Von Wladislaw Sankin
Im April 2018 hatte Markus Lanz für das ZDF eine eineinhalbstündige Dokumentation "Russland!" gedreht. Er war in Moskau, Sankt Petersburg, Kaluga und Wolgograd, von wo er über die Stalingrader Schlacht und ihre Spuren berichtete. Auch ich hatte damals im April in Wolgograd gedreht – zum gleichen Thema, an den gleichen Orten, mit gleicher Bildsprache. Es war überraschend zu sehen, wie der Journalist eines Mainstream-Mediums eine zwar ungeschminkte, aber im Ganzen ausgewogene und vorurteilsfreie Erzählung gefunden hat – ausnahmsweise!
Nun, fünfeinhalb Jahre später, reist Lanz in die Ukraine, in ein vom Krieg gezeichnetes Land. Sein Bericht über Dreharbeiten, auf zwei Podcast-Serien aufgeteilt (hier und hier), ist zu einem eindrucksvollen Dokument dessen geworden, was aus dem deutschen Journalismus im zweiten Jahr des Ukraine-Krieges geworden ist. Mal mehr, mal weniger direkt verbreitet er nun nur noch Gräuelpropaganda und vergießt Krokodilstränen über das "unermessliche" Leid in einem über Jahre hinweg vom Westen mit angefachten Krieg.
An dieser Stelle würde ich gerne Einwände derjenigen hören, die diese zwei Ukraine-Podcasts von Lanz auch schon mal angehört haben. Lanz berichtet ja nur das, was er selbst gesehen und erlebt hat, er zitiert und erzählt weiter – hast du nicht etwa genau das Gleiche in Donezk, Mariupol und Wolnowacha gemacht? Deshalb meine Empfehlung an alle, die Zeit und Spaß an einer Debatte darüber haben, was den Job eines Journalisten ausmacht: Macht es, hört euch, bevor ihr weiterlest, die Berichte von Lanz selbst einfach mal vorurteilsfrei an.
Ich habe es nicht speziell auf Lanz abgesehen. Für mich ist er nun nur einer von vielen deutschen Top-Moderatoren, die zum Thema Ukraine/Russland auch die verrücktesten antirussischen Redebeiträge von Politikern und anderen Sprechern in ihren Sendungen unwidersprochen durchgehen lassen. Seine Loyalität zu den Hauptnarrativen des Westens zeigt er lediglich etwas anders, auf die ihm eigene smarte, einfühlsam-emotionale Weise. Ich selbst bin auf seinen Podcast nur dank eines russischsprachigen Telegram-Kanals aufmerksam geworden, der im Gespräch etwas Bemerkenswertes rausgehört hat. Lanz erzählt von russischen Soldaten:
"Das sind völlig von dieser Propaganda missbrauchte ungebildete russische Soldaten, denen man, ich weiß nicht, was erzählt hat, dass sie zu dieser Gewalt bereit sind, weil sie denken, sie kämpfen für eine gute Sache gegen ganz, ganz schlimme Nazis. Propaganda, Alkohol und Drogen spielen eine große Rolle."
Precht: "Wie im Zweiten Weltkrieg auch schon."
Lanz: "Genau. Sie werden brutalst missbraucht."
Alkoholisierte, mit Drogen vollgepumpte Propaganda-Zombies sind die Russen also. So sieht nun auch der Soldat der Roten Armee und Befreier vom Nazismus aus, wenn man dem Philosophen Richard David Precht und Moderator Lanz folgt. Von Zombies befreit! Machen wir nun vielleicht die Befreiung rückgängig? Sein Nachfahre, der Soldat der russischen Armee, ist nun mal ein Barbar, ein Ork mit Schweinekopf, wie ihn der ukrainische "Diplomat" Alexei Makejew in seinen Tweets darstellt. Er trägt gleich vier Kettchen um den Hals, ist ärmlich und dreckig, hat die Taschen vollgestopft mit Wodkaflaschen, in der Hand eine Tüte mit geplünderten Sachen.
Im Vergleich mit dieser wirkt die Nazipropaganda über die Minderwertigkeit der Sowjetmenschen aus dem Dritten Reich fast unschuldig, wie etwa auf dem Foto der sowjetischen Kriegsgefangenen aus einem deutschen Lager, die, in Lumpen gekleidet, eine Tafel in der Hand halten: "Wir sind Stalins Helden."
Lanz berichtet von vielen Begegnungen in der Ukraine, in Lwow, Kiew, Odessa, Nikolajew und einem Dorf nahe Cherson. Die Menschen, mit denen er spricht, seien bewundernswert, tapfer, fleißig, familienorientiert, erfinderisch und endlos leidensfähig. Ganz wichtig: Sie haben im Unterschied zu den Russen eine "ganz andere Mentalität". Es sei ein Irrtum, Russen und Ukrainer als Brudervölkler zu bezeichnen, betont Lanz nachdrücklich. Im Unterschied zu den Russen hätten die Ukrainer ein "demokratisches Verständnis". Lanz erzählt einfühlsam, emotional. "Das erschüttert einem das Herz", "unglaublich", "unbegreiflich", "diese Bilder vergisst du nie". Er geht so weit, dass er leblosen Objekten wie etwa russischen Oniks-Raketen auch Eigenschaften wie "fies" oder "ätzend" zuschreibt.
