Von Gert Ewen Ungar
Am Dienstag wurde klar, dass es für die Austragung der Fußball-WM 2034 nur einen einzigen Bewerber gibt. Außer Saudi-Arabien hatte kein weiteres Land bis zum Ende der Bewerbungsfrist daran Interesse bekundet. Obwohl die offizielle Entscheidung der FIFA darüber erst im kommenden Jahr 2024 verkündet wird, steht damit faktisch bereits fest, dass diese Weltmeisterschaft im Jahr 2034 im saudi-arabischen Wüstenstaat stattfinden wird.
Die Beißreflexe setzten unmittelbar ein, denn wie jeder weiß, gibt es alle möglichen Formen von angeblicher Freiheit nur im "Freien Westen", deswegen heißt er ja auch so. Saudi-Arabien ist allerdings eher arm an "westlichen Werten", die Austragung der WM dort wird daher eine Zumutung für die westlichen Zuschauer. Das war schon die offizielle deutsche Haltung, als Katar die Fußball-WM im Jahr 2022 ausgetragen hat. Dafür sichert die Entscheidung der FIFA aber die Arbeitsplätze gut bezahlter Moralapostel in den deutschen Redaktionsstuben – und das soll daher an dieser Stelle ausdrücklich gewürdigt werden.
Die Redakteure werden viel zu tun bekommen, denn auch die Ansichten über menschliche Sexualität unterscheiden sich in Saudi-Arabien erheblich von dem, was man in Deutschland heute für die korrekte Sichtweise hält. Dabei sollte jedem klar sein, dass die deutsche Sichtweise selbstverständlich die einzig richtige sein muss. Wem das nicht klar ist, dem wird es klar gemacht. Auch den Saudis wird das in den nächsten Jahren zu vermitteln sein.
Wie schon bei der WM in Katar ist mit einem sich über Jahre erstreckenden Crescendo der moralischen Empörung zu rechnen, das erst mit dem hoffentlich erneut frühen Ausscheiden der deutschen Mannschaft sein Ende finden wird.
Jedenfalls kann man in Deutschland schon einmal die One-Love-Armbinde wieder hervorkramen, denn es geht in eine neue Runde der Besserwisserei, der moralischen Hybris und der Selbstdarstellung deutscher Schlaumeier als die einzig Wahrhaftigen und Guten in dieser Welt. Ich spreche von deutschen Politikern und der deutschen Berichterstattung, nicht von der Mehrheit der deutschen Fans. Den Fans ging der deutsche Gratismut von Politiken und Medien schon in Katar deutlich gegen den Strich.
Dabei gibt es inzwischen noch weniger Grund für deutsche Politiker, sich selbst als irgendwie werteüberlegen und Weltvorbild zu feiern.
Der Westen und mit ihm auch Deutschland stehen geschlossen für Gewalt in den internationalen Beziehungen, für die Missachtung des Völkerrechts, für die Förderung und Instrumentalisierung terroristischer Strukturen, für die Ablehnung von Diplomatie zum friedlichen Beilegen von Konflikten.
Weder in der Ukraine noch im Nahen Osten tut sich Deutschland in irgendeiner Weise hervor, etwa durch eine umsichtige, vermittelnde Diplomatie, die Anerkennung und Respekt abverlangen könnte, weil sich Deutschland damit in herausragender Weise um das friedliche und respektvolle Zusammenleben der Menschen verdient machen würde. All das sucht man leider vergebens. Da gibt es nichts, was unter ethischen Gesichtspunkten zu loben wäre. Deutschland als Staat ergeht sich weltweit in Prinzipienreiterei und ist mittlerweile sowohl im Nahen Osten wie schon in der Ukraine im Hinblick auf Konfliktlösungen ein absoluter Totalausfall. Es liefert Waffen, setzt auf die Vernichtung Russlands und nun auch die der Hamas. Es lehnt daher "konsequent" Gespräche zwischen den streitenden Parteien ab.
