Von Caitlin Johnstone
Der US-amerikanische Schriftsteller und Journalist Matt Taibbi hat den Artikel, den die Onlinepublikation Politico veröffentlicht hat, mit dem Titel "Der Kampf gegen die UdSSR hat einen nicht unbedingt zu einem Nazi gemacht" als "den schlimmsten Kommentar der Geschichte" beschrieben.
In diesem sprachlos machenden Kommentar auf Politico, wird der Skandal relativiert, der sich im kanadischen Parlament ereignet hat, bei dem man einen regelrechten Veteranen der Waffen-SS mit stehenden Ovationen und Applaus begrüßte. Und jetzt versucht man diesen Vorfall als "kompliziert" darzustellen und als etwas, das den "russischen Propagandisten in die Hände spielt".
Seit einiger Zeit bezichtigen Liberale ihre politischen Gegner als Nazis und setzen den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Adolf Hitler gleich. In der heutigen Zeitrechnung sind wir so weit gekommen, dass dieselben Liberalen einen Nazi verteidigen und uns glauben machen wollen, dass man niemanden dafür hassen könne, nur weil er Adolf Hitler die Treue geschworen hat. Früher dachte ich, Nazis seien schlecht. Aber dann erklärten mir die Mainstream-Medien, dass viele Nazis gute Gründe gehabt hätten, Nazis zu sein.
Seit Generationen hat das US-Imperium eine kulturelle Obsession mit dem Zweiten Weltkrieg vorangetrieben, um alle seine eigenen Kriege als "Wir guten Jungs gegen diesen Hitler-Typen" darzustellen. Und nach diesen wenigen Minuten im kanadischen Parlament, in denen diese Obsession unbequem wurde, heißt es plötzlich: "Eigentlich waren die Nazis nicht alle schlecht, wenn man noch mal darüber nachdenkt."
Fassen wir also noch einmal zusammen.
Die Unterstützer des ehemaligen Anführers der britischen Labour Partei, Jeremy Corbyn: Nazis. Die Aktivisten, die für die Rechte der Palästinenser einstehen: Nazis. Menschen, die sich erlauben, Israel zu kritisieren: Nazis. Menschen, die nicht für Hillary Clinton, sondern für Donald Trump gewählt haben: Nazis. Ukrainische Soldaten mit Nazi-Emblemen und offen zur Schau gestellter Nazi-Ideologie: KEINE Nazis. Ein echter Veteran der Waffen-SS im kanadischen Parlament: KEIN Nazi.
Der Krieg in der Ukraine ist zu einer riesigen Werbemaßnahme für Massenvernichtungswaffen geworden. Und der Preis dieser Unternehmenswerbung wird nicht in Geld bemessen, sondern in menschlichem Blutzoll. Der Krieg in der Ukraine ist zu einer Demonstration für todbringende Waffen geworden, wo Anbieter, Käufer und Investoren sich am Rande des Geschehens treffen, um Profite zu machen – Profite auf Kosten menschlichen Leids. Das ganze Land wurde in ein riesiges Aushängeschild für den militärisch-industriellen Komplex verwandelt. Der Krieg in der Ukraine ist der WM-Final der Rüstungsindustrie, nur dass die Werbung dort nicht Millionen von Dollar kostet, sondern endlose Ströme von menschlichem Blut.
Ich freue mich sehr darauf, dass ein künftiger republikanischer Präsident den US-Stellvertreterkrieg in der Ukraine endlich beenden und als der Held gefeiert wird, der diesen Krieg zu seinem Ende geführt hat. Allerdings wird er dann umgehend alle frei gewordenen militärischen Ressourcen gegen China richten.
