Von Alexej Danckwardt
Hat er immer noch nichts verstanden, oder tut er nur so? Ganz in Schwarz gekleidet, sodass nur das Gesicht sich von der ebenfalls dunklen Hintergrundeinblendung der Sendung abhob, kommentierte Deutschlands grüner Wirtschaftsminister Robert Habeck die Parteigründung Sahra Wagenknechts in der ARD und kam dabei auf Fragen von Krieg und Frieden zu sprechen.
Die im Gründungsmanifest Wagenknechts und ihrer Mitstreiter enthaltene Forderung nach einer Friedenslösung für die Ukraine und Verhandlungen mit Russland sei eine "politische Irreführung der Bevölkerung", urteilte Habeck. Seine These, der Küchenpsychologie oder einem Erziehungsratgeber für Eltern von Kindern im Vorschulalter entlehnt:
"Wenn sich das durchsetzt, ist das eine Einladung an Putin, die nächsten Länder zu überfallen. An alle Irren dieser Welt, die Grenzen mit Waffengewalt zu verschieben."
Die aus russischer Sicht positive Botschaft in dieser Aussage: Offenbar hat sich nun auch bei Habeck und seinesgleichen die Einsicht durchgesetzt, dass die Ukraine Teile ihrer früheren Gebiete unwiederbringlich verloren hat. Ob auf diplomatisch-politischem Wege oder mit militärischer Gewalt – der Donbass und die Krim werden nicht mehr in den nach ihrer Vernichtung trachtenden ukrainischen Staatsverband nationalistischer Prägung zurückkehren. Kein Wladimir Putin kann sie dazu zwingen. Weshalb, eine Art freudsche Fehlleistung, bei dem grünen Ukraine-Freund Friedensverhandlungen, eigentlich eine Veranstaltung mit offenem Ausgang, automatisch mit Gebietsverlusten für die Kiewer Klienten gleichgesetzt werden.
Das ist aber auch der einzige Punkt, in dem Habeck die Lage adäquat einschätzt. Mit allen anderen Annahmen, die sein Redeschwall impliziert, irrt er. Gehen wir das der Reihe nach durch.
Anders als der grüne Minister meint, setzte sich Russland nicht das Ziel der territorialen Expansion, als es im Februar vergangenen Jahres in den damals bereits acht Jahre dauernden ukrainischen Bürgerkrieg intervenierte. Dass es anders kam und außer der Krim nun auch die beiden Volksrepubliken des Donbass sowie die Gebiete Cherson und Saporoschje der Russischen Föderation beigetreten sind, war nicht von Anfang an geplant, sondern Konsequenz der Sabotage der Friedensverhandlungen in Istanbul durch Kiew, wohl auf westliches, besonders britisches, Anraten. Auch ein pädagogischer Grundsatz: Du hältst dich nicht an vernünftige Absprachen und willst dem Gegenüber in nichts entgegenkommen? Dann wirst du noch größere Konsequenzen tragen müssen.
Die ursprünglichen Ziele der militärischen Sonderoperation wurden damals durch das russische Staatsoberhaupt offen und klar formuliert: Denazifizierung, Demilitarisierung und Demokratisierung der Ukraine, also die Beseitigung jeder Gefahr, die von dem derzeitigen russophoben Kiewer Regime und insbesondere von der angepeilten Expansion der NATO in den weichen Bauch Russlands ausgeht.
Warum die ungebremste Ostexpansion der NATO eine existenzielle Gefahr für Russland darstellt, warum es in ihrer Folge nicht zu verteidigen sein wird, haben wir – und nicht nur wir – mehrmals erklärt. Wenn es der NATO gelingt, sich in der Ukraine festzusetzen, dann ist sie in einer Ausgangsposition für den vom Westen fest geplanten Eroberungskrieg, von der Adolf Hitler nur träumen konnte. Der Sieg in einem konventionellen Krieg ist dem westlichen Bündnis dann praktisch garantiert.
Hinzu kommen US-Planungen für einen entwaffnenden nuklearen Erstschlag gegen Russland, die durch das Vorrücken der NATO-Infrastruktur fast ins Zentrum Russlands erstmals realistische Erfolgsaussichten erlangen. Da sind zum einen die Anflugzeiten: Von Charkow aus sind US-Atomraketen schneller in Moskau, als ein Mensch die Situation zur Kenntnis nehmen, analysieren und angemessen reagieren kann. Zweitens ist die russische Zweitschlagskapazität durch NATO-Raketen bei Charkow so sehr gefährdet, dass die angelsächsischen Falken gar nichts mehr daran hindern wird, einen Nuklearkrieg vom Zaun zu brechen. Russische Trägerraketen sind in der Startphase am verwundbarsten. Können die USA ihre Raketenabwehr dort installieren, von wo aus ihre Abfangraketen rechtzeitig am Abschussort sind, um die russischen nuklearen Träger in der Startphase abzufangen, brauchen sie den russischen Vergeltungsschlag gar nicht mehr zu fürchten. Der Osten der Ukraine ist dafür der ideale Standort.
