Von Sergei Mirkin
Am 11. Oktober hat in Brüssel ein weiteres Treffen im Ramstein-Format stattgefunden, an dem auch der Präsident der Ukraine, Wladimir Selenskij, teilnahm. Er kam unerwartet in die belgische Hauptstadt, sein Besuch war nicht angekündigt. Wie auch sonst immer, versuchte Selenskij, sich in den Mittelpunkt zu rücken. So behauptete er etwa, dass alle Staatsoberhäupter der Welt Israel besuchen sollten, bat den Westen in gewohnter Manier um Luftabwehrsysteme, flanierte durch die Halle mit dem NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ‒ kurz, er veranstaltete, wie gewöhnlich, eine Show.
Nach dem Treffen meldeten ukrainische und einige westliche Medien freudig, dass der Ukraine Militärhilfe im Wert von 500 Millionen US-Dollar versprochen wurde, und beriefen sich dabei auf den ukrainischen Verteidigungsminister Rustem Umerow. Selenskijs Propagandisten zogen den Schluss, dass der Westen die Ukraine nicht fallen lässt. Freilich sind Versprechen bekannterweise nicht gleich Taten, besonders vor dem Hintergrund der turbulenten weltpolitischen Lage. Darüber hinaus rechnete der Minister zu diesem Betrag auch die F-16-Flugzeuge, die Dänemark und Belgien an Kiew liefern wollen. Allerdings wird Kopenhagen der Ukraine die Jäger – wenn überhaupt – nicht vor Frühling 2024 liefern, und Brüssel liefert erst im Jahr 2025. Doch wer weiß, ob das Maidan-Regime die Flugzeuge im kommenden Frühling überhaupt noch benötigen wird?
Den bedeutendsten Beitrag zur Unterstützung des ukrainischen Militärs leistete das Pentagon. Die USA werden dem Kiewer Regime Waffen im Wert von 200 Millionen US-Dollar bereitstellen. Doch später kam aus dem Weißen Haus eine Ankündigung, die als kalte Dusche für die Ukraine bezeichnet werden könnte. Der Sprecher des US-Sicherheitsrats, John Kirby, verkündete:
"Kurzfristig haben wir sowohl für die Ukraine als auch für Israel Mittel und Befugnisse. Aber man sollte keine langfristige Unterstützung planen, wenn man am Ende der Fahnenstange [wörtlich: am Ende des Seils] angelangt ist. Und bei der Finanzierung der Ukraine sind wir am Ende der Fahnenstange."
Warum sprach Kirby diese Worte aus? Die 200 Millionen US-Dollar, die das Pentagon Kiew bewilligt, wurden aus dem sogenannten Fonds der Buchhaltungsfehler entnommen. Angeblich haben die USA der Ukraine Waffen in Höhe einer bestimmten Summe geliefert. Nach einer Prüfung stellte sich heraus, dass Kiew Waffen in geringerer Summe erhalten hatte. Damit entstand beim Pentagon ein Überschuss von 5,6 Milliarden US-Dollar, die das US-Verteidigungsministerium ohne Billigung des Kongresses für Waffen- und Munitionslieferungen an die Ukraine aufwenden kann. Außerdem erwirkte das Pentagon durch die Struktur der Weltbank einen Zuschuss für die Ukraine in Höhe von 1,15 Milliarden US-Dollar zur Deckung von Haushaltsausgaben. Doch sowohl für das Pentagon, als auch für Bidens Administration neigt sich dasjenige Instrumentarium zur Finanzierung der Ukraine, das keiner Billigung des Repräsentantenhauses bedarf, dem Ende zu.
