Von Dagmar Henn
Bayern muss wieder einmal in die falsche Richtung vorangehen. Diesmal in Gestalt der mittlerweile aufgehobenen Verhaftung des AfD-Jungpolitikers Daniel Halemba. Auslöser sei, wird berichtet, eine Durchsuchung bei der Würzburger Burschenschaft Teutonia Prag im September gewesen, bei der man Material mit Nazisymbolen gefunden habe. Der Haftbefehl sei "wegen des Verdachts auf Volksverhetzung und Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen" ergangen.
Eine sehr eigenartige Nummer. Fast ein wenig, als müsse der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, dessen ahnbare Koalitionspläne mit den Grünen scheiterten, weil die Aiwanger-Nummer so ins Gegenteil umschlug, nun den irgendwie immer noch ersehnten Partnern ein Beutestück zuwerfen und habe bei dieser Gelegenheit nach Halemba gegriffen.
Für die CSU nicht ganz unproblematisch, weil Halemba dem Namen nach als Nachfahre von Schlesiern erkennbar ist und die CSU jahrzehntelang die Vertriebenenverbände samt Revanchismus hegte und pflegte. Aber unter anderem deswegen ist die ganze Geschichte so seltsam. Denn dass viele der insbesondere schlagenden Burschenschaften weit rechts stehen, ist nicht neu. Das war schon vor hundert Jahren der Fall (auch wenn einige von ihnen im 19. Jahrhundert revolutionär begonnen hatten). Und die CSU-Staatsregierung dürfte davon keinesfalls überrascht sein; es fanden sich immer genügend Abgeordnete in der CSU, die selbst Mitglied solcher Organisationen waren, wie etwa der Fraktionschef der CSU-Stadtratsfraktion in München von 1978 bis 1984, Franz Josef Delonge.
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann ist selbst Mitglied einer Burschenschaft, katholisch und nicht-schlagend, was bedeutet, dass die Mitglieder sich nicht in dem altertümlichen Ritual üben, sich mit Säbeln zu duellieren, aber es bedeutet auch, dass er die gesamte Szene kennt. Die Staatsanwaltschaft ist weisungsgebunden und geht keinesfalls gegen gewählte Mitglieder des Landtags vor, ohne den Segen, wenn nicht den Auftrag des Innenministeriums.
Wenn dieses Innenministerium nicht den Moment nach der Aufstellung der Wahllisten für den Landtag, sondern erst den Zeitpunkt unmittelbar vor der Konstituierung des Landtags zum Anlass nimmt, gegen Halemba vorzugehen, dann ist das eindeutig ein PR-Manöver, mit dem man eine Übereinstimmung mit der Bundeslinie wieder herstellen will, die durch den Fehlschlag mit Aiwanger bedroht war.
Nun wird eine Geschichte erzählt, die Durchsuchung bei Teutonia in Würzburg sei von einem Foto einer Weinflasche ausgelöst worden. Weil man ganz, ganz plötzlich den Verdacht gehabt habe … das ist wirklich eine Räuberpistole. Sicher, die Karrierenetzwerke der Burschenschaften wurden in den vergangenen Jahrzehnten von einigen Stiftungen in der Rolle als Rekrutierungsmechanismus für die Kontinuität des Staatsapparats etwas in den Hintergrund gedrängt, aber man muss schon beide Augen fest geschlossen halten, um nicht zu wissen, wo sie einzusortieren sind.
Allerdings ist nicht nur die Geschichte, sondern auch der Vorwurf selbst schräg. Weil es nach allem, was bisher bekannt ist, nur um Schriftstücke geht, auf denen sich Symbole befinden, aber kein Vorwurf erhoben wird, es sei um eine Verbreitung der besagten Schriftstücke gegangen. Oder darum, die auf diesen Schriftstücken abgebildeten Symbole öffentlich zu zeigen, um dafür zu werben.
Banal? Nein, ein entscheidender Unterschied. Weil es auch hier um die Grenze zwischen Meinung und Handeln geht, die auch in diese Richtung gewahrt bleiben sollte. Wobei die bisher nicht der Öffentlichkeit präsentierten Funde aus der Durchsuchung in Würzburg nur in genau einer Konstellation überhaupt ein juristisches Vorgehen gegen Halemba rechtfertigen würden – wenn sich diese Materialien nicht nur in seinem persönlichen Besitz befunden hätten, sondern er sie zudem belegbar weitergegeben hätte, um dafür zu werben.
