, dessen Ausgang ungewiss ist.
Und, wer weiß, vielleicht sind auch die Kühlschränke der ach so mutigen Redner gegen die AfD irgendwann schon vor dem Monatsende leer. Das wäre dann der beste Zeitpunkt, um neue Reden zu schreiben, die sich an die wenden, die für die "Kühlschrank-Situation" verantwortlich sind.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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