Bodo der Erste löst das Volk auf und wählt sich ein treues

Der politisch am seidenen Faden hängende Ministerpräsident Thüringens Bodo Ramelow (Die Linke) bemüht sich auf Twitter-Nachfolger X und in anderen sozialen Netzwerken um den Weltmeistertitel im Blocken und Sperren. In dieser Disziplin hat er gute Aussichten, als Demokrat und Linker ist er aber allein schon dadurch längst disqualifiziert.

Von Alexej Danckwardt

Wie ist es, müssen Politiker ihre Kommunikationskanäle zum "gemeinen Volk" offen halten oder haben sie das Recht frei zu entscheiden, wer in ihren sozialen Netzwerken lesen und kommentieren darf? Ein US-Gericht hatte vor einigen Jahren dem damaligen Präsidenten Donald Trump ins Stammbuch geschrieben, er dürfe Twitter-Nutzer auf seinem Kanal nicht aussperren und müsse ihre Äußerungen, gegebenenfalls auch unsachliche Kritik, ertragen. Das sei eine Frage der Teilhabe und er, nicht nur Person des öffentlichen Lebens, sondern oberster Repräsentant des Staates, müsse sie allen Bürgern ermöglichen. 

In Deutschland gibt es eine solche Rechtsprechung nicht und so werden Andersdenkende für die leiseste Kritik und selbst fundierte Gegenmeinungen nicht nur von Politikern, sondern auch von Regierungsinstitutionen, dem gebührenfinanzierten Fernsehen und Parteien massenweise in sozialen Netzwerken (aus)gesperrt und jeder Mitsprachemöglichkeit beraubt. 

Das ist an sich nichts Neues. Was ich jedoch heute in den Kommentaren unter einem, milde formuliert, geschmacklosen X-Post, früher hätte man Tweet gesagt, des Linken-Politikers und thüringischen "Landesvaters" Bodo Ramelow gesehen habe, übertraf alles bisher Erlebte dann doch noch einmal. 

Ramelow hat sich in einem Tweet vom Donnerstag indirekt über den mutmaßlichen Angriff auf den AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla und die Anschlagspläne gegen dessen Co-Vorsitzende Alice Weidel lustig gemacht. Er postete ein Bild einer "Opferrolle", auf dem geschrieben stand: "Lächerliche Alternative für Deutschland". Dazu schrieb der "Linke":

"Warum nur, warum fällt mir das heute ein? Ich weiß es gar nicht, aber es kam mir heute morgen so in den Sinn!"

Die Zeiten, in denen sich alle Parteien gemeinsam gegen politische Gewalt aussprachen, auch wenn sie den politischen Gegner traf – man nannte solch geschlossenes Auftreten "Sternstunden der Demokratie" –, sind in Deutschland längst vorbei und kommen wohl auch nicht wieder. Heute schweigt man bestenfalls, wenn die eigenen Anhänger zu Gewalt gegen Andersdenkende greifen. Häufiger stachelt man sogar dazu an oder schmunzelt wie Ramelow wohlwollend über diese Mittel im "Kampf gegen Rechts". 

Das politische Volk ist an diese Verrohung der politischen Sitten noch nicht gewöhnt, und so wundert es nicht, dass es in den Kommentaren Kritik hagelte. Fast ausschließlich Kritik, bis zu den Ramelow zustimmenden Kommentaren bin ich jedenfalls, wenn es sie gab, nicht vorgestoßen. Erstaunlicherweise waren die Antworten überwiegend gesittet. Gehalten in einem Ton, den man früher als "Sternstunde der Demokratie" gefeiert hätte. 

Und Ramelow? Nun, der Leser ahnt es bereits, ich lade dennoch auf einen kleinen Ausflug in die schöne neue Twitter-, pardon, X-Welt ein (Schreibweisen wie im Original). 

Beispiel 1: Ein Christian Wiesner gibt einen vernünftigen Ratschlag: 

"Lieber Herr Ramelow, wenn der Tweet vom Praktikanten war, dann würde ich ihm jetzt sofort das Handy wegnehmen. War das Ihre PR-Abteilung, dann alle sofort feuern. Sollte der Tweet aber tatsächlich von Ihnen selbst sein, dann kann man wohl nur noch Bedauern zum Ausdruck bringen …"

Die Sperre folgt auf dem Fuß und so bleibt Herrn Wiesner nur noch, das Offensichtliche festzuhalten: 

"Ach, guck an, da kann aber jemand mit Kritik rein gar nicht umgehen?"