Oh mein Gott, China bedroht die von den USA geführte liberale Weltordnung? Jene, die Vietnam, den Irak, Libyen, Syrien, den Jemen und die Ukraine zerstört hat und weiterhin die nuklearen Risiken vorantreibt? Die Weltordnung, die daran arbeitet, jede Regierung zu stürzen, die den Anweisungen aus Washington nicht gehorcht und in der Folge mit eiserner Faust zerschmettert wird
Im alten Kalten Krieg wurde in den Medien ständig über die Gefahr eines Atomkriegs gesprochen, auch wenn das Risiko dafür nicht sehr hoch war. Im neuen Kalten Krieg sprechen die Medien kaum je über die Gefahren eines Atomkriegs, selbst nachdem die Gefahr dafür sprunghaft angestiegen ist.
Wir reden nicht genug und denken nicht genug darüber nach, dass wir im alten Kalten Krieg aufgrund unvorhersehbarer und unvermeidbarer Ereignisse mehrfach nur Zentimeter von der nuklearen Vernichtung entfernt waren. Und dennoch stürzen wir uns kopfüber in einen neuen Kalten Krieg, der zwischen zwei Atommächten ausgefochten wird.
Die Liste der nuklearen Krisenmomente zeigt, dass wir den alten Kalten Krieg lediglich durch pures Glück überlebt haben. Es gibt keinen evidenzbasierten Grund zu der Annahme, dass wir noch einmal dasselbe Glück haben werden. Aber hier stehen wir nun, drehen die Patronentrommel am Revolver des Russischen Roulettes und halten uns die Waffe noch einmal an die Schläfe. Der alte Kalte Krieg hat uns unmissverständlich gezeigt, dass nukleare Risiken mit zu vielen unbekannten Faktoren daherkommen, als dass wir genau vorhersagen und kontrollieren könnten, was genau passieren wird. Und jetzt bewegen wir uns in Richtung einer hochtechnologischen nuklearen Pattsituation an mehreren Fronten und mit weitaus mehr unbekannten Faktoren als je zuvor.
Es ist einfach faszinierend, wie sich im Laufe der Jahrzehnte alles nach rechts verschiebt. Der US-amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King wurde in der Geschichtsschreibung als harmloser Blödmann revidiert. George W. Bush ist in der Geschichtsschreibung nur noch ein harmloser alter Mann, der gerne Aquarelle malt. Und Nazis waren einfach mutige Helden, die ihr Heimatland verteidigten.
Ich bezweifle, dass es mir jemals etwas ausmachen wird, dass gegen einen US-Präsidenten wegen Korruption, Fehlverhalten oder geheimer Absprachen mit einer fremden Nation ermittelt wird. Alle US-Präsidenten sind korrupte Lügner, und das wird immer das geringste ihrer Verbrechen sein. Reden wir wieder darüber, wenn diese Leute wegen Kriegsverbrechen und Massenmord im Gefängnis sitzen.
Es kann uns egal sein, wenn es um Scheiße geht, mit denen die politischen Parteien der USA zu punkten versuchen. Sei es mit Trump, der Geschäftsunterlagen gefälscht haben soll, oder Biden, der sich mit seinem Sohn an korrupten Aktivitäten beteiligt hat. Sie können all das interessant und unterhaltsam finden, wenn Sie das wollen – aber erwarten Sie das nicht von mir. Es sieht so aus, als würden beide politischen Parteien in den USA auf absehbare Zeit versuchen, die Kandidaten der jeweils anderen Partei juristisch niederzuringen. Genau so sieht es in der US-amerikanischen Politik derzeit aus. Unterdessen marschiert das US-Imperium davon völlig ungehindert durch die Welt.
Der Versuch, Kriminalität zu beseitigen, ohne die zugrunde liegenden Ursachen der Kriminalität anzugehen, ist so, als würde man eine Infektion lediglich mit Schmerzmitteln behandeln wollen. Die Faktoren, die Kriminalität auslösen, sind kein Geheimnis: Trauma, Armut, Ungleichheit und Verzweiflung. Dass man Leute deswegen ins Gefängnis wirft, ist noch lange keine Lösung.
Aus dem in Englischen.
Caitlin Johnstone ist eine unabhängige Journalistin aus Melbourne, Australien. Ihre Webseite findet sich hier und man kann ihr auf X unter @caitoz folgen.
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