Von Jelena Karajewa
Europa beschritt, als es vor einem Vierteljahrhundert in den elektronischen Abrechnungen zu einer gemeinsamen Währung wechselte, den Weg bergab. Einen Weg in Richtung politischer und wirtschaftlicher Unselbstständigkeit. Die Umsetzung der Idee des Euro als gemeinsames Zahlmittel für einen Jeden und für jedes Land der Europäischen Union – denn das ist der Inhalt entsprechender Dokumente, die damals in Maastricht verabschiedet wurden –, ist eines der besten Beispiele dafür, wie man mehrere Hundert Millionen Menschen einfach betrügen kann, ohne dass die Urheber dieses Betrugs dafür irgendwie zur Rechenschaft gezogen werden.
Nun, der Euro – dieses Kind einer Mama, nämlich der Idee "Seid umschlungen, Millionen! Diesen Kuss der ganzen Welt!" und vieler Papas aus gewieften Lebenskünstlern, was diese Währung zu einem seltenen Fall einer wahrhaften kollektiven Vaterschaft macht –, wurde also zum Zwangsmittel auf der einen und zum Mittel der Vernichtung jeglichen politischen Widerstands auf der anderen Hand, sobald Staaten, die zur Eurozone gehören, ihren Unmut äußern.
Gewinner der Euro-Einführung besprechen wir später. Vorerst reden wir über die Verlierer. Denn zu Verlierern wurden so gut wie alle Teilnehmer an dieser Hütchenspieler-Fickfackerei.
Allen Teilnehmerstaaten, sowohl vergleichsweise gut betuchten wie Österreich als auch den eher ärmeren, um nicht zu sagen bettelarmen wie Griechenland, wurde als Eintrittsgebühr vorgeschrieben: Sie sollten ihren eigenen Zentralbanken zwei wichtigste Hebel entziehen, mittels derer das Kredit- und Währungssystem eines Staates eben kontrolliert wird. Sprich: Die europäischen Zentralbanken verloren die Befugnisse, nach eigenem Gutdünken Geld zu drucken und den Zinssatz für Kredite festzulegen. Alle Befugnisse verdünnisierten sich daraufhin auf Nimmerwiedersehen schnurstracks in den Hauptsitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main.
Somit wird das Leben von mehr als 340 Millionen Menschen durch ein, zwei Hundert Finanziers kontrolliert, die namentlich und mit dem Gesicht unbekannt sind und die sich daher, falls und sobald die europäische Finanzpolitik vollends den Bach runtergegangen ist, positiv unmöglich zur Rechenschaft werden ziehen lassen.
Besagte Finanziers verfügen hingegen über kolossale und in vielerlei Hinsicht völlig exorbitante Befugnisse. Zum Beispiel sind sie es, die über den Zinssatz entscheiden, den eine Familie irgendwo in einer spanischen, französischen, belgischen oder italienischen Gemeinde für einen Eigenheimkredit bezahlen muss. Zum Beispiel befinden sie und nur sie darüber, ob das Budget eines so kleinen, aber stolzen Landes wie der Niederlande den Normen der Finanzdisziplin genügt oder nicht. Wobei auf das Nichtgenügen Strafen stehen – und zwar nicht zu geringe.
Für konsequente Verstöße gegen besagte Finanzdisziplin erst setzt es dann gar böse Hiebe, wie seinerzeit im Falle Griechenlands: Athen hatte in der Tat weitaus mehr ausgegeben als eingenommen. Und damit Griechenlands Schulden und die anschließende Zahlungsunfähigkeit das angenehme Leben der Wohlhabenden und Banker nicht störten, wurde das Land dermaßen zur Strecke gebracht, dass faktisch alle Gesellschaftsschichten ruiniert und das Land selbst in eine Rezession getrieben wurden.
Wären die Griechen bei ihrer bescheidenen Drachme geblieben, dann wäre ihnen der Aderlass zumindest in derartiger Schwere erspart geblieben, weil sie ihre finanzielle Souveränität bewahrt hätten.
Wären die Franzosen bei ihrem Franc geblieben, hätten sie nicht alle möglichen Gesetze verabschieden müssen, die die Bürger aus heiterem Himmel zwingen, bis zum 67. Lebensjahr zu arbeiten.