Trotz der negativen Erfahrung behält der Bayer seinen Humor. Auf das zutreffende Verdikt eines anderen Nutzers

"Wenn ein Ministerpräsident blockiert, ist er definitiv fehl im Amt. Er kann ja damit gar nicht seine Rolle für alle(!) Menschen ausführen. Charakterlich und geistig ebenfalls unterste Schublade!"

entgegnet er: 

"Er könnte sich natürlich aber darauf berufen, dass er als MP von Thüringen nichts mit frechen Bayern am Hut haben muss."

Beispiel 2: Nutzer Thomas1963 schreibt seine Meinung zum Post des Ministerpräsidenten: 

"Menschlich haben Sie sich damit disqualifiziert."

Auch er wird sofort blockiert und reagiert auf die Sperre: 

"Ups, da hat mich der Bodo doch glatt blockiert."

Beispiel 3: Nutzer Tschuckluck schreibt Ramelow ins Stammbuch: 

"Dass Sie als Ministerpräsident Gewalt nicht verurteilen und darin scheinbar eine Lösung sehen, ist schlicht unbegreiflich. Die Betroffenen werden es dem Gegenüber gleichtun. Ein Ministerpräsident der Gewalt nicht verurteilt, ist eine ernsthafte Gefahr für unsere Demokratie!"

Dafür blockieren ihn Ramelow oder dessen Team, der Nutzer reagiert auf die Sperre: 

"Die Kritik war für den Ministerpräsidenten dann zu viel. Eindeutig ist dieser dem Amt nicht würdig. Erschreckend und beschämend!"

Beispiel 4: Nutzer Ruben Equit gibt dem "Linken" höflich einen sachlichen Rat: 

"Ein bescheidener Ratschlag von mir: Sehen Sie Ihre politischen Gegner stets als Menschen."

Reaktion von Ramelow? Drei Mal darf man raten. 

Beispiel 5: Nutzer Slavoid sieht einen größeren Kontext: 

"So wie mittlerweile mit Oppositionellen und Dissidenten in diesem Land umgegangen wird, sollten hiesige Politiker nicht das Recht haben, sich über Russland zu beschweren."

Dafür gesperrt, stellt er zu Recht fest: 

"Peinlich."

Beispiel 6: SunShiner, eigenem Bekunden nach kein AfD-Wähler und "weder links noch rechts", schreibt: 

"Jetzt mal ernsthaft und auch wenn man die Politik #afd nicht mögen muss, nicht links und nicht rechts steht, aber DAS geht viel zu weit so eine Polemik und Böshaftigkeit gehört sich nicht."

An seiner Reaktion auf die unausweichliche Sperre merkt man, dass dieser Nutzer nicht damit gerechnet hat, für eine sachliche und beleidigungsfreie Ansprache bestraft zu werden: 

"Ich bin fassungslos. Da ist man weder rechts noch links irgendwo und postet etwas ruhiges und nicht provokantes und man blockiert einen @dieLinke @die_linke_th @Linke_Thl Soll das eine normale Kommunikation miteinander sein?"

Um SunShiner gleich zu antworten: Nein, es ist keine normale Kommunikation. Weder "miteinander", noch von oben nach unten, wie sie sonst in der Politik üblich ist. Beleidigend oder provokant war übrigens keiner der blockierten kritischen Posts. Keiner von denen, die ich gesehen habe, jedenfalls.

Diese Sperr- und Blockier-Orgie zieht sich weiter durch den Thread. Es gibt im Grunde keinen Kommentar unter Ramelows infantiler Kreation, für den der Kommentierende nicht blockiert wurde. 

Selbst für einen Kommentar, wie er harmloser nicht mehr geht, blockiert Ramelows SM-Team: 

"Das kann nicht Ihr Ernst sein."

Was ist nun von alldem zu halten? 