Statt sich für die Beendigung von Konflikten auf der Grundlage des Völkerrechts einzusetzen, trägt Deutschland zur vollständigen Erosion der internationalen Ordnung bei und setzt unter dem Begriff "regelbasierte Ordnung" auf das Recht des Stärkeren. Dafür gibt es zu Recht keinen Applaus, nirgendwo in der Welt.
Dass aus Deutschland außer einem moralisch erhobenen Zeigefinger und viel Doppelmoral nichts zu erwarten ist, hat man inzwischen wohl überall begriffen. Aus Deutschland kommt keine Friedensinitiative, kein Vermittlungsversuch. Deutschland schüttet im Gegenteil sowohl in der Ukraine als auch im Nahen Osten immer weiter noch Öl ins Feuer, liefert Werkzeuge für den Tod und steht auch mit seinem Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen ganz deutlich nicht für den Wunsch nach Frieden oder auch nur Humanität in Kriegszeiten.
Von all dem wollen deutsche Politiker in Regierungsverantwortung natürlich nichts hören. Die großen deutschen Medien thematisieren diese Tatsachen folglich erst gar nicht. Man weicht dem aus, redet um den heißen Brei, cancelt und zensiert notfalls, was nicht passt. Vor allem aber inszeniert man für die Zuschauer medial eine Welt, in der Deutschland moralischer Vorreiter ist, seine Politik selbst reflektiert und überall auf der Welt hochangesehen. Nichts davon ist richtig.
Die Vernichtung der Hamas, die Auslöschung alles Russischen durch die Ukraine – all dieser menschenverachtende und in Rassismus wurzelnde Radikalismus wird von deutschen Politikern unterstützt und von den deutschen Medien in Floskeln gekleidet und in Pseudo-"Debatten" begründet. Den Deutschen wird der Vernichtungswunsch wieder als legitim und förderwürdig verkauft, wenn er sich mit den überwunden geglaubten deutschen Vorstellungen vom unterschiedlichen Wert menschlichen Lebens deckt. Wenn man beim Auslöschen die Richtigen trifft, ist es okay.
Gemessen an der von Deutschland vertretenen offiziellen Politik ist allerdings von moralischer oder geistiger Überlegenheit nichts zu sehen, gar nichts. Im Gegenteil. Deutschland ist – aus Gründen einer angeblich "moralischen" Haltung – wieder in der Barbarei angekommen. Die Weigerung deutscher Politiker, nach Lösungen zu suchen, und das Beharren darauf, zunächst Prinzipien durchzusetzen, stellt Deutschland auf die falsche Seite der Geschichte, nämlich auf die Seite der Gewalt.
All das wird für immer mehr Menschen immer offensichtlicher. Deutschland scheitert an der Aufgabe, vor die es durch die eigene Geschichte gestellt wurde. Da ist doch schön, dass mit Saudi-Arabien als Austragungsland der Fußball-WM ein Akteur die Bühne betritt, bei dem es die deutschen Moralapostel vermeintlich einfacher haben. Denn Frauenrechte, LGBT – in all dem folgt Saudi-Arabien noch nicht dem deutschen Vorbild. Da kann man medial alle Register ziehen und sich geifernd über dieses Land erheben.
An der Wahrnehmung Deutschlands weltweit wird das nichts ändern. Das hat schon die WM in Katar gezeigt. Deutschland wurde nach seinem frühen Ausscheiden international verhöhnt. Und wer meint, man hätte dennoch das Recht, auf Saudi-Arabien herabzuschauen, sollte sich ansehen, in welchen Gremien und Organisationen Saudi-Arabien vertreten ist und wie es sich dort für Diplomatie und Vermittlung einsetzt. Da könnte Deutschland bereits ganz viel lernen, wird es aber sicherlich nicht. Denn Deutschland belehrt gerne, lässt sich aber nicht gerne belehren. Wo käme man denn da hin?
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