Von Gert Ewen Ungar
Am 13. Dezember verkündeten Kanzler Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Finanzminister Lindner (FDP), einen tragfähigen Kompromiss im Haushaltsstreit gefunden zu haben. Heute, am 18. Dezember, lediglich fünf Tage später, droht der Kompromiss bereits zu scheitern. Nicht am Widerstand der Opposition wohlgemerkt, sondern am Widerstand aus der Koalition selbst. Die FDP-Fraktion kündigte an, ihr Veto einzulegen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) solidarisierte sich mit den deutschen Landwirten, die heute in Berlin protestieren. Der gefundene Kompromiss sei "problematisch", teilte der Minister bereits gestern mit. Finanzminister Lindner sagte ebenfalls gestern in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin, wenn der Landwirtschaftsminister und eine Fraktion Bedenken haben, müsse man das ernst nehmen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck wird daraufhin panisch. Der gefundene Kompromiss verlange allen etwas ab, sagt er in einem Interview mit der dpa. Dabei tut er so, als ginge es nicht anders. Einschnitte tun weh, müssen aber sein.
"Kürzungen muten Menschen etwas zu, und ich hätte es gern vermieden", behauptet Habeck.
Das ist nicht richtig. Diese Einschnitte müssen nicht sein. Es wäre schön, wenn sich sowohl der Vizekanzler und die anderen Mitglieder der Ampelkoalition, aber auch die Opposition endlich ehrlich machen würden. Die deutsche Misere ist einer aggressiven, auf Konfrontation angelegten Politik geschuldet.
In einem Interview mit dem ZDF am Tag, als der wohl doch nicht so tragfähige Haushaltskompromiss gefunden wurde, nimmt Habeck Stellung. Er behauptet da erneut, die hohen Energiepreise seien einem Schock von außen geschuldet. Das ist schlicht falsch.
"Es sind ja keine Kosten, die aus dem Krieg den wir uns ausgedacht haben … die hohen Energiepreise kamen von außen."
Sie seien durch den "russischen Angriffskrieg" ausgelöst worden. Für diese Behauptung gibt es keinen einzigen stichhaltigen Beleg. Es ist eine Desinformation, die der Wirtschaftsminister wiederholt vorträgt und die obendrein unwidersprochen bleibt. Die aktuellen Probleme Deutschlands gehen nahezu ausschließlich auf die Sanktionen zurück. Die aber wurden nicht von Russland, sondern von der EU verhängt. Die ganz große Koalition von CDU über FDP, die Grünen, Teile der Linken bis zur SPD sind große Befürworter der Zwangsmaßnahmen gegen Russland. Damit tragen sie die Verantwortung für die desaströse Lage im Land und die düsteren Zukunftsaussichten.
Ziel der Sanktionen war im Gegenteil, der russischen Wirtschaft einen Schock zu versetzen, der sie innerhalb kürzester Zeit vernichten würde. Man glaubte damals, man könne das selbst gut und ohne große Erschütterungen überstehen. Das ist nicht gelungen. Es hat sich nicht bewahrheitet. Dennoch hält die ganz große Koalition, aber auch die EU, am Sanktions-Regime fest, obwohl es inzwischen zu schweren Verwerfungen in der EU führt. Es löst in den Ländern der EU das aus, was es eigentlich in Russland bewirken sollte: den Niedergang der Wirtschaft verbunden mit Bürgerprotesten und Rücktrittsforderungen an die jeweiligen Regierungen. Die deutschen Bauern haben heute am Brandenburger Tor der Bundesregierung den Kampf angesagt. So etwas sollte eigentlich auf dem Roten Platz passieren.
Die deutsche Politik sollte sich daher endlich ehrlich machen. Deutschland hat in besonderem Maße von der Globalisierung profitiert, vom Abbau von Handelsschranken, dem Bezug von günstiger Energie aus Russland, einem globalen Absatzmarkt. Deutschland wurde Exportweltmeister nicht aufgrund der Genialität seiner Ingenieure und dem Fleiß seiner Arbeiter, wie es die Politik populistisch behauptet, sondern weil die Bedingungen für die deutsche Wirtschaft durch die Globalisierung besonders günstig waren.
