Panik im Weißen Haus? – geplagt von "epischen Sorgen und historischer Gefahr"

Tut sich etwas in den Reihen der Politik, oder wird der gefährliche Kurs immer weiter fortgesetzt? Bisher ist noch kein Bremsvorgang erkennbar. Aber zumindest gibt es erste Anzeichen, dass die jüngsten Entwicklungen in den unteren Etagen der Hierarchie Angst erzeugen.

Von Dagmar Henn

Es ist im Grunde schon seit Monaten die zentrale Frage, die alle Beobachter außerhalb des Westens umtreibt: Gibt es irgendjemanden im Regierungsapparat der Vereinigten Staaten, der die kontinuierliche Eskalation anhält? Die Informationsquellen, die man finden kann, um einen Einblick zu erhalten, sind zum einen Artikel in bestimmten Zeitschriften wie Foreign Affairs und aus bestimmten Institutionen wie der RAND-Corporation, und zum anderen Presseberichte von Journalisten, die dem Flurgeflüster lauschen.

Die Außenpolitik der USA wird momentan von einem kleinen Zirkel von Neocons bestimmt, zu denen US-Präsident Joe Biden ebenso zu rechnen ist wie sein Außenminister Antony Blinken, dessen Stellvertreterin Viktoria Nuland und Verteidigungsminister Lloyd Austin. Das Problem, das dieser Zirkel darstellt, ist, dass sie alle von der Überlegenheit der USA überzeugt und bereit sind, alle denkbaren Mittel einzusetzen, um sie zu erhalten.

US-Präsident Joe Biden hat dies jüngst erst wieder mit seiner Bemerkung in einem Interview zu erkennen gegeben, die USA könnten problemlos zwei Kriege finanzieren, und seiner Verwendung der Formulierung von den Vereinigten Staaten als der "unverzichtbaren Nation" in seiner Ansprache an die Nation, eine Aussage, die man so von Madeleine Albright kennt. Entstanden ist diese Variante imperialer Ideologie vor dreißig Jahren, als die USA tatsächlich die einzige verbliebene Supermacht waren, aber ihre Protagonisten weigern sich mit aller Kraft, wahrzunehmen, dass dieser Zeitpunkt vorüber ist.

Vor einigen Tagen erschien nun ein Artikel auf dem Medienportal Axios, in dem zwei Journalisten einen Einblick in die Stimmung in den mittleren Etagen des Weißen Hauses gaben. Die beiden Autoren, Mike Allen und Jim VandeHei, sind langjährige Korrespondenten in der Washingtoner Politik; es ist also glaubwürdig, dass sie Zugang zu informellen Informationsquellen haben.

"Nie zuvor", schreiben sie, "haben wir mit so vielen Spitzenbeamten der Regierung gesprochen, die im privaten Gespräch besorgt über so viele Konflikte im Ausland sind."

Die Formulierungen, die die beiden gebrauchen, sind tatsächlich ungewöhnlich deutlich.

"US-Amtsträger sagen, dieses Zusammentreffen von Krisen löse epische Sorgen aus, und historische Gefahr."

Diese Wahrnehmung ist nicht falsch. Das Eskalationspotential gerade jetzt im Nahen Osten ist ungeheuer, und Aussagen aus Israel wie, man werde die iranische Führung "vom Angesicht der Erde tilgen", die deutlichste Drohung mit nuklearen Waffen in den ganzen letzten Jahren überhaupt, zeigen, wie grenzenlos diese Eskalation sein könnte.

"Regierungsmitarbeiter erzählen uns, dass dies die belastendste, beängstigendste Woche war, seit Präsident Biden vor etwas über 1.000 Tagen das Amt antrat."

Axios, mitnichten ein oppositionelles Portal, zählt dann fünf Punkte auf, die als besonders bedrohlich empfunden werden. Die israelische Reaktion auf den Angriff der Hamas ist der erste. Dabei teilen die Autoren, nicht überraschend, den "westlichen" Standpunkt, aber zumindest das Risiko wird formuliert:

"Die Beamten verwiesen auf die Proteste, Drohungen und tödlichen, antiamerikanischen Warnungen arabischer Nationen, nachdem diese – unrichtigerweise – dachten, Israel habe ein Krankenhaus in Gaza angegriffen und Hunderte getötet. Das ist eine Vorschau auf das, was sie als weltweite Reaktion auf den erwarteten israelischen Einmarsch in Gaza sicher erwarten."

Als Beispiele werden Drohnenangriffe in Syrien und dem Irak sowie die Rakete aus dem Jemen angeführt, die auf einen US-Zerstörer abgefeuert wurde. Und ja, diese Einschätzung ist sehr realistisch. Sollte die US-Führung eine Eskalation in Gaza zulassen, dürfte es zu Angriffen auf US-Stützpunkte quer durch den muslimischen Teil der Welt kommen, und entgegen der öffentlich geäußerten Einschätzungen der US-Vertreter ist klar, dass selbst die großen Mitspieler, seien es der Iran, Katar, Russland und China, diese Dynamik nur bis zu einem bestimmten Punkt beeinflussen können. Unter solchen Bedingungen würden die Hunderte US-Stützpunkte nicht länger die Macht stärken, sondern sich in vielfache Verwundbarkeit verwandeln.

