Von Kirill Benediktow
US-Außenminister Antony Blinken ist nach einer anstrengenden Tour durch den Nahen Osten nach Israel zurückgekehrt. Am Donnerstag stand Blinken auf einem Militärstützpunkt in Tel Aviv Schulter an Schulter mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und versprach feierlich, dass die USA Israel verteidigen werden, "solange die USA existieren".
In seiner gefühlvollen Rede kam er darauf zu sprechen, dass sein Urgroßvater aus dem Russischen Reich geflohen war, um den jüdischen Pogromen zu entkommen. In Wahrheit hatte der Urgroßvater des Außenministers, der Zimmermann Meir Blinken, von einer literarischen Karriere geträumt, war jedoch aus irgendeinem Grund im Kiew des frühen 20. Jahrhunderts nicht veröffentlicht worden, sodass er auf der Suche nach Ruhm in die USA auswanderte.
Der Holocaust blieb natürlich nicht unerwähnt: Beinahe sei sein Stiefvater in den Todeslagern der Nazis umgekommen. Nach dieser Einleitung schien der Übergang zu den Opfern des Hamas-Einfalls in israelische Kibbuzim ganz logisch – "getötete Babys, geschändete Leichen, lebendig verbrannte junge Männer, vergewaltigte Frauen, vor den Augen ihrer Kinder hingerichtete Eltern, vor den Augen ihrer Eltern hingerichtete Kinder". Auf der emotionalen Ebene – das muss man dem US-Chefdiplomaten zugestehen – hat er sein Können entfaltet.
Doch war es nicht das Ziel Blinkens, die israelische Gesellschaft zu rühren. Wichtiger war ihm, die israelischen Behörden und ihre Nachbarn in der Region davon zu überzeugen, dass die Vereinigten Staaten stark und entschlossen wie noch nie sind. Und dass sie bereit sind, ihren Hauptverbündeten im Nahen Osten mit all ihrer Macht zu verteidigen.
Von Israel aus flog Blinken nach Saudi-Arabien und von dort aus nach Ägypten. In Riad versuchte er, mit Mohammed bin Salman, dem Kronprinzen und De-facto-Herrscher des Königreichs, eine Abmachung zu treffen, in Kairo mit Präsident Abd al-Fattah as-Sisi. Von Ägypten aus eilte der Außenminister nach Jordanien und kehrte am Montagmorgen nach Israel zurück.
Das Resultat dieser Pendeldiplomatie lässt bisher zu wünschen übrig. Die Pressemitteilung des Außenministeriums über das Treffen mit Prinz bin Salman bestand aus sieben Zeilen, was in der Regel auf tiefgreifende Divergenz der Positionen der Parteien hindeutet. Was den ägyptischen Präsidenten betrifft, so ließ er auf Blinken eine Flut von Anschuldigungen gegen Israel niedergehen, dessen "Reaktion das Recht auf Selbstverteidigung überschritt und zu einer kollektiven Bestrafung von 2,3 Millionen Menschen im Gazastreifen geworden ist".
Die Aufgabe, die dem gesprächigen Außenminister oblag, war keine einfache, auch deswegen, weil der Führungselite im Nahen Osten bekannt ist, wie angespannt die Beziehungen zwischen Washington und Jerusalem sind, seit Benjamin Netanjahus rechtsgerichtete Koalitionsregierung Ende 2022 an die Macht kam.
Zwischen ihm und der Biden-Administration kam es zu schweren Divergenzen in vielen Schlüsselfragen – von der Justizreform bis zu LGBT-Rechten, die der Demokratischen Partei in den USA ein Heiligtum und so inakzeptabel für die orthodoxen Mitglieder der Regierung sind. Diese Konfrontation erreichte im Frühjahr und Sommer dieses Jahres ein solches Ausmaß, dass man in Israel von der Gefahr einer von Washington finanzierten und unterstützten "Farbrevolution" sprach.
Man hatte den Eindruck, dass die israelisch-US-amerikanischen Beziehungen in ihrer zweiten Krise innerhalb von 15 Jahren stecken (die erste war unter Barack Obama). Zusätzlich sind in der Demokratischen Partei der USA die linksextremen Progressiven erstarkt, von denen einige – wie Ilhan Omar und Rashida Tlaib – ihre feindselige Haltung gegenüber dem jüdischen Staat niemals verbargen. Der Streit zwischen den ehemals "besten Freunden" spielte den Republikanern in die Hände, die ihre Unterstützung für Israel betonten und erfolgreich mit den Demokraten um die Stimmen der einflussreichen jüdischen Organisationen in den USA konkurrierten.
Die Geschehnisse der letzten Woche haben alles verändert. Nun zappelt sich das Weiße Haus ab, um zu zeigen, dass der jüdische Staat keinen besseren Freund und Beschützer hat und haben wird. Erst fliegt Blinken und dann US-Verteidigungsminister Lloyd Austin nach Tel Aviv, während gleich zwei Flugzeugträger-Kampfgruppen an die israelische Küste entsandt werden – eine Kampfstärke, die stark genug ist, um nicht nur den Gazastreifen, sondern auch einen Staat von der Größe des Libanon auszulöschen.
