Kinder, Frauen und "Personen unter 18 Jahren" – Wie westliche Propaganda entmenschlicht

Ein Lehrstück für Propaganda hat der britische Guardian präsentiert, als er über den Austausch von Gefangenen und Geiseln zwischen Israel und der Hamas berichtete. Während die Hamas laut dem Guardian Kinder freiließ, waren die freigelassenen Palästinenser "Personen unter 18 Jahren". Inzwischen wurde dieses Wording korrigiert, es gibt aber dennoch Anlass zur eingehenden Betrachtung.

Von Marina Achmedowa

In der britischen Zeitung The Guardian war ein Artikel über den Geiselaustausch zwischen Israel und Palästina zu lesen. Darin hieß es:

"Beide Seiten bestätigten, dass Geiseln – Frauen und Kinder – und palästinensische Gefangene – ebenfalls Frauen und Personen unter 18 Jahren – freigelassen wurden."

Kinder tun einem leid, Personen weniger. Zu schreiben, "Israel hat Kinder aus Gefängnissen entlassen", traut sich der Guardian nicht. Ein solch schrecklicher Satz würde Fragen an Israel aufwerfen – zum Beispiel, ob es zivilisiert ist, Kinder des Feindes in Gefängnissen zu halten. Der Guardian hat kein einziges unwahres Wort geschrieben und dennoch seine Leser in eine proisraelische Richtung manipuliert.

Propaganda ist weit mehr als Lügen und Fälschungen, die mit mehr oder weniger Aufwand entlarvt werden können. Sie ist in erster Linie die ständige Wiederholung der eigenen Ideologeme. Wenn zum Beispiel im Westen und in Europa Russland ständig als "der Aggressor" bezeichnet wird, dann ist das keine Fälschung, sondern ein Ideologem. Seine permanente Wiederholung trichtert den Köpfen das gewünschte politische Bild ein. Ganz ohne offensichtliche Fälschungen. Schlicht mit der Macht der Worte.

Israel kennt diese Macht sehr gut. Erst gestern hat das israelische Außenministerium den irischen Botschafter einbestellt, weil der irische Regierungschef in einem Posting geschrieben hatte, der Tag, an dem eine der neunjährigen Geiseln zu ihrer Familie zurückgekehrt war, sei ein Tag großer Freude und Erleichterung für ihre Familie gewesen. Das Mädchen sei "verloren" gewesen und nun wieder gefunden worden. "Unsere Gebete sind erhört worden", schrieb der Premierminister am Ende.

Der israelische Außenminister Eli Cohen stürzte sich auf das Wort "verloren". Er forderte mehr Klarheit. Die Geisel war nicht verloren, sondern wurde von der Hamas gefangen gehalten, und das ist ein grundlegender Unterschied. Offenbar war Cohen wütend und konnte es sich nicht verkneifen, einen Kommentar im Netzwerk X unter dem Beitrag des Botschafters abzugeben. "Sie scheinen Ihren moralischen Kompass verloren zu haben", schrieb er, "und brauchen einen Realitätscheck."

Nur ein Wort – und so viel Lärm. Warum ist das so?

Kaum jemand weiß so gut wie die Juden, dass Völkermorde mit Worten beginnen. Mit Worten, die Menschen auf das Niveau von Vieh reduzieren. Das ist es, was Juden im Zweiten Weltkrieg widerfahren ist. Ihre Henker in den Konzentrationslagern betrachteten sie nicht als menschliche Wesen. Obwohl sie ihnen wie ihr Spiegelbild gegenüberstanden – Kinder, Frauen, Männer, Jung und Alt. Ein Kopf, zwei Arme, zwei Beine.

Aber diese mit den Augen wahrnehmbare Identität des eigenen und des fremden Körpers wurde durch Worte erschüttert, die der Aufseher zuvor in ständiger Wiederholung gehört und wie ein Schwamm aufgesogen hatte: "Juden sind keine Menschen, sie sind Tiere, Schweine, Ratten." Es ist nicht verboten, Tiere zu töten. Da hat man keine moralischen Skrupel mehr.

Wenn es um Kinder und Hunde geht, funktioniert unser moralischer Kompass gut. Aber nicht, wenn es um "Personen" geht, da versagt er. Ja, die Macht des Wortes ist groß.

Wenn man Ihnen oft sagt, dass Sie nicht schön sind, werden Sie ihr Spiegelbild bald hassen, selbst wenn Sie in Wahrheit sehr schön sind. Wenn Ihnen ständig gesagt wird, dass Sie nicht geliebt werden, werden Sie irgendwann glauben, dass Sie nicht liebenswürdig sind und keiner sie lieben wird, und zwar nicht allein die Person, die das sagt. Sie werden glauben, dass es im Prinzip unmöglich ist, Sie zu lieben. Das Wort ist mächtig. Am Anfang war das Wort. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Der israelische Verteidigungsminister Joaw Galant nannte die palästinensischen Gegner "humanoide Tiere". Dies ist die Sprache von Entmenschlichung und Völkermord. Die Worte sind keine Fälschung. Sie sind die Überzeugung von Galant. Wie können sie also widerlegt werden? Sie dringen in das Bewusstsein eines israelischen Soldaten ein, und wenn er eine "palästinensische Person unter 18 Jahren" vor sich sieht, die wie sein Ebenbild wirkt – ein Kopf, zwei Arme, zwei Beine –, denkt er, dass es sich um eine optische Täuschung handelt und "die Person" in Wirklichkeit kein Mensch, kein Kind, sondern ein humanoides Etwas ist.

Und was für eine Balance wird da hergestellt? Palästinenser – humanoid und "Personen". Israelis – Frauen und Kinder, hundertprozentige, destillierte menschliche Wesen. Legen Sie auf eine Waagschale alle getöteten Palästinenser – viele Tausende – und auf die andere Israelis – mehr als tausend –, und die Waage ... nein, nein, die getöteten Palästinenser werden nicht mehr wiegen. Die Waage wird bestenfalls im Gleichgewicht sein. Sie werden nicht nach der Anzahl der Leichen zählen, sondern nach dem prozentualen Anteil der Menschlichkeit in jeder Leiche.

Das ist die Macht der Worte. Aber es gibt ein Problem: Wenn du anfängst, andere zu entmenschlichen, werden die anderen dich ebenso entmenschlichen. Das ist das Gesetz des Gleichgewichts in der Natur.

Nach der Abfassung dieser Kolumne hat der Guardian seinen Artikel geändert und "Personen" durch "Kinder" ersetzt.

Übersetzung aus dem Russischen.

Marina Achmedowa ist Schriftstellerin, Journalistin, Mitglied des Menschenrechtsrates der Russischen Föderation und seit Kurzem Chefredakteurin des Nachrichtenportals regnum.ru. Ihre Berichte über die Arbeit als Menschenrechtsaktivistin und ihre Reisen durch die Krisenregion kann man auf ihrem Telegram-Kanal nachlesen.

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