Die Russen dagegen, und das unterstreicht der Erzähler mehrmals, sind "brutal", "Folterer" ("die foltern in jedem Keller"), "unglaublich gewaltorientiert". Schauergeschichten, die er erzählt bekommt, sind natürlich von einem Tisch irgendwo in Deutschland schwer nachprüfbar. Mir geht es in diesem Artikel nicht um Dementis oder Gegenaussagen, über die Brutalität der ukrainischen Raketen etwa, die Besuchern am Eingang einer Jugendeinrichtung im Zentrum von Donezk direkt vor die Füße fallen und sie in Stücke reißen.
Mir geht es einzig und allein um die Verantwortung eines Journalisten, der einem Millionenpublikum komplett entmenschlichte Feindbilder in die Köpfe setzt. Und ich weiß ja aus den zahlreichen eigenständig durchgeführten Straßenumfragen, wie mediengläubig die breiten Massen hierzulande immer noch sind – dazu brauche ich keine Statistiken. Mir geht es darum, dass der Top-Moderator die wildesten Narrative unter dem Vorwand "ich habe es selbst gehört" kritiklos übernimmt. Dank dieses Tricks wissen wir nun von Lanz beispielsweise, dass in Russland eine "Kultur des Todes" herrscht. Ein Menschenleben habe keinen Wert in Russland – auch ein altes Propagandamuster.
Natürlich stehen hier die beiden ZDF-Podcaster Lanz und Precht noch stark unter dem Eindruck des Auftritts Wladimir Klitschkos in der Lanz-Show Ende September, als er von einem "Sklavengefühl" der Russen erzählte, die im Unterschied zu Ukrainern nicht leben wollen – RT DE berichtete. Diese absurde Rede ist auf dem gleichen rassistischen Mist gewachsen, den Lanz nun mal in der Ukraine in großen Portionen zu hören bekommt. Dort sind eine große Menge an Theorien im Umlauf, die die Minderwertigkeit der Russen "wissenschaftlich" belegen sollen.
Aber über den Nazismus in der Ukraine will Lanz natürlich nicht reden. Im Gegenteil, redet er sogar von der angeblichen "Russifizierungsgefahr", die den Maidan laut einem seiner Gesprächspartner aus der Westukraine vor zehn Jahren mit hervorgerufen haben sollte. Das Wort "Zwangsukrainisierung", die sich ganz konkret in Gesetzen, Strafen, Denkmalabrissen und sonstigem Canceln äußert, kommt Lanz nicht über die Lippen – politisch undenkbar! Es seien nun die Russen, die ukrainische Kinder "verschleppen" (Lanz: "Das wissen wir ja", Precht: "Ja, ja"), sie in den besetzten Gebieten Propaganda unterziehen und ohnehin alles "hart russifizieren". Die Propaganda über eine angebliche Kinderverschleppung steht seit einem Jahr ganz oben auf der Prioritätenliste westlicher Medien, und diese Liste muss natürlich auch Lanz abarbeiten.
Doch an einer Stelle wird Lanz unvorsichtig. Der Fauxpas passiert ihm in dem Moment, als er über einen Nazi aus Russland erzählen will. Er sei in der Ukraine sehr bekannt und stamme aus Nowosibirsk. Laut eigenen Angaben hat er einen ganzen Grenzposten der Russen mit seiner Maschinenpistole niedergemäht. "Nicht alle Russen wollen von Russland befreit werden", sagt er und nennt das russische rechtsextreme Mitglied einer ukrainischen Sabotagegruppe als Beispiel. In Russland müsste er wegen seines Rechtsextremismus in den Knast, was ihn in die Ukraine treibt, wo er Unterschlupf findet, bewaffnet, ausgebildet und zu Aktionen über die Grenze geschickt wird, so Lanz.
Precht will das zunächst nicht glauben. Für ihn sind die russischen Rechtsradikalen Chauvinisten, die diesen Krieg befürworten. "Mein Gefühl war, er war sogar supernationalistischen Russen zu rechts", sagt Lanz. "Und jene Ukraine, die sich nach Westen orientiert, findet er besser?!", wundert sich Precht. Die kleine übersichtliche Welt, in der die Rollen längst verteilt zu sein scheinen, ist in diesem Moment am Zusammenbrechen. Also, wenn jemand euch, liebe Leser, sagt, Russlands Erzählung über die "bösen Nazis" in der Ukraine seien Propagandamärchen, die "ungebildeten Russen" in die Köpfe gesetzt werden, bitte diese Stelle im Lanz-Podcast als Gegenbeleg aufsuchen.