Zeitgleich kritisierte der ehemalige Präsident Donald Trump Netanjahu auf einer Kundgebung in Florida und forderte laut Insidern des Magazins Rolling Stone in privaten Gesprächen mit prominenten Republikanern die Amtsenthebung des israelischen Ministerpräsidenten.
Als "Idiot" bezeichnete Trump den israelischen Verteidigungsminister Joaw Gallant, der einen Hamas-Angriff nicht verhindern konnte. Die israelische Presse – vorwiegend die linke – ist bereits dabei, den ehemaligen US-Präsidenten dafür zu brandmarken, dass er den jüdischen Staat als schwach und seine Feinde, insbesondere die Hisbollah, als "sehr clever" bezeichnet hat. Doch selbst bei den Republikanern treffen Trumps aktuelle Äußerungen längst nicht bei jedem auf Verständnis. "Er ist ein Narr. Nur ein Narr würde solche Bemerkungen machen", zitiert CNN fröhlich Trumps Rivalen bei den Vorwahlen Chris Christie. Wobei den Kommentaren in den sozialen Medien zu entnehmen ist, dass er nicht der Einzige ist, der so denkt.
Trumps unerwartet scharfe, feindselige Haltung gegenüber Netanjahu ist die Folge des langjährigen Grolls des ehemaligen Präsidenten gegen den israelischen Ministerpräsidenten. Heute macht er Netanjahu Vorwürfe, dieser habe "die USA im Stich gelassen", indem er sich weigerte, den US-Geheimdiensten bei der Operation zur Eliminierung des iranischen Generals Qassem Soleimani, des Kommandeurs der Quds-Einheit, im Januar 2020 zu helfen. Doch der wahre Grund ist ein anderer. Trump zählte darauf, dass Netanjahu zumindest indirekt – über einflussreiche Lobbyorganisationen in den USA – seinen Anspruch auf einen Wahlsieg im Jahr 2020 unterstützen würde. Dieser gratulierte jedoch unverzüglich Biden zu seinem Sieg, während Trump lediglich für seine Freundschaft gedankt wurde. Das war eigentlich das Ende ihrer Freundschaft.
Indem er den Emotionen statt rationalen Nachdenkens den Vorrang gab, hat sich Trump selbst in den Fuß geschossen. Die israelische Regierung zu einem Zeitpunkt zu kritisieren, an dem alle Ressourcen der westlichen Propaganda daran arbeiten, einen neues Gemälde des Holocausts zu malen, ist nicht nur perspektivlos, sondern auch mit dem Risiko behaftet, die Unterstützung der Wähler zu verlieren. Im Vergleich zu Trumps Rachedurst erscheint die Position der Biden-Administration erstaunlich ausgewogen.
"Biden hat die entschiedenste Unterstützung für Israel gezeigt", argumentiert CNN, "und hat dessen Wunsch nach Rache und der Rückkehr zu einem Gefühl der Sicherheit anerkannt. ... Allerdings signalisiert Biden Netanjahu sowohl privat als auch öffentlich, dass Israels Antwort nicht gegen die Kriegsgesetze verstoßen sollte und dass es die humanitären Folgen einer Invasion in den Gazastreifen bedenken sollte, denn er zielt darauf ab, eine Ausartung des Krieges zu einem interregionalen Konflikt zu verhindern."
Die [verlogenen] Propagandisten von CNN schweigen elegant zu der Frage, was eine solch drastische Änderung der Haltung des Weißen Hauses gegenüber der Netanjahu-Regierung verursacht hat. "Und das Kästchen geht einfach auf" (Zitat aus Krylows Fabel "Die Kiste"): Republikaner, unter anderem Trump, beschuldigen Biden und seine Regierung der Finanzierung der Hamas. Ein besonderer Akzent wird auf die Entsperrung der sechs Milliarden Dollar auf Teherans Konten in Südkorea gelegt: Nach der Freilassung von fünf US-Bürgern, die wegen Spionage in iranischen Gefängnissen ihre Strafe verbüßten, wurde das Geld auf Banken in Katar überwiesen. Das Weiße Haus bemüht sich, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass diese Gelder gemäß dem Vertrag zwischen Washington und Teheran nur für humanitäre Zwecke verwendet werden dürfen und dass die Tinte auf dem von Biden unterzeichneten Papier zur Freigabe der iranischen Milliarden noch nicht getrocknet ist, was bedeutet, dass der Angriff vom 7. Oktober aus anderen Quellen finanziert wurde.
Tatsache ist aber, dass die Biden-Administration schon zuvor Palästina mit Geld versorgt hatte, wohl wissend, dass zumindest ein Teil dieser Hilfe zur Stärkung der Hamas beitragen würde. Das lässt sich nicht so leicht leugnen. Deshalb erntet die One-Man-Show mit Blinken in der Hauptrolle keinen Beifall bei den Nachbarn Israels. Würden Sie nicht zugeben, dass es schwer ist, einer Regierung zu glauben, die sich wie ein doppelgesichtiger Janus verhält, der mit der einen Hand Waffen an Israel liefert und mit der anderen Hand dessen Feinde nährt?
Übersetzt aus dem Russischen.
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