Von Rachel Marsden
Einer Lehrerin in einem Vorort von Paris wird Islamophobie vorgeworfen, weil sie ihrer Klasse, im Rahmen einer Übung in Bildanalyse, das klassische Gemälde "Diana und Actaeon" von Giuseppe Cesari gezeigt hat – und das alles nur, weil die abgebildeten "fünf Musen der Antike" zufällig nackt sind. Es ist ein klassisches Gemälde, kein Porno.
Obwohl der Künstler, der seit fast vier Jahrhunderten tot ist, wahrscheinlich nicht die Absicht hatte, mit seiner Darstellung der Nymphen irgendjemanden zu beleidigen, als er das Werk im 17. Jahrhundert erschuf, dient es heute offenbar als praktisches Sprungbrett dafür, jene Art der unentgeltlichen Opferrolle einzunehmen, die im heutigen Zeitalter der Zensurkultur dermaßen verbreitet ist und in der das Schlimmste, was einem vorgeworfen werden kann, darin besteht, jemanden beleidigt zu haben.
Am Ende des Schultages hatten sich die Eltern der wenigen Kinder der Jacques-Cartier-Mittelschule in der Pariser Vorstadt Issou, die sich nach Angaben der Schulbehörden und Berichten zufolge vom Gemälde abgewandt hatten, als es im Unterricht präsentiert wurde, bereits bei der Schule eingefunden. Sie verlangten eine Erklärung für das, was sie später in der französischen Presse als islamfeindlich angeprangert haben. Am darauffolgenden Schultag machten die Lehrkräfte der Schule von ihrem Recht Gebrauch, aus Angst um ihre Sicherheit nicht zur Arbeit zu erscheinen. Der französische Bildungsminister musste persönlich auf dem Campus erscheinen, um ein Fiasko zu verhindern, das überzukochen drohte.
Die Schule im Vorort Issou liegt nur 34 Kilometer von der Mittelschule der Vorstadt Conflans-Sainte-Honorine entfernt, vor der ein Lehrer, Samuel Paty, enthauptet wurde, weil er im Oktober 2020 einer Klasse provokante Karikaturen aus dem Satiremagazin Charlie Hebdo über den Propheten Mohammed im Rahmen von Bildungs- und Debattenzwecken gezeigt hatte. Der Vorfall führte dazu, dass ein bekannter radikaler Islamist virale Postings darüber in den sozialen Medien verbreitete, die von einem 18-jährigen, islamistisch motivierten Flüchtling gesehen wurden. Dieser wurde noch am Tatort von der Polizei erschossen, als sie wegen der Ermordung des Lehrers dort anrückte. Anfang Dezember wurden sechs Jugendliche strafrechtlich verurteilt, weil sie mit dem Mörder bei der gezielten Attacke auf Paty kooperiert hatten.
Auch an einer anderen Mittelschule in Mantes-la-Jolie, nur neun Kilometer vom jüngsten Vorfall mit dem Kunstwerk von Cesari entfernt, machten die Lehrer Anfang Dezember kurzzeitig von ihrem Recht Gebrauch, von der Arbeit fernzubleiben, als sie herausfanden, dass ihre Namen in einer Chatgruppe auf WhatsApp von Eltern ihrer Schüler aufgetaucht waren im Anschluss an eine Schulstunde zur Medienkompetenz von Geschichts- und Geographielehrern zum Israel-Palästina-Konflikt. Berichten zufolge waren die Eltern schockiert darüber, dass in den im Unterricht verwendeten Materialien die Hamas als "terroristische Gruppierung" bezeichnet wurde.
Nun, nur weil ein Lehrer die Hamas als Terroristen bezeichnet, heißt das nicht, dass der Lehrer islamfeindlich oder eine Art tollwütiger Zionist ist. Man mag dieser besonderen Charakterisierung persönlich nicht zustimmen – denn der Terrorist des einen ist der Freiheitskämpfer des anderen –, aber das ist die tatsächliche aktuelle Haltung Frankreichs und der Europäischen Union. Wenn die Lehrer ihre Arbeit so objektiv wie möglich machen wollen, haben sie keinen großen Spielraum, um von den Vorgaben des Establishments abzuweichen.
