Von Fjodor Lukjanow
Die Aussagen von David Arachamija, der vor anderthalb Jahren in Istanbul an den russisch-ukrainischen Verhandlungen zur Beendigung des bewaffneten Konflikts teilgenommen hat, haben vergangene Woche für Aufsehen gesorgt. Der Vorsitzende des ukrainischen Parlaments sagte im Grunde, was bereits andere geäußert hatten, doch seine Verlautbarungen lieferten zum ersten Mal eine offizielle Bestätigung aus dem offiziellen Kiewer Regierungsapparat.
Erstens gab er zu, dass es damals bei den Verhandlungen in Istanbul vor allem um die militärische und politische Sicherheitsarchitektur ging – namentlich den garantierten neutralen Status der Ukraine. Wie wir aus den Worten des russischen Präsidenten Wladimir Putin wissen – geäußert während eines Treffens mit einer hochrangigen afrikanischen Delegation im vergangenen Juni in Sankt Petersburg –, sprachen die Verhandlungsführer beider Seiten in Istanbul auch über konkrete Bedingungen zur Begrenzung des militärischen Potenzials der Ukraine. Zweitens berichtete Arachamija über die Intervention des damaligen britischen Premierministers Boris Johnson, der entweder aus eigener Initiative oder im Namen des kollektiven Westens sich dafür einsetzte, den Krieg bis zu einem siegreichen Ende voranzutreiben.
Ich werde auf eine politische Bewertung der Entscheidungen der ukrainischen Führung verzichten. Interessanter ist die inhaltliche Seite der Verhandlungen, die nun genauer beurteilt werden kann.
Eineinhalb bis zwei Monate nach Beginn der Feindseligkeiten im Februar 2022 wurde der Ukraine angeboten, was gemäßigtere westliche Kommentatoren bereits im Jahr 2014 vorgeschlagen hatten, nach Beginn der Krise um den Donbass: eine "Finnlandisierung" der Ukraine. Mit anderen Worten: eine Garantie für die Sicherheit und Unabhängigkeit des Landes, im Gegenzug für verbindliche Beschränkungen seines politischen Status und militärischen Potenzials. Ein Beispiel dafür wäre das Abkommen zwischen der UdSSR und Finnland nach dem Zweiten Weltkrieg, als Finnland seine Souveränität und fast vollständige Unabhängigkeit wiedererlangte, was auch Handels- und Wirtschaftspräferenzen beinhaltete, und Helsinki sich bereit erklärte, sich von westlichen Bündnissen fernzuhalten.
In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre wurde diese Vereinbarung als große Errungenschaft für Finnland betrachtet, weil die Alternative dazu darin bestanden hätte, das Land in den sowjetischen Einflussbereich einzugliedern, mit allen Konsequenzen. Etwa mit der Errichtung einer "Volksdemokratie" und einer strikten Einhaltung der Außenpolitik der UdSSR.
Im vergangenen Jahrzehnt waren nur sehr wenige bereit, ein solches Modell in Bezug auf die Ukraine zu diskutieren. Diese wenigen waren im Großen und Ganzen Anhänger des Realismus in den internationalen Beziehungen. Der kürzlich verstorbene Henry Kissinger galt als die Personifikation dieser Politik. Aber zu den wahren Gläubigen dieses Realismus gehörten bei Weitem nicht alle. Andere, die grundsätzlich an das Gleichgewicht der Kräfte glaubten, hielten es nicht für notwendig, den finnischen Ansatz im Fall der Ukraine anzuwenden. Schließlich galt Russland als zu minderwertig gegenüber dem Gesamtpotenzial des Westens, um die militärisch-strategischen Interessen Moskaus ernsthaft zu berücksichtigen.