Doch Frankfurt am Main samt Brüssel verlangen ideale Finanzrechenschaft nebst einer Mindestbefüllung des Budgets. Denn es braucht nur einen kleinsten Zweifel am Wert des Euro und dessen Stabilität, und schon fliegt das weltweite Finanzsystem zumindest im Hinblick auf die weltweit zweitwichtigste Reservewährung über den Jordan. Daher müssen die Griechen in ihren Budgetverabschiedungsakten ebenso herumfrisieren wie die Franzosen, Italiener und Portugiesen.
Jetzt aber zu den vorläufigen Gewinnern. Oder vielmehr zur Gewinnerin – der BRD. Die Idee einer Einheitswährung zupfte schon immer viele Saiten in den Köpfen und Herzen der Globalisten. Sowohl damals als auch heute, trotz der Hölle der herrschenden Rezession in Deutschland. Denn auch eine wackelnde und wankende deutsche Wirtschaft, billiger Energieträger aus Russland beraubt, kann sich noch immer wie eine Zecke an das EU-Wirtschaftssystem heften und sich so lange an ihm vollsaugen wie das System noch Säfte und die deutsche Wirtschaft Appetit hat.
Für diese Spielchen deutscher Politiker werden alle zahlen. Die einfachen Spanier sowie die Griechen und die Bewohner der drei baltischen Staaten. Auch die Bürger in der BRD. Denn anders funktioniert dieses System eines einheitlichen Währungsraums nicht.
Erst drückte Westdeutschland mittels gekonnter Lobbyarbeit und unter Ausnutzung der Wirtschaftsprobleme der Sowjetunion seine sogenannte Wiedervereinigung mit Ostdeutschland durch. Anschließend, als die UdSSR zusammenbrach, wandte sich die BRD dem ehemaligen Jugoslawien beziehungsweise der gesamten Balkan-Region zu, wo die UdSSR und nach ihr Russland mehr Einfluss hatte als ganz Westeuropa zusammengenommen. Ziel der Bundesregierung war es, der Sowjetunion auch den Einfluss auf diese Gebiete zu entreißen. Nach dem Erreichen dieser geopolitischen Ziele wandte sich die Bundesregierung der Aufgabe zu, sich die besten Wirtschaftsbedingungen zu ermogeln. Die Einführung des Euro – für alle so romantisch umspielt, aber günstig im Großen und Ganzen nur für Berlin – wurde um den Jahrtausendwechsel herum zum Eckpfeiler des zweiten "deutschen Wirtschaftswunders".
Doch heute? Was bleibt dem europäischen Wirtschaftsblock nach all diesen Schamanentänzen mit Tamburin (um nicht zu sagen: nach dem Twerk mit Pauken) um den Euro herum? Na alles, was sich die globalistischen Eliten nur erträumen können: Totale Kontrolle über die Geldemission und die Finanz- und Währungspolitik aller Mitgliedsländer der Euro-Zone sowie totale Kontrolle über die jeweilige nationale Budgetpolitik all dieser Staaten.
Europäer, die sich selbst für pragmatisch und freiheitsliebend erachteten, wurden also nicht bloß Opfer von Hütchenspielern, sondern haben diesen darüber hinaus eigenhändig und freiwillig den Strick gereicht, an dem sie ihre Souveränität nun baumeln sehen.
Die stete Abnahme des Euro-Anteils bei Verrechnungen über internationale Bankensysteme zeigt schließlich, dass man Souveränität genauso durch Leichtsinnigkeit verlieren kann wie Jungfräulichkeit. Das alles zurückzuholen ist unmöglich, ganz gleich, wie viele Gedanken man daran verschwendet.
Kleinigkeiten gibt es beim Schutz der eigenen Souveränität und der Führung einer selbstständigen Politik nicht. Weder im Inland noch auf der internationalen Arena. Eine Wahrheit, die die Russen unlängst schmerzlich gelernt haben, die sich den Europäern von heute aber leider noch nicht offenbart hat. Oder vielleicht doch...?
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 06. Januar 2024.
Jelena Karajewa ist eine russische Journalistin und Kolumnistin bei RIA Nowosti.
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