Allerdings muss man auch sagen, dass irgendwelche Heftchen mit Hakenkreuzen nicht gerade die aktuelle Version faschistischer Gefahr sind. Nicht in der deutschen Version jedenfalls, in der ukrainischen sieht das etwas anders aus.
An dem Punkt hat aber der gleiche bayerische Staat eine ganz andere Position und hat jüngst erst eine dokumentarische Veröffentlichung von Aufnahmen ukrainischer Soldaten, die sich mit eben solchen Symbolen schmücken, ein weiteres Mal mit Strafe belegt. Diesmal durch das Amtsgericht Mühldorf am Inn. Besonders interessant ist dabei, dass auch die Wolfsangel als Nazisymbol mit aufgeführt wird – eben jenes Zeichen, das in Gestalt des Symbols der Nazitruppe Asow ansonsten von deutschen Politikern und Journalisten behandelt wird, als hätte es gar nichts mit Nazismus zu tun.
Halemba hat also im schlimmsten Fall einen taktischen Fehler begangen, das deutsche Original und nicht die ukrainische Kopie verwendet zu haben (sofern die Vorwürfe überhaupt stimmen). Was erst einmal belegt, dass das Delikt selbst einfach nur eine Möglichkeit zur Willkür eröffnet und seine Ahndung in dieser extremen Widersprüchlichkeit im Grunde nur noch eines zeigt: den staatlichen Anspruch, die Kontrolle über die Verwendung politischer Symbole zu erhalten.
Die wirkliche politische Fragestellung wird längst in einer ganz anderen Form aufgeworfen, nämlich, ob man bereit sei, menschenfeindliche Positionen zu unterstützen oder deren reale Umsetzung zu fördern oder nicht. Tatsächlich macht es nämlich keinen Unterschied, wen man als "menschliche Tiere" oder als "Blinddärme" etikettiert; es ist die Trennung in Mitmenschen und etwas Anderes, an dem sich die Menschenfeindlichkeit festmacht. Ihre Symbole können sich im Verlauf der Jahrzehnte und je nach Ort ebenso wandeln wie jene der Gegenseite. Das sind Indizien, nicht mehr.
Würde man diese Frage an die politische Gegenwart in Deutschland anlegen, käme man sofort in Widerspruch zur augenblicklichen Politik; ob es dabei um die Unterstützung ukrainischer Nazis geht oder um die Bombardierung des Gazastreifens. Denn der Prüfstein für Menschlichkeit ist nicht, ob man sie jenen zugesteht, die man nett findet, sondern, ob man sie auch für erklärte Feinde ernst nimmt.
Die Unschuldsvermutung ist gewissermaßen die juristische Ausgabe in der Kleingeldvariante. Die ganze Dramatisierung mit Haftbefehl und allem Drum und Dran im Fall Halemba verstößt gegen die Unschuldsvermutung und ist, sofern die Angaben zum Fall zutreffen, schon deshalb absurd, weil ja angeblich bei der Durchsuchung in Würzburg die Beweise bereits sichergestellt wurden. Außer natürlich, sie wurden es nicht, und mehr als Vermutungen kamen nicht dabei heraus.
Die Unschuldsvermutung hat aber gerade in Deutschland einen schweren Stand. Neuestes Symptom ist da das neue Gesetzesvorhaben von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die Novelle des Bundesverfassungsschutzgesetzes, die es Mitarbeitern dieser Bundesbehörde erlauben soll, Bürger allein auf Grundlage ihrer geäußerten Meinung in deren Umfeld zu denunzieren – bei Arbeitgebern und Vermietern beispielsweise.
Bisher war ein solches Handeln zwar nicht unbekannt, aber zumindest illegal. Faeser will es gleich zum Auftrag des Dienstes machen. In der Praxis bedeutet das eine außergesetzliche Bestrafung ohne jede Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung, dass eine strafbare Handlung vorliegt.