Die zweite Krise, die der Artikel benennt, ist das Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Peking. Dabei wird auf eine Einschätzung aus Foreign Affairs verwiesen, nach der beide glaubten, die USA und ihre Verbündeten (die Autoren schreiben hier "die anderen großen Demokratien", eine Definition, die etwa die Inder begeistern dürfte) "hätten ihre beste Zeit hinter sich und einen unwiderruflichen Abstieg begonnen". Von Reuters wird dann die Erkenntnis zitiert, Russland und China sprächen ihre Politik im Nahen Osten miteinander ab.

Das ist keine neue Tatsache und war bei der Vermittlung zwischen dem Iran und Saudi-Arabien deutlich zu sehen, aber so, wie die Axios-Autoren das formulieren, scheint ihren Kontaktpersonen in der US-Regierung erst jetzt klar geworden zu sein, dass der Plan gescheitert ist, einen Keil zwischen Russland und China zu treiben, um sich beiden Rivalen nacheinander widmen zu können.

Die dritte Bedrohung sei der Iran, und hier fürchten die Kontaktpersonen, die Hisbollah könne Israel in dem Moment angreifen, wenn es in Gaza feststeckt.

Das könnte man als Beispiel der Selbstblendung sehen. Schließlich ist es nur die Überzeugung der US-Politik, aber nicht Tatsache, dass man mit dem Iran nicht verhandeln könne und dass dieses Land ein Interesse an der Eskalation habe.

Die vierte Bedrohung sei "der verwirrte Staatschef Nordkoreas". Eine Projektion, denn die wirkliche Regierung Nordkoreas ist das Politbüro der Partei der Arbeit, sprich, eine große Gruppe erfahrener Politiker; aber nachdem die Vorstellung, es werde von schwer berechenbaren Irren regiert, dem Land mehr nützt als schadet, halten sich seine Bemühungen, diesen Aberglauben bei seinen Gegnern zu bekämpfen, in sehr engen Grenzen. Die wirkliche Angst in der US-Administration geht allerdings weiter. Es wird befürchtet, "in wenigen Jahren" könne das kombinierte Nuklearpotenzial Russlands, Chinas und Nordkoreas "beinahe das Doppelte des US-amerikanischen" erreichen.

Wofür es nur eine Lösung gäbe, die derzeit nicht auf dem Speiseplan US-amerikanischer Politik steht – eine ernsthafte Wiederaufnahme von Abrüstungsverhandlungen.

Die fünfte Bedrohung, die benannt wird, seien gefälschte Videos. Dabei wird ganz nebenbei klar, dass in den Vereinigten Staaten an diesen Technologien gearbeitet wird:

"Die Entwickler dieser neuen Technologien sagten uns in Hintergrundgesprächen, nach einer Vorführung neuer Möglichkeiten, die bald verfügbar sein werden, selbst mit dem schärfsten Blick für Fake-Videos würde man große Schwierigkeiten haben, herauszufinden, was wirklich ist."

Diese Entwicklung war seit Jahren abzusehen; verblüffend ist eigentlich eher, dass noch kein Standard auf dem Markt existiert, der eine Echtheit der Aufnahme sicherstellt. Und es ist nicht so, als würden die Vereinigten Staaten nicht selbst jede Technik nicht nur der Informationskontrolle, sondern auch der Informationsverfälschung nutzen.

Was unterschwellig in dieser Aussage verborgen ist, ist die Angst, technologisch ins Hintertreffen zu geraten, für das ein Rückstand bei der Nutzung künstlicher Intelligenz nur ein Symptom ist. Die letzten beiden Punkte stehen also für die Befürchtung, dass die Vereinigten Staaten militärisch und technologisch ihre beste Zeit tatsächlich hinter sich haben. Die Ukraine taucht auf dieser Liste nicht mehr auf.

Besonders erschwerend käme noch die ernste politische Krise in den Vereinigten Staaten selbst hinzu, wobei "innere Unruhen eine ihrer größten Sorgen sind". Diese könnten beispielsweise durch ein Gerichtsurteil gegen Bidens Vorgänger Donald Trump oder durch den Krieg im Nahen Osten entzündet werden.

"Biden-Verbündete deuten diese Ausbrüche als Ermahnung, dass globales Chaos Ruhe und Erfahrung braucht."

Das Vertrauen der Bevölkerung in die jeweils andere Partei und die Medien sei völlig zusammengebrochen.

Diese Aussagen klingen nicht nach der blinden Zuversicht in die Überlegenheit der Vereinigten Staaten, die aus den Reihen der Neocons zu hören ist; das klingt eher nach ausgeprägter Angst, das, was man sich aufgetan hat, nicht mehr essen zu können. Was wieder eine der Absurditäten des weltgeschichtlichen Moments belegt, den wir derzeit durchleben – für den Rest der Welt kann diese beginnende Panik ein Zeichen der Hoffnung sein.

Denn sie kann zumindest zu der Schlussfolgerung führen, dass es auch im eigenen Interesse der Vereinigten Staaten liegt, eine Eskalation zu verhindern, nicht nur im Nahen Osten. Damit sich eine solche Einsicht durchsetzt, braucht es Druck aus der unmittelbaren Umgebung der kleinen Blase von Neocons, die die US-Außenpolitik derzeit in der Hand hat. Dieser Bericht in Axios belegt, dass sich dieser Druck gerade aufbauen könnte.

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