Von Tom J. Wellbrock
Hochwasser eignet sich für Politiker historisch bedingt (gemeint ist Gerhard Schröder, dem seine Gummistiefel eine weitere Amtszeit bescherten) perfekt, um sich als mitfühlendes Lebewesen zu zeigen. Nachdem sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) in Jeans und Riesenschuhen gezeigt und ein zerknirschtes Gesicht gemacht hatte, darf man die positive Wirkung solcher Reisen in Flutgebiete allerdings bezweifeln. Kein Grund für Ricarda Lang, von ihrem kleinen Ausflug Abstand zu nehmen.
Die übers Wasser geht
Verfolgt von einer Horde Journalisten, die im Schlamm um sie herumtanzten, ging Ricarda dorthin, wo es wehtut: direkt ins Wasser. Und tatsächlich wirkte es, als gehe da eine Landwirtin durch die Pfützen, wohlgenährt und in Gummistiefeln verdrängte Lang das Wasser unter sich und schenkte der Gruppe Kameraträger nur wenig Beachtung.
Es wurde viel gelacht, wenn auch nicht von Ricarda Lang, die schließlich nicht den Laschet machen wollte. Lustig war ihr Auftritt trotzdem, insbesondere als sie in die Kameras sprach und ausführte:
"Wir haben das beim Ahrtal gesagt, und das gilt für mich genauso für diese Flut: Niemand darf mit diesen Schäden alleingelassen werden, das heißt, wir müssen dann schauen, auch mit Bund und Land, wie kann finanziell unterstützt werden [...]."
Das gemeine Hochwasseropfer würde jetzt wohl antworten: Am besten kann mit Geld finanziell unterstützt werden, aber so einfach ist das alles ja nicht, wie wir wissen. Und so fuhr die große, kleine grüne Vorsitzende fort:
"Und welchen finanziellen Handlungsspielraum müssen wir schaffen, um das möglich zu machen, das ist klar, die Schuldenbremse darf am Ende nicht dazu führen, dass hier Menschen mit den Kosten, mit den Schäden vor allem, alleine gelassen werden. Aber wie das konkret aussehen kann, das schauen wir uns an, wenn die Akutsituation hier abgelaufen ist."
Man muss das natürlich als handfeste Warnung an die Akutsituation betrachten, denn ihre Zeit scheint bald abgelaufen zu sein.
Ahrtal? Da war doch was!
Ricarda Lang sprach über das Ahrtal, und wer ihr zugehört hat und Opfer des aktuellen Hochwassers ist, dürfte das nicht unbedingt als beruhigend empfinden. Denn Mitte 2023 konnte man etwa im Redaktionsnetzwerk Deutschland nachlesen:
"Bernd Gasper ist fast zwei Jahre nach der Ahrflut mit mindestens 134 Toten ‒ darunter seine Schwiegermutter ‒ an einem Tiefpunkt. Den 70-Jährigen und seine Frau Brigitte quälen schlimme Zukunftssorgen. In ihrem Ausweichquartier in der Nähe von Bonn warten sie auf die Bewilligung ihres im November 2021 bei der Investitions- und Strukturbank (ISB) gestellten Antrags auf Geld aus dem Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern ‒ zunehmend verzweifelt. Sie möchten nach dem Abriss ihres Hauses, das in den stinkenden Wassermassen zerstört worden war, etwas weiter weg vom Fluss in ihrem Heimatort Altenburg wieder aufbauen."
Gaspers Bruder hatte mehr Glück, er bekam Geld von seiner Versicherung. Aber alles in allem ist das Ahrtal ein mehr oder weniger totes Gebiet, wie ein Winzer ausführt:
"Winzer Alexander von Stodden aus dem Wein-Ort Rech muss bei den Milliarden Euro im Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern immer wieder an einen Ablassbrief denken. 'Es ist erschreckend, wie langsam das geht', sagt Stodden, der auch in der Kommunalpolitik aktiv ist. Es fehle ein Konzept für den Wiederaufbau. Anfangs habe er gesagt, es dauert fünf Jahre, bis Außenstehende nichts mehr sehen, und zehn Jahre, bis wir nichts mehr sehen. Das halte er nicht mehr für erreichbar. 'Man merkt richtig, dass die Luft raus ist ‒ und es kommt Frust auf.' Der Winzer befürchtet: 'Der Gast guckt sich das noch eine Weile an, dann kommt er nicht mehr.'"