Was sollten sie also tun – eine Debatte anstoßen? Jeder liebt die Idee einer Debatte – solange sich die Lehrer auf die Seite schlagen, die man selber bevorzugt. Da sich so viele Lehrer aus Angst aus dem Lehramt zurückziehen, ist es kein Wunder, dass es nicht genügend Lehrpersonen gibt. Laut der Lehrergewerkschaft fehlte es im vergangenen September an etwa 50 Prozent der Ober- und Mittelschulen in Frankreich an mindestens einem Lehrer.
Ebenso wie die freie Meinungsäußerung sind auch Statuen, Zeichnungen und Gemälde Teil der westlichen Kultur und Zivilisation. Eines der Hauptargumente für die Aufnahme von mehr Einwanderern, so wie es vom westlichen Establishment gefördert wird, ist, dass dies ein Mittel sei, westliche Demokratien kulturell zu bereichern. Die Forderung, dass klassische Kulturwerke vertuscht, abgerissen oder zensiert werden, weil sie für die Kultur der Einwanderer eine Beleidigung darstellen könnten, widerspricht diesem Argument.
Kommt schon, Leute. Wir reden hier über Frankreich. Eines der Nationalsymbole Frankreichs, die Marianne, wurde vielleicht zu der am bekanntesten Oben-ohne-Frau auf dem legendären Gemälde von Eugène Delacroix, "Die Freiheit führt das Volk", dargestellt, das den Moment des Triumphs des Volkes über die Eliten während der Französischen Revolution darstellt. Jeder, dem die natürlichen weiblichen Formen auf die Nerven gehen, hat wirklich eine falsche Entscheidung getroffen, als er sich dafür entschied, dass Frankreich das richtige Land für ihn sei – vom Oben-ohne-Sonnenbaden, das nicht einmal ein Achselzucken rechtfertigt, bis hin zu Frankreich als Nation, die als Geburtsort des Bikinis gilt, seit Louis Réard mit seinem Design 1946 im legendären Molitor-Schwimmbad in Paris ein weltweites Debüt feierte.
Zugegeben, wir leben in einer Zeit aufgeheizter Konflikte, in der jeder versucht, gegen "die andere Seite" zu punkten, indem er bequemerweise versucht, unbequeme Vorfälle so zu definieren, dass sie ein bestimmtes Etikett rechtfertigen, das dazu dient, den Gegner mundtot zu machen – sei es aus Angst, des "Rassismus", "Sexismus", "Islamophobie" oder "Antisemitismus" beschuldigt zu werden. Dies ist ein großer Nachteil für die Anliegen, für die sie sich einsetzen wollen, indem sie diese dann mit Trivialitäten verwässern. Es gibt ein echtes, legitimes globales Mitgefühl für die Tausenden von Zivilisten in Gaza, die derzeit getötet werden, während die Welt dabei zusieht und darüber streitet. Aber den Konflikt in Gaza als Vorwand zu nutzen, um die Meinungsfreiheit der Menschen zu beeinträchtigen, wird nicht viele Herzen oder Zustimmung für sich gewinnen.
Es gibt Fälle echter Islamophobie, bei der eine sehr klare Definition von Vorurteilen gegenüber Muslimen manifestiert wird. Eine selektive Abneigung gegenüber einigen Aspekten des kulturellen Repertoires eines anderen Landes passt nicht ins Bild, ebenso wie die reflexartigen Anschuldigungen von Antisemitismus nicht als Mittel genutzt werden sollten, um Kritiker der israelischen Außenpolitik zu schikanieren und zur Unterwerfung und zum Schweigen zu zwingen. Das sind zwei Seiten derselben rhetorischen Medaille. Sie dienen dazu, demokratische Debatten effektiv zu unterdrücken – was wünschenswert sein kann, wenn man es zu seinen Gunsten nutzen kann, aber ganz sicher nicht, wenn man selbst Opfer derselben Taktik wird.
Es sollte möglich sein, selbst inmitten eines schrecklichen Konflikts immer noch Zugang zu besitzen zu den schönen Dingen des Lebens, wie Gemälden und Kunst – oder Lehrern, die keine Angst um ihr Leben haben müssen.
Aus dem Englischen.
Rachel Marsden ist eine Kolumnistin, politische Strategin und Moderatorin eines unabhängig produzierten französischsprachigen Programms, das auf Sputnik France ausgestrahlt wird. Ihre Webseite findet man unter rachelmarsden.com.
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