Von Dagmar Henn
Wie gut, dass dieser Artikel nicht auf deutschem Boden geschrieben wird – eine kritische Betrachtung der Ereignisse in Butscha, die vom offiziellen Narrativ abweicht, ist schließlich in Deutschland inzwischen strafbar. An den folgenden Überlegungen wird deutlich, wie absurd das ist. Denn damals war noch nicht wirklich klar, welcher Bruch sich einige Tage später ereignen würde.
In den letzten Wochen wurden eine ganze Reihe Details zum Zeitablauf Ende März/Anfang April 2022 gleich mehrfach bestätigt – nicht nur in dem Aufsatz von Michael von der Schulenburg, Hajo Funke und Harald Kujat, sondern auch durch ein Interview des damaligen ukrainischen Verhandlungsführers Arachamija. Damit wurde auch die Frage aufgeworfen, wie das vermeintliche russische Massaker von Butscha in diesen Zeitablauf passt.
Schließlich tauchten die ersten Bilder aus Butscha im Verlauf des zweiten April 2022 auf. Dabei irritierte von Anfang an das Detail, dass der Rückzug der russischen Truppen bereits am 28. März erfolgt war, aber erst drei Tage später das vermeintliche Verbrechen entdeckt wurde.
Inzwischen ist klar, dass dieser Abzug der russischen Armee tatsächlich Teil des Verhandlungsprozesses in Istanbul war. In diesem Zusammenhang sind folgende Daten wichtig: das NATO-Treffen am 24.03. in Anwesenheit von US-Präsident Joe Biden, das die US-Verbündeten darauf einstimmte, die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland abzulehnen; das Kommuniqué aus ebendiesen Verhandlungen vom 29.03., das zeigt, wie weit diese Verhandlungen bereits gediehen waren, und zuletzt der Besuch des britischen Ministerpräsidenten Boris Johnson in Kiew am 9. April 2022, bei dem dieser darauf bestand, die Ukraine habe die Verhandlungen abzubrechen.
Der Augenblick, in dem die Aufnahmen von Butscha auftauchen, nach Darstellung von Scott Ritter ursprünglich von der ukrainischen Nationalpolizei, aber verbreitet über die US-amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press (AP), liegt also zwischen dem NATO-Treffen und dem Besuch von Boris Johnson.
Klar ist durch diesen zeitlichen Rahmen: da sich die russische Armee freiwillig zurückzog und mitnichten, wie im Westen behauptet, von Kiew abgedrängt wurde, müsste man auf jeden Fall davon ausgehen, dass, selbst wenn es zu Übergriffen gekommen sein sollte, genug Zeit gegeben war, um hinterher aufzuräumen. Wobei die westliche Erzählung von vorneherein schon durch das zeitliche Loch wenig glaubwürdig war.
Allerdings ist noch etwas anderes klar, das allerdings erst, seit dieser zeitliche Ablauf fest etabliert ist: zumindest die unmittelbare Umgebung von Selenskij hatte zu diesem Zeitpunkt vermutlich kein Interesse an einer derartigen Inszenierung. Schließlich hatte Selenskij vor dem Besuch von Johnson einen Abbruch der Verhandlungen noch explizit abgelehnt, und interessanterweise spielt auch in der Aussage von Arachamija Butscha keine Rolle.
Wenn man davon ausgeht, dass Gruppen wie Asow und entsprechende ideologische Hardliner jederzeit bereit gewesen wären, sich gegen die Kiewer Regierung zu stellen, sobald diese den antirussischen Kurs verlässt, hätte eine Szenerie wie die in Butscha aufbereitete (von dem Angriff auf Kramatorsk ein paar Tage später ganz zu schweigen, der schließlich eindeutig von ukrainischer Seite aus erfolgte) das Risiko für die Regierung erhöht, sich gegen diese Kräfte nicht durchsetzen zu können. Das heißt, wenn auf der ukrainischen Seite jemand verdächtig ist, dann sind es ebendiese ideologischen Einheiten.
Welche Rolle Butscha in der westlichen Propaganda gespielt hat, ist klar. Es lieferte die Voraussetzungen für das Mantra vom "brutalen russischen Angriffskrieg", der bis dato eher gesichtslos in der Ferne stattfand. Es war ein wichtiger Baustein dabei, die öffentliche Meinung in den NATO-Ländern zu vereinheitlichen und auf eine vorbehaltlose Unterstützung der Ukraine auszurichten. Jeder dürfte sich noch an den endlosen Strom westlicher "Gäste" in Kiew erinnern, der auf diese "unerträglichen Bilder" (Baerbock) folgte.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beispielsweise war zeitgleich mit Boris Johnson in Kiew, zusammen mit Josep Borrell. Was einen ersten möglichen Grund für Butscha liefert. Der Besuch von Johnson blieb durch diese rege Reisetätigkeit völlig unauffällig; hätte es keinen Anlass für derart viele westliche Besuche in Kiew gegeben, wäre es vermutlich viel einfacher gewesen, die Verbindung zwischen seinem Besuch und dem Abbruch der Verhandlungen zu ziehen.