Russland tat vor dem 24. Februar 2022 alles, um diese Gefahr für seine Sicherheit auf diplomatischem Weg abzuwenden. Die Bemühungen Moskaus gipfelten sogar in einem unmissverständlichen Ultimatum. Die Antwort aus dem Westen war arrogant: Russland habe nicht das Recht mitzubestimmen, wer der NATO beitreten kann, sagten sie alle, Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron, die Briten und US-Amerikaner ohnehin. Was sie damit wirklich sagten, war dies: Der Bedrängte hat kein Recht zu verlangen, dass die Räuberbande von ihm ablässt und von dannen zieht. Im "Rechtsverständnis" von Räubern gewiss nicht.
Was bleibt dem von der Räuberbande Bedrängten dann eigentlich noch für eine Wahl?
Zusätzlich stand im Februar 2022 nach unübersehbarem Scheitern der Minsker Verträge und der daraufhin erfolgten Anerkennung der Unabhängigkeit der beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk noch die Erzwingung der Achtung der Rechte der Donbass-Einwohner, für die sie seit 2014 tausendfach Opfer gebracht und einen Blutzoll gezahlt haben, durch Kiew auf der Tagesordnung. Dies bedeutete nach damaligem Stand übrigens gerade nicht, dass Donezk und Lugansk für die Ukraine unumkehrbar verloren waren.
Die von Moskau im Februar 2022 anerkannte Unabhängigkeit der beiden jungen Völkerrechtssubjekte und das Selbstbestimmungsrecht ihrer Völker beinhalteten weiterhin die Option, dass sie sich nach einem gewiss langwierigen Versöhnungsprozess für die Rückkehr in den ukrainischen Staatsverband entscheiden konnten. Es wäre dann an Kiew, das Verhältnis zu den eigenen Staatsbürgern im Osten des Landes zu normalisieren, auf Versöhnung gerichtete politische Prozesse einzuleiten und die Menschen in Wort und Tat zu überzeugen, dass die Ukraine – anders, als sie es acht Jahre erlebten – eine fürsorgliche Heimat für sie sein kann. Diese Chance hat Kiew aber mit verstärktem Beschuss der leidgeprüften Stadt Donezk und später mit dem Abbruch des Istanbuler Verhandlungsprozesses selbst verspielt.
Und nun tritt Habeck auf den Plan und meint, die neuen Realitäten wie auch die ursprünglichen durch und durch legitimen Forderungen Russlands dürften auf keinen Fall durch Friedensverhandlungen abgesegnet werden, weil das sonst Putin und "alle Irren der Welt" animieren werde, "die nächsten Länder zu überfallen" und "Grenzen mit Waffengewalt zu verschieben". Der zugrundeliegende Gedanke mag zwar im Kindergarten funktionieren, Vorschulpädagogik eben, hat mit der Erwachsenenwelt und zwischenstaatlichen Beziehungen jedoch rein gar nichts zu tun.
Was ist denn die Alternative und was sind die Konsequenzen fortgesetzter Verweigerungshaltung? Fortführung des Krieges bis zum letzten Ukrainer und mit jeder Runde abgebrochener Diplomatie immer weitere Gebietsverluste. Das ist es doch, was wir bislang in mehreren Iterationen erlebt haben. Die Ukraine verweigert die Erfüllung der Minsker Verträge – Russland erkennt die Unabhängigkeit des Donbass an. Der Westen verweigert Verhandlungen über die existenzielle Bedrohung Russlands durch die NATO – Russland bleibt keine Wahl, als zu versuchen, diese Gefahr militärisch zu neutralisieren. Die Ukraine bricht nach dem russischen Abzug aus den Vororten von Kiew die Friedensgespräche ab – Russland nimmt vier neue Subjekte in seine Föderation auf.
Woher nimmt Habeck denn die Hoffnung, dass es bei weiterer sturer Verweigerungshaltung künftig anders laufen wird? Glaubt er immer noch an den Endsieg über Russland?
Und auch im Grundsatz: Wenn die Sturheit und Überheblichkeit der anderen ein Land zwingt, militärische Mittel zur Durchsetzung seiner Forderungen einzusetzen, macht dies die Forderungen eben nur im Kindergarten, nicht jedoch im Völkerrecht illegitim. Ob Forderungen eines Staates berechtigt sind oder nicht, muss an den Forderungen selbst beurteilt werden, nicht an den Mitteln, die zu ihrer Durchsetzung eingesetzt wurden.
Was den verbalen Ausfall Habecks angeht, andere Akteure der Weltpolitik als "Irre" zu bezeichnen und ihnen räuberische Absichten zu unterstellen, so fällt einem immer wieder die Volksweisheit ein, dass es immer der Dieb ist, der am lautesten "Haltet den Dieb" schreit. Und zusätzlich noch ein alter Witz über den Autofahrer, der im Radio die Verkehrsmeldung hört, es sei auf seinem Autobahnabschnitt ein Geisterfahrer unterwegs, und daraufhin meint:
"Was, nur EIN Geisterfahrer? Ich sehe Hunderte!"
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