Um zu begreifen, was das Vorgehen gegen Halemba darstellt, muss man diesen Zusammenhang herstellen. Die letzten Jahre waren geradezu von einer Explosion der Strafverfolgungen von Meinungsdelikten geprägt, bei der im Grunde jedes Manöver erlaubt scheint, sobald irgendeine Abweichung von der offiziellen Linie zu fürchten ist, wie man an der Absurdität des Mühldorfer Verfahrens sehen kann, das so tut, als hätte die Beschuldigte die Bilder ukrainischer Nazis verbreitet, um für sie zu werben, während vergleichbare Verfahren gegen jene, die dies tatsächlich tun, aus der Szene der permanent blau-gelb Beflaggten, bisher nicht bekannt sind.
Was Faeser da beabsichtigt, ist gewissermaßen der logische nächste Schritt. Dabei muss man sich darüber im Klaren sein, dass diese außergesetzlichen Bestrafungen vielfach wesentlich schwerwiegendere Folgen hätten als ein Strafverfahren. Praktisch nimmt sich damit die Regierung das Recht, politischen Gegnern die Lebensgrundlage zu entziehen.
Derartige Schritte setzen bereits voraus, dass man das Gegenüber nicht als Menschen gleicher Würde mit gleichen Rechten betrachtet, sonst würde sich solches Handeln verbieten. Es überrascht nicht wirklich, denn die Wahl der außenpolitischen Verbündeten und die völlige Unfähigkeit zur Diplomatie entspringen letztlich der gleichen Wurzel, die im Inland demokratische Rechte in Gnade verwandelt.
Klar, die CSU steht gerade unter Druck: Bei den nächsten Bundestagswahlen wird es dank der Abschaffung der Direktmandats-Regel eng für sie, ihre Anwesenheit im Bundestag zu halten, und die Bundes-CDU buhlt gerade bei Bundeskanzler Scholz um einen Koalitionswechsel. Da ist solch eine kleine Shownummer mit einer vermeintlichen Grenzziehung zum rechten Rand (oder zumindest zu dem, was einmal der rechte Rand war) nützlich. Es mag auch sein, dass Herrmann und Söder es für nützlich hielten, die gewachsene AfD einzuschüchtern, und den jüngsten Abgeordneten schlicht für das schwächste Kettenglied hielten.
Aber es lässt sich jetzt schon erkennen, dass dieses Vorgehen gleichzeitig der zügellosen Erweiterung eines Meinungsstrafrechts Vorschub leisten wird, das sich bereits jetzt jenseits der Grenzen der Rechtsstaatlichkeit bewegt. Ein Meinungsstrafrecht, das zugleich, und hier kommt Faesers Denunziationsrecht wieder ins Spiel, die völlige menschliche Entwertung des Gegenübers vornimmt. Herrmann und seine Befehlsempfänger exerzieren gerade vor, dass ihnen auch die Stimmen der Wähler, die Halemba in den bayerischen Landtag gewählt haben, nichts wert sind, sondern selbst der Status eines Abgeordneten nur für jene gilt, die vom offiziellen Meinungskorridor nicht zu weit abweichen.
Ginge es wirklich darum, einen gefährlichen Neonazi aus dem Landtag fernzuhalten, dann gäbe es zum einen zumindest eine Reihe entsprechender Aussagen des Beschuldigten, die längst durch alle Medien gereicht worden wären, und zum anderen wäre dann ein Urteil wie jenes von Mühldorf schlicht unvorstellbar.
Aber das Ziel lautet schlicht Anpassung und Unterordnung. Woran man sich anpassen, wem oder was man sich unterordnen soll, besitzt keine tiefere Stimmigkeit, sondern folgt schlicht den geopolitischen Vorgaben, wie man an der gerade ablaufenden Kehrtwende moslemische Flüchtlinge betreffend wunderbar beobachten kann, die erst kein Wässerchen trüben konnten und jetzt alle böse Antisemiten sind.
So wie sich auf der globalen Ebene Menschlichkeit nicht darin erweist, wer gerade auf der eigenen Liste der "Untermenschen" steht, sondern einzig darin, eine solche Sicht grundsätzlich abzulehnen, so erweist sie sich in der Frage der Meinungsfreiheit nicht darin, welche Meinungen auf der Liste der "verbotenen" landen und mit welchem Eifer man sie unterdrückt, sondern darin, welchen Respekt man vor anderen Meinungen insgesamt hat.
Ein altes Zitat von Heinrich Heine lautet, "dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen." Deutschland ist auf dieser Strecke schon viel zu weit vorangekommen.
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