Von Andrei Suschenzow
Moskau und Neu-Delhi haben keine größeren Probleme von gemeinsamem Interesse, und das ist eine Herausforderung, denn das Fehlen kontroverser Meinungsverschiedenheiten deutet auf eine gewisse Distanzhaltung zueinander hin.
Die russisch-indische strategische Zusammenarbeit hat sich seit vielen Jahrzehnten erfolgreich entwickelt. Die UdSSR war eines der wichtigsten Länder, die der jungen indischen Republik während ihrer Gründung Hilfe und Unterstützung zukommen ließen. Im Laufe der Jahre der bilateralen Beziehungen hat Moskau erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Wirtschaft, die Industrie und das Bildungswesen des Landes zu entwickeln, und hat aktiv militärisch-technische Kooperationsprogramme auf die Beine gestellt. Der erste indische Kosmonaut wurde an Bord eines sowjetischen Raumschiffs in die Umlaufbahn geschickt. Bis zum heutigen Tag genießen Russland und Indien die Früchte ihrer langjährigen Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen, einschließlich der internationalen und politischen Kooperation.
Die russisch-indische Partnerschaft basiert auf dem gegenseitigen Respekt für die zivilisatorische Identität beider Länder. Wir erkennen die Einzigartigkeit der zivilisatorischen Entscheidungen unserer Völker an und verstehen den Wert des Sonderweges, den unsere Länder gewählt haben. Diese Haltung ist ein schwindender Wert in der modernen Weltpolitik, die versucht, alle Ansätze zur Interaktion von Staaten zu standardisieren und zu vereinheitlichen und sie als identische Billardkugeln darzustellen.
Gemeinsames Interesse an regionalen Machtzentren
Moskau und Neu-Delhi unterstützen die Stärkung der nationalen Souveränität und die Nichteinmischung in die Angelegenheiten der jeweils anderen Seite. Russland und Indien respektieren auch die Interessen des jeweils anderen in den internationalen Beziehungen, erkennen deren Legitimität an und betonen die Gleichberechtigung in den Beziehungen zueinander und zu anderen Ländern.
Dies ist besonders wichtig in einem Umfeld, in dem die internationalen Beziehungen zunehmend von einem engen Kreis von Staaten bestimmt werden, die sich berechtigt fühlen, anderen ihren Willen zu diktieren.
Nicht zuletzt haben Moskau und Neu-Delhi ein gemeinsames Interesse an der Bildung eines polyzentrischen Systems der internationalen Beziehungen, wo die Zusammenarbeit auf dem Vertrauen in mehrere große regionale Machtzentren beruht. In diesem Zusammenhang unterstützt Russland Indiens Bewerbung um eine ständige Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat und arbeitet aktiv mit Neu-Delhi im Rahmen der BRICS zusammen, um Möglichkeiten zur Stärkung dieser Organisation zu erkunden.
Russland und Indien haben keine größeren Probleme, die sie gemeinsam betreffen. Dies ist eine Herausforderung, denn das Fehlen kontroverser Meinungsverschiedenheiten deutet auch auf ein gewisses Maß an gegenseitiger Distanzierung hin. Aus den Erfahrungen mit den komplexen Beziehungen Russlands zu wichtigen Akteuren in seiner Nachbarschaft – der Türkei, Iran und China – wird ersichtlich, dass die bilaterale Interaktion durch die Überwindung größerer Meinungsverschiedenheiten verschiedener Art weiterentwickelt und gestärkt wurde: wirtschaftlich, territorial, politisch und strategisch.
Außenpolitik braucht hohe Priorität
Der Prozess der Überwindung dieser Probleme hat zum Aufbau starker bilateraler Beziehungen zwischen Moskau und Istanbul, Teheran sowie Peking geführt, die gegenüber externen Impulsen resistent sind. Gegenwärtig haben Russland und Indien keine größeren Differenzen zu überwinden, aber dies könnte ein Umstand bleiben, der die beiden Länder auf Distanz hält. Wenn beide Seiten die Kraft aufbringen können, diesen Zustand als ein Problem an sich zu erkennen, wird dies der erste Schritt zu seiner Überwindung sein. Es ist an der Zeit, in der jeweils anderen Seite eine Chance zu sehen, die Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaften und Eliten stehen, auf internationaler Ebene anzugehen.
Russland und Indien verstärken einander in ihrem Dialog auf multilateralen Plattformen. Beide Länder haben ein gemeinsames Interesse an der Herausbildung einer polyzentrischen Welt sowie der Wahrung strategischer Autonomie und Subjektivität in einem immer dichter werdenden internationalen Umfeld. Und auch unsere gemeinsame Absicht, dem Druck äußerer Kräfte nicht nachzugeben, die fordern, dass die außenpolitische Strategie in eine ihnen genehme Richtung gelenkt wird, sollte unsere Länder vereinen.
Um das Potenzial der bilateralen Beziehungen zwischen Moskau und Neu-Delhi auszuloten, ist es notwendig, diesem Bereich der Außenpolitik eine hohe Priorität einzuräumen. Beispielsweise indem auf der Ebene des stellvertretenden Premierministers der föderalen Regierung nationale Büros für Indien in Russland und für Russland in Indien eingerichtet werden. Dieser organisatorische Schritt würde nicht nur den strategischen Charakter der bilateralen Beziehungen verdeutlichen, sondern auch eine gezielte Aufgabe auf staatlicher Ebene formulieren, um energisch nach Mitteln und Wegen zur Stärkung der Interaktion zu suchen, die unsere Zusammenarbeit im 21. Jahrhundert auf eine wirklich strategische Ebene heben kann.
Andrei Suschenzow ist Programmdirektor des Waldai-Clubs. Dieser Artikel wurde zuerst vom Waldai Diskussions Club veröffentlicht und vom RT-Team aus dem Englischen übersetzt und bearbeitet.
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