Dabei gibt es im US-Kongress eine ganze Gruppe von Republikanern, die gegen weitere Geldzuwendungen an die Ukraine eintreten. So wurde die Finanzierung für Kiew nicht im provisorischen Haushalt vorgesehen, der in den USA verabschiedet wurde. Der Sprecher des Kongresses, Kevin McCarthy, wurde wegen einer geheimen Absprache mit Bidens Administration entlassen, wonach das Geld für die Ukraine mit einem separaten Gesetz der Unterkammer bewilligt werden sollte. Übrigens fand die Amtsenthebung des Parlamentsvorsitzenden durch Abstimmung zum ersten Mal in der US-Geschichte statt. Eingeleitet wurde McCarthys Sturz von seinem Parteigenossen Matt Gaetz, der einer der leidenschaftlichsten Gegner der Finanzierung der Ukraine ist. Gaetz und seine Unterstützer glauben, dass die über 100 Milliarden US-Dollar, die der Ukraine bewilligt wurden, zur Lösung der inneren Probleme der USA – Sozialleistungen, Befestigung der Grenze zu Mexiko, Bekämpfung der Kriminalität, Beseitigung der Sturmfolgen und so weiter – verwendet werden sollten. Und ganz sicher soll der Ukraine kein weiteres Geld mehr gegeben werden. Der Ex-Präsident der USA und wahrscheinlichste republikanische Kandidat Donald Trump meint, dass Kiew die russischsprachigen Gebiete an Russland abtreten sollte, um die eigene Staatlichkeit zu bewahren. Es sollte angemerkt werden, dass US-Abgeordnete noch vor der Eskalation im Nahen Osten begonnen haben, mit Geld für die Ukraine zu geizen, während im Kongress selbst ein Sprecher-Interregnum entstand, bei dem sich die Republikaner nicht untereinander einigen können, wer die Unterkammer leiten wird. Solange das US-Parlament nicht normal zu funktionieren beginnt, wird es keine Änderungen im US-Haushalt geben.
Das Hauptproblem für Selenskijs Administration sind jedoch nicht die Streitereien in der US-Politik. Es besteht die Möglichkeit, dass Republikaner und Demokraten nach einer gewissen Zeit einen Konsens in der "Ukraine-Frage" erreichen werden und Kiew Geld erhält – wenn auch weniger als gewünscht. Eine größere Bedrohung für das Maidan-Regime stellt der Krieg im Nahen Osten dar. Die Ukraine erhielt einen Mitbewerber um militärische und finanzielle Hilfe der USA, nämlich Israel.
Israelische Geheimdienste und Streitkräfte waren auf einen groß angelegten Überfall der Hamas nicht vorbereitet. Was im Kontext der Ukraine allerdings wichtiger ist – nach indirekten Angaben zu urteilen, schien Israel auch in materieller Hinsicht nicht auf den Krieg vorbereitet zu sein. Der Leiter der Regionalverwaltung von Samarien (nördlicher Teil des Westjordanlands), Jossi Dagan, unterzeichnete einen Vertrag über den Kauf von hunderten Schusswaffen zur Verstärkung von Reserveeinheiten. Das bedeutet, dass es in Israel an Schusswaffen mangelt. Ebenso sammeln Freiwillige im jüdischen Staat Geld- und Sachspenden für Reservisten, um sie mit Nahrungsmitteln, Unterwäsche, Kaffee, Schutzwesten und Kleidern zu versorgen.
Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf: Wie steht es in Israel um die Munition? Wurden doch 155-Millimeter-Granaten, die den USA gehörten, aber in israelischen Lagern verwahrt wurden, noch im Frühling in die Ukraine ausgefahren. An wen wird sich Tel Aviv um Hilfe wenden? An die USA. Dabei haben die USA selbst Probleme mit Waffen und Munition, weil sie vieles an Kiew übergeben haben.
Je weiter sich der Konflikt in die Länge ziehen wird, desto mehr militärische Hilfe wird Israel fordern. Doch auch die Wirtschaft dieses kleinen Landes wird keinen langen Krieg aushalten, und die USA werden Israel auch wirtschaftlich unterstützen müssen. Danach wird sich Washington entscheiden müssen. Berücksichtigt man die Tatsache, dass Israel ein älterer Satellit der USA als die Ukraine ist, dass der Nahe Osten als strategische Region heute für Washington viel wichtiger als Osteuropa ist, und dass die Israel-Lobby im Westen viel stärker als die ukrainische ist, wird Israel die Priorität bei der militärischen und wirtschaftlichen Hilfe erhalten. Für die Maidan-Ukraine wird wahrscheinlich nichts übrigbleiben ‒ nicht einmal das, was in Brüssel versprochen wurde.
In einem Interview für den rumänischen Kanal Digi24 behauptete Selenskij, dass sich der Konflikt in der Ukraine in der Abschlussphase befinde. Nimmt man Kirbys und Selenskijs Worte zusammen und formuliert Tschechows berühmte Aussage über ein Gewehr an der Wand um, könnte man sagen: "Wenn im vorletzten Akt des Stückes ein Seil erscheint, muss sich im letzten irgendjemand daran erhängen." Und wir können erraten, wer.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
Sergei Mirkin ist ein Journalist aus Donezk.
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