Johnson, so die bisherigen Aussagen, drängte Selenskij auch im Auftrag der Vereinigten Staaten auf Abbruch der Verhandlungen. Was zwei weitere denkbare Verdächtige für Butscha liefert: die Vereinigten Staaten und Großbritannien, beziehungsweise deren Auslandsgeheimdienste. Nun, die CIA hat inzwischen selbst eingestanden, wie tief sie mit den ukrainischen Diensten verwoben ist. Wäre es dann undenkbar, Teile ebendieser Dienste gegebenenfalls auch gegen die ukrainische Regierung einzusetzen, um einer politischen Anweisung mehr Druck zu verleihen?
Das ist eine Variante, an die damals niemand dachte, die aber durch den inzwischen etablierten Zeitablauf deutlich gestärkt wird. Eine Inszenierung, die sich vorrangig vonseiten der NATO gegen die Regierung der Ukraine richtet, um diese zu einer Fortsetzung des Krieges zu nötigen. Wäre das mit den nationalistischen Truppen realisierbar, die nachweislich in Butscha vor Ort waren? Vermutlich. Würden diese Truppen im US-amerikanischen Auftrag agieren? Mit Sicherheit, denn das taten sie schließlich bereits während des Maidan.
Die westliche Täterschaft wird ohnehin schon durch zwei Punkte nahegelegt, die in der Regel genau darauf hinweisen: die Geschwindigkeit, mit der die Zuschreibung der Täterschaft stattfand, und zwar einheitlich im gesamten NATO-Gebiet, gefolgt von ebenso einheitlichen Aussagen der zuständigen Politiker, und durch die Tatsache, dass zwar anfangs von Untersuchungen die Rede war (Bundeskanzler Olaf Scholz beispielsweise hatte sie gefordert), dieser Punkt aber sehr schnell wieder von der Tagesordnung verschwand.
Wenn man nun davon ausgeht, dass Butscha und Johnsons Besuch zu einem einzigen Paket gehören, genaugenommen, Butscha, Kramatorsk und Johnson, wobei Kramatorsk schiefging, dann erhält man auch ein genaueres Bild davon, wie jenes Gespräch zwischen Johnson und Selenskij abgelaufen sein mag. Kaum als joviales Gespräch, in dem Johnson sagt, "Wladimir, wir fänden es nicht schlecht, wenn ihr noch ein bisschen weiter Krieg macht", und Selenskij antwortet, "geht klar, Kumpel". Nein, auf irgendeine Weise muss Johnson ihn in den Schwitzkasten genommen haben, und es ist gut möglich, dass Butscha wie Kramatorsk mit dazu beitrugen.
Also eher so: Johnson: "Hör zu, Kleiner, vergiss Verhandlungen, du machst uns ein Spiel kaputt, in das wir viel zu viel investiert haben." Selenskij: "Aber ich kann einen Frieden bekommen, der gut für uns ist!" Johnson: "Aber nicht für dich, Kleiner. Denk an Butscha. Wir haben überhaupt kein Problem damit, noch ein, zwei, solche Dinger zu bauen, und wenn du dann noch weiter verhandelst, nageln dich deine eigenen Leute als Verräter an den nächsten Baum. Du weißt schon, ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst …"
Ist das unvorstellbar? Heute werden die Bilder von Butscha mit Sicherheit anders gesehen als im Frühjahr 2022; endlose Aufnahmen der Bombardierung von Gaza später dürfte die Zahl derjenigen, denen die Künstlichkeit der Anordnung von Butscha auffällt, weit höher liegen als damals. Inzwischen ist ebenso belegt, dass auf alles Gerede von Untersuchung nichts folgte, von jenen italienischen Obduktionen abgesehen, die die russische Armee entlasteten, wie, dass die Anweisung, die Johnson damals im Gepäck hatte, für die Ukraine das Rezept zum Untergang wurde.
Um Handlungen zu verstehen, ist es immer wichtig, zu begreifen, auf wen sie sich richten. Bei Botschaften sollte man den Absender und den Empfänger kennen. Bei Einbeziehung des Zeitplans rund um die Verhandlungen in Istanbul ist es nicht unwahrscheinlich, dass gar nicht das westliche Publikum der entscheidende Empfänger dieser Nachricht war, sondern die Regierung in Kiew, der auf diese Weise deutlich vermittelt wurde, dass Frieden gerade nicht auf dem Speiseplan steht. Mit freundlichem Gruß, deine NATO.
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