Nicht nur die Demokratie, jede Gesellschaftsform lebt davon, dass in ihr über Partei- und Meinungsgrenzen hinweg gesprochen und debattiert wird. Bringt die Gesellschaft keine Gesprächsbereitschaft mehr auf, ist sie bereits auf dem sicheren Weg in den Bürgerkrieg. Deutschland ist da übrigens besonders weit, hier sind sachliche Diskussionen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Meinungen seit beinahe zwanzig Jahren nicht mehr üblich. Bodo Ramelow liegt da ganz im Zeitgeist, hat sich nach demokratischen Maßstäben aber als Ministerpräsident aller Thüringer längst disqualifiziert. 

Sperr-Orgien, wie sie bei Ramelow immer schon üblich sind (ich weiß das, ich bin bei ihm schon seit Zeiten, lang ist's her, gesperrt, in denen wir Mitglieder einer Partei waren), sind aus der Sicht eines Politikers aber auch schlichtweg dumm. Ein Politiker, der sich selbst und freiwillig in seiner Twitter-Blase einmauert, verliert über kurz oder lang jeden Bezug zur Realität und – für Politiker nicht minder wichtig – zum Wähler.

Und da geht es nicht nur um den Input und das Feedback, das über Kommentare in sozialen Netzwerken zu erlangen ist. Ein Politiker wird gewählt, wenn er seine Wähler überzeugt. Blockiert er derart grobmaschig, trifft er unweigerlich auch potenzielle Wähler. Diese können dann bei ihm nicht nur nicht mehr kommentieren, sie bekommen auch seine Werbetexte und Erfolgsmeldungen nicht mehr mit. Denkt Ramelow, dass man ihn und seine Partei nur aufgrund seiner im Wahlkampf überall in Stadt und Dorf geklebten Plakate wählt?

Millionen für den Wahlkampf ausgeben, aber sich selbst die Möglichkeit, jeden Tag kostenlos mit dem potenziellen Wähler in sozialen Netzwerken zu kommunizieren, abschneiden? Das ist wie Wahlplakate nur in der Parteizentrale aufzuhängen – was übrigens für den Rest der Welt eine Wohltat wäre.  

Zudem ist eine Sperre auch immer eine Beleidigung des Persönlichkeitskerns. Wer von den auf diese Weise Ausgesperrten soll Ramelow denn noch jemals eine Wahlstimme geben? 

Und aus antifaschistischer Sicht, aus mir unbegreiflichen Gründen hält sich Ramelow für einen Antifaschisten, ist es umso wichtiger, mit den Menschen zu reden, die noch bereit sind zu reden. Ich habe Vertrauen in meine Überzeugungen und auch in meine Argumente, also warum sollte ich einen Schwankenden weg- und direkt in die Hände von Rattenfängern stoßen, wenn ich die Chance habe, ihn davon abzubringen? Anstecken kann mich auch ein Nazi nicht, Faschismus ist keine auf dem Luftweg übertragene Viruserkrankung. Mich von der Sache der Nazis zu überzeugen, kann ein Goebbels nicht, geschweige denn ein schwankender AfD-Wähler, der in den allerwenigsten Fällen ein überzeugter Rechtsradikaler ist.

Wovor also die Furcht? Sind die lautesten und blockierlustigsten "Antifaschisten" doch nicht so fest in ihren Überzeugungen und wollen sich davor schützen, selbst "verführt" zu werden? Ist es das, Herr Ramelow?

Ramelow ist ein Westdeutscher und war nie Mitglied der SED. Er ist einer der glühendsten Antikommunisten, die ich je kennenlernen dürfte, und wie unsere Thüringer zulassen konnten, dass so jemand in ihrer Landespartei Karriere macht, bleibt mir für immer ein Rätsel. Ich will die Thüringer keineswegs schlechtmachen, selbst die Thüringer Linken nicht. 

Wie gesagt, er war nie SED-Bonze. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen hat Ramelow mit seiner Arroganz und seiner Abgehobenheit selbst das überspitzte karikaturhafte Abbild eines SED-Funktionärs übertroffen. Als die SED nach dem sogenannten "Volksaufstand" von 1953 einmal ganz unmarxistisch mit dem Volk gehadert hat, schrieb Bertolt Brecht eine seiner berühmten Buckower Elegien mit dem Titel "Die Lösung": 

"Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, daß das Volk
Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?"

Der "Wessi" Ramelow, landläufig auch König Bodo der Erste genannt, hat dies offensichtlich als Handlungsanweisung missverstanden. 

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