Es gab Zugang zu Rohstoffen und Energie einerseits und zu Absatzmärkten andererseits. Eine Politik des Lohndumpings im Inland in Verbindung mit günstiger Energie und der Auslagerung von Teilen der Produktion in Niedriglohnländer machte die deutschen Produkte im Vergleich zu gleichwertigen Produkten aus anderen Ländern günstig. Das brachte Deutschland einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Das Sanktions-Regime hat in diese Mechanik zum Nachteil Deutschlands eingegriffen.
Nicht der Krieg in der Ukraine, das Sanktions-Regime hat diese für die deutsche Wirtschaft günstigen Voraussetzungen zerstört. Die Sanktionen zerstören die Mechanismen, von denen Deutschland wie kaum ein anderes Land profitiert hat. Man kann diese Mechanismen nicht einfach ändern, den Handel begrenzen und den Preis für Energie erhöhen, ohne dass dies massive Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft hätte. Das ist die einzig sinnvoll zu ziehende Lehre aus dem Sanktions-Desaster, die aber in Berlin niemand ziehen will.
Für all dies trägt nicht Putin die Verantwortung. Die Verantwortlichen sitzen in den deutschen Ministerien und in Brüssel. Sie haben sich komplett verkalkuliert.
"Was für Politikerinnen und Politiker nicht geht, ist, sich der Verantwortung zu entziehen", sagt Habeck, doch genau das ist es, was er tut. Er versucht, sich der Verantwortung zu entziehen, indem er behauptet, Russland trage die Schuld für die deutsche Wirtschaftsmisere. Das ist schlicht nicht wahr. Die Krise ist ausschließlich hausgemacht und die Verantwortlichen sitzen in der Regierung. Der Urteilsspruch der Verfassungsrichter in Karlsruhe zum Nachtragshaushalt hat die Fehlplanung lediglich früher als gedacht platzen lassen. Man kann nicht dauerhaft den Energiemarkt subventionieren und zu diesem Zweck immer neue Schulden aufnehmen, wie die Ampel das geplant hatte.
Wenn man einmal verstanden hat, was die deutschen Probleme ausgelöst hat, ist man der Lösung aber schon einen Schritt näher. Man wird dann erkennen, dass sie sich ohne Russland nicht lösen lassen. Der Wohlstand in Deutschland ist von der Kooperation mit Russland abhängig. Um diese Erkenntnis wird man in Deutschland nicht herumkommen.
Dann gibt es zwei Möglichkeiten. Man verzichtet auf Wohlstand und nimmt in Kauf, dass Deutschland aufgrund zunehmender Verteilungskämpfe unregierbar wird. Was passiert, wenn der Wohlstand in einer Gesellschaft plötzlich sinkt, ließ sich in den 90ern in Russland gut beobachten. Verfolgt man in Deutschland weiter den eingeschlagenen Kurs, steht dem Land ein ähnliches Schicksal bevor.
Die Alternative dazu wäre, politische Vernunft anzunehmen und sich im Verhältnis zu Russland um Schadensbegrenzung zu bemühen. Der deutsche Wohlstand ist von Russland abhängig, wie diese Krise deutlich macht. Man sollte daraus die entsprechenden Schlüsse ziehen – Schlüsse zum Wohle Deutschlands und Schlüsse, die dem Frieden in Europa dienen. Ob das mit dieser Politikergeneration möglich ist, wird die nächste Zukunft zeigen. Zweifel daran sind mehr als angebracht, denn man glaubt sich in Berlin auch für den Handelskrieg mit China gut gerüstet. Zugleich fehlt es an Einblick in makroökonomische Zusammenhänge. Für die Deutschen steht daher viel auf dem Spiel.
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