Um eines bemühten sich die Podcaster ganz augenscheinlich noch – um Parallelen zum Zweiten Weltkrieg. Russlands Raketen- und Drohnenangriffe, die ukrainische Infrastrukturobjekte zum Ziel haben, aber auch "Blindgänger" sein könnten, die überall einschlagen können, sei die gleiche Strategie, die Alliierte bei ihren Bombardements der deutschen Städte eingesetzt haben. Strategie, die darauf abzielt, den Widerstand der Zivilbevölkerung zu brechen. Auch die Hitler-Luftwaffe hätte in London oder Coventry das Gleiche getan. Dadurch werde nur das Gegenteil erreicht, die Bevölkerung werde geeinter und trotziger, betonen die Podcaster.
Das Problem ist nur – die Luftangriffe damals und heute stehen in keinem Verhältnis zueinander. Zwanzig Monate nach Beginn des Ukraine-Krieges sind laut UNO knapp 10.000 tote Zivilisten gemeldet (unklar ist allerdings, ob die mehr als 5.000 Toten aus den Volksrepubliken Donezk und Lugansk mitgezählt wurden). Jeder tote Zivilist in jedem Krieg ist zweifellos ein Toter zu viel! Aber im Zweiten Weltkrieg wurden Sprengstoffladungen in ganz anderen Dimensionen über die Städte abgeworfen, mit dem Ziel, so viele Zivilisten wie möglich zu töten. Zum Vergleich: Allein bei einem US-Angriff am 14. Februar 1945 auf den kleinen Kurort Swinemünde auf den Ostseeinseln Usedom und Wollin starben bis zu 14.000 Menschen, hauptsächlich Flüchtlinge aus den Ostgebieten. An nur einem Tag mehr Zivilisten als im gesamten Ukraine-Krieg! Was gibt es da zu vergleichen? Das Ziel dieser Gleichmacherei liegt auf der Hand: Russland mit allen rhetorischen Mitteln als einen Verbrecherstaat vom Kaliber Nazi-Deutschlands darzustellen.
Und noch ein Thema zog sich wie ein roter Faden durch die beiden Gespräche, wobei die Fragen hauptsächlich von Precht aufgeworfen wurden: Wann und wie sich Hass und Rachegefühle wieder legen können, damit ein nachbarschaftliches Zusammenleben von Russen und Ukrainern wieder möglich sei? In diesen Momenten dachte ich jedes Mal: Da sitzen zwei weiße Herren und vergießen Krokodilstränen über das gegenseitige Massaker zweier Indianerstämme. Ein Massaker, das auch auf ihr eigenes Zutun als Vertreter der vierten Gewalt oder das Zutun der von ihnen gewählten Politiker angefacht wurde.
Durch die NATO-Osterweiterung bis auf das ukrainische Gebiet hin. Durch Einflüsterungen, wer ein wahrer Europäer sei und wer nicht. Durch die Weißwaschung des ukrainischen Nazismus, jener Ideologie, die wie jeder Nazismus im Kampf und Krieg seine Bestimmung sieht. Durch die Beteiligung am Maidan-Putsch – eine der gröbsten Einmischungen in die innere Angelegenheit eines Landes, die die Welt je gesehen hat. Durch das Schweigen zu Verbrechen Kiews in Odessa und dem Donbass. Durch die Nichterfüllung der Minsker Abkommen, die die letzte Chance waren, den Konflikt ohne einen größeren Krieg zu lösen. Und nun auch ganz massiv durch Waffenlieferungen und sonstige Unterstützung, die der Ukraine noch das Gefühl geben, in diesem für dieses Land aussichtslosen Krieg weiterkämpfen zu können.
Im Jahre 2018 war der Top-Moderator Lanz derjenige, der etwas andere Töne in den russophoben Chor der deutschen Medien einfließen ließ. Der damals noch "etwas andere Lanz" gibt nun brav alle offiziellen Propagandanarrative der Ukraine und des Westens unreflektiert wieder und wärmt sogar rassistische Vorurteile über ein ganzes Volk wieder auf. Ein weiterer Sittenverfall eines Journalisten, der für viele Menschen bislang noch ein moralischer Kompass zu sein schien, nun aber nicht einmal merkt, wie geschmacklos auch seine schwulstigen, emotionalisierenden Berichte inzwischen sind. Auch der sonst oft durchaus unabhängig denkende Precht hat in diesem Gespräch versagt, Lanz nicht widersprochen und ihm sogar die Bälle zugespielt. Bewertungen einiger Zuschauer machen allerdings noch etwas Hoffnung. "Eine Zukunft ohne Hass würde damit anfangen, wenn die Medien wieder ehrlich berichten würden!" – lautet der meistgelikte Kommentar.
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