Auch Ricarda Lang ist nicht ins Ahrtal gekommen, zum Beispiel um sich anzusehen, wie es vorwärtsgeht. Aber bei der derzeitigen Stimmung der Bevölkerung wäre ihr Erscheinen womöglich eine ebenso gute Idee gewesen wie Robert Habecks kürzlicher Plan der Überfahrt auf einer Fähre, die der Grüne verschieben musste, weil er den Unmut zahlreicher Bürger erfuhr.
Unbürokratische Hilfe im "Haus, das Verrückte macht"
Vielleicht erinnern sich die Leser an den "Passierschein A38", den Asterix und Obelix benötigten. Keine große Sache, dachten die beiden Helden, bis sie eine Weile im Haus verbracht hatten, das Verrückte macht.
So ähnlich sieht die "unbürokratische" Hilfe in Deutschland ebenfalls aus. Kehren wir zur Veranschaulichung noch einmal ins Ahrtal zurück. Das Problem vom oben genannten Bernd Gasper bestand unter anderem darin, dass er sein zerstörtes Haus nicht exakt am gleichen Platz aufbauen wollte, wo es vorher gestanden hatte.
Herr Gasper, wie können Sie nur! Denn:
"Bei Bernd Gaspers Antrag handle es sich um ein 'Ersatzbauvorhaben', weil er nicht an derselben Stelle ‒ in unmittelbarer Nähe zur Ahr ‒ wieder bauen will, heißt es bei der ISB. 'Diese Vorhaben setzen sich von der Bearbeitung der Anträge auf Aufbauhilfe bei Gebäudeschäden ab ‒ sie sind komplexer und benötigen eine längere Bearbeitungszeit.'"
Von ähnlichen Problemen kann auch Hermann-Josef Pelgrim ein Lied singen. Er kommt von der Aufbaugesellschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler und beklagte sich Mitte 2023 über die Verwaltungsvorschrift der Schadensbehebung, die für nachhaltiges Bauen keinen Sinn hat:
"'Für den öffentlichen Bereich ist es fatal, dass wir nicht zukunftsgerichtet und klimaresilient aufbauen können ‒ etwa mit mehr Bäumen, mit Maßnahmen im Gewässer für den Hochwasserschutz', sagt Pelgrim. 'Das entspricht nicht den Zukunftsvoraussetzungen hinsichtlich des Klimawandels.'"
Nun könnte man einwenden: Gut, gut, aber Schadensbehebung stand nun mal im Vordergrund, Klima- und Hochwasserschutz sind dann eben später dran. Wollen wir Herrn Gasper von oben mal fragen, wie er die Schadensbehebung der Politik so findet? Besser nicht, der Mann bekommt sonst noch einen Herzinfarkt.
Die Tagesschau fragte dann noch:
"Aber wieso planen Politik und Behörden einen Wiederaufbau ohne Hochwasserschutz ‒ gerade im Ahrtal?"
Eine ziemlich gute Frage, die man womöglich Ricarda Lang mal stellen sollte.
Geteiltes Leid …
Das Wasser – nicht mal das der Pfützen – konnte Ricarda Lang nicht teilen, aber sie bot geteiltes und demzufolge halbes Leid an, zumindest vor den Kameras. Auf die Frage, ob es nicht ein erschreckendes Zeichen sei, dass Deutschland auch auf Hilfe aus Frankreich zurückgreifen musste, entgegnete die plantschende Grüne, dass sie es genau andersherum sehe. Die Hilfe aus Frankreich sei ein Signal für den Zusammenhalt in Europa.
Und so wird die grüne Wassertreterin jetzt wahrscheinlich wieder im Warmen sein und gespannt abwarten, wann die Uhr der Akutsituation abgelaufen ist, um dann richtig durchzustarten, und zwar mit jeder Menge unbürokratischer Hilfe. Derweil behalten die betroffenen Menschen in den Hochwassergebieten erst einmal nasse Füße und im besten Fall etwas trockenen Humor.
Was sonst sollen sie auch tun?
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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