Die meisten westlichen Politiker und Strategen vertreten mittlerweile eine völlig andere Ideologie: Machtverhältnisse und geopolitische Kompromisse seien ein Erbe der Vergangenheit und heute nur noch ideologische Kategorien relevant. In ihrem Denken siegt "die freie Welt" über die "unfreie" – nicht mehr und nicht weniger. Die allgemeine Linie des Westens nach dem Kalten Krieg hat sich also nicht wesentlich geändert, was sich durch die Ausbreitung seiner militärisch-politischen Institutionen manifestiert, ungeachtet aller Einwände aus Moskau.
Es ist anzumerken, dass diese Debatten über Sicherheitsarchitekturen hauptsächlich im Westen geführt wurden, insbesondere in den Vereinigten Staaten. Tatsächlich gab es im politischen und öffentlichen Raum der Ukraine, wo die Interessenvertreter am meisten an einem guten Ergebnis interessiert gewesen wären, so gut wie keine Debatte. Von Anbeginn der Unabhängigkeit der Ukraine gab es eine klare und unveränderliche Politik zur größtmöglichen Abspaltung von Russland, die vom Westen gebilligt und offen unterstützt wurde. Die Alternative war ein viel flexibleres und amorpheres Konzept, das aus irgendeinem Grund als prorussisch angesehen wurde, dessen Kern in der Realität, wenn auch nie offen manifestiert, auf ein ständiges Manövrieren und auf die Umgehung jeglicher Verpflichtungen reduziert wurde.
Für diejenigen mit der ersten Sichtweise blieb eine "Finnlandisierung" der Ukraine inakzeptabel, weil dies die Abspaltung der Ukraine von Russland und die Annäherung des Landes an den Westen gebremst hätte. Gleichzeitig waren die Anhänger der gegenteiligen Sichtweise als Gesprächspartner nicht wirklich geeignet, da dieses Modell immer noch eine strikte Einhaltung der vereinbarten Bedingungen vorsieht. Die Aufgabe der sogenannten "flexiblen" Kräfte bestand darin, jegliche Starrheit in den Verpflichtungen zu verhindern beziehungsweise bei der erstbesten Gelegenheit aus ihnen auszusteigen. Im Allgemeinen hat die Besonderheit der politischen Kultur der Ukraine, die schon immer alle Vereinbarungen als Zwischenschritte und nicht als Endgültigkeit betrachtet hat, in der gesamten Geschichte des Landes seit dem Ende der UdSSR deutliche Spuren hinterlassen. Und zumindest hat es zu der tragischen Situation beigetragen, mit der wir heute konfrontiert sind.
Es scheint, dass die "finnische" Variante unter den Bedingungen der anhaltenden Feindseligkeiten, bei denen beide Seiten – jedoch in größerem Maße die ukrainische Seite – schwere Verluste erlitten haben, eine größere und praktischere Aufmerksamkeit hätte erregen müssen. Allerdings wirkten hier die beiden oben beschriebenen Phänomene zusammen. Auf westlicher Seite ist es unzulässig, die Ergebnisse des Kalten Krieges zu revidieren, also den abweichenden Standpunkt Moskaus zu berücksichtigen. Und auf ukrainischer Seite ist es die die Ablehnung jeglicher verbindlichen Vereinbarungen. Das Ergebnis war also eine ausgemachte Sache.
Jetzt, wo sich das Gespenst irgendeiner Art von Waffenstillstandsverhandlungen im Westen auszubreiten beginnt, ist es unmöglich, eineinhalb Jahre in der Geschichte zurückzugehen. In gewisser Weise wurde die Situation jedoch vereinfacht – das Problem wird auf dem Schlachtfeld gelöst werden, und der Ausgang dieser Schlacht wird auf traditionelle Weise entschieden. Dennoch wird sich früher oder später erneut die Frage nach einer politischen Lösung stellen. Und diese Lösung wird von der Fähigkeit abhängen, Lehren aus dem bisher Geschehenen zu ziehen. Oder von der Unfähigkeit dazu – je nachdem.
Aus dem Englischen.
Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs, Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor am Internationalen Diskussionsklub Waldai.
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