Von Gert Ewen Ungar
Das Treffen der EU-Außenminister in Kiew sei historisch gewesen, melden Politik und Medien im Gleichklang. Europa stehe geschlossen zur Ukraine, heißt es in einem Bericht der Tagesschau, der, wie das bei der Tagesschau inzwischen üblich ist, die Leser umfänglich desinformiert. Russland habe im Osten der Ukraine einen Krieg angezettelt, behauptet das deutsche Propaganda-Flaggschiff dreist und entgegen den Fakten.
"Trommelwirbel für die Männer und Frauen, die seit 2014 im Krieg gefallen sind, den Russland zunächst im Osten der Ukraine angezettelt hat: Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell steht gemeinsam mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba vor der langen Namenswand im Zentrum von Kiew."
Von all den alternativen Fakten abgesehen, die deutsche Medien auch im Zusammenhang mit dem EU-Außenministertreffen in Kiew verbreiten, wird das Treffen ganz hoch gehängt. Ein Signal der Einigkeit, ein Symbol der Unterstützung, historisch. Der Mainstream überschlägt sich. Das legt nahe, dass es an Substanz fehlte. Ein näherer Blick bestätigt den Verdacht.
"Historisch" sei das Treffen gleich in mehrerer Hinsicht. Es sei das erste Treffen der EU-Außenminister außerhalb der EU und das erste, das in einem Land stattfindet, in dem laut deutscher Außenministerin von Russland ein "grausamer, brutaler Vernichtungskrieg" geführt wird.
Spätestens hier wird die gesamte Geschichte auch absurd, denn das Treffen der Außenminister steht in krassem Gegensatz zu dem, was westliche Politik und Medien über diesen Krieg behaupten. Dass sich die Außenminister der EU gemeinsam mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und Vertretern der ukrainischen Regierung ganz gefahrlos in der ukrainischen Hauptstadt treffen können, macht deutlich: Die Einordnung des Krieges, wie sie die westliche Propaganda vornimmt, hat mit der Realität nichts zu tun. Es ist kein imperialistischer Vernichtungskrieg, die Ukraine ist kein Durchmarschgebiet für die russische Armee mit Ziel EU. Die EU ist ganz offensichtlich nicht bedroht.
Mit dem Treffen der EU-Außenminister in Kiew wurde Russland die Gelegenheit für einen Miniatur-Vernichtungsschlag gegen die Ukraine und die EU gleichzeitig auf dem Tablett serviert – passiert ist nichts. Das führt die Behauptungen westlicher Politiker und Medien über den Krieg ad absurdum und entlarvt die Berichterstattung über den Krieg als Propaganda.
Auch wenn die politischen und wirtschaftlichen Interessen der EU durch die aktuellen Entwicklungen in Afrika massiv bedroht sind, treffen sich die EU-Außenminister nicht in Mali, Burkina Faso und in Niger zu Gesprächen mit denjenigen, die sie für die amtierenden Machthaber halten. Es ist schlicht zu gefährlich.
In der Ukraine existiert diese Gefahr offensichtlich nicht, denn Russland tut all das nicht, was die EU und die Bundesregierung behaupten. Sowohl die EU als auch die deutsche Außenministerin wissen, dass sie ihre Wähler in der EU und Deutschland mit ihren Behauptungen über die Natur des Krieges täuschen. Sie sind einfach mal so nach Kiew gereist und konnten sich sicher sein, sich damit keiner Gefahr auszusetzen.
Ansonsten ist auf dem "historischen Treffen" nichts von wirklich historischer Bedeutung passiert. An dem Treffen war alles reine Show, reine PR. An konkreten Ergebnissen gibt es nichts zu vermelden. Die EU sicherte ihre weitere Unterstützung zu, sieht in der Ukraine einen künftigen Mitgliedsstaat. Bis 2030 soll das Land Vollmitglied werden.
Die Bekenntnisse der EU sind nicht wirklich neu. Um sie einzuhalten und die Ukraine in die EU aufzunehmen, muss so ziemlich alles an Regularien ausgehebelt werden, auf deren strikte Einhaltung die EU bisher pochte. Die Ukraine ist faktisch pleite und hoch verschuldet. Wenn die EU von einer Aufnahme der Ukraine schwurbelt, halten sich die Maastricht-Kriterien vor Lachen den Bauch.
Die anderen Beitrittskandidaten, die sich seit langer Zeit für einen Beitritt hübsch machen, werden sich angesichts der offenkundigen Flexibilität der Aufnahmekriterien verwundert die Augen reiben. Mit der Bevorzugung der Ukraine und dem offensichtlichen Willen zur Absenkung der Standards hat die EU vor allem die Aufnahmekandidaten des Balkans vor den Kopf gestoßen.
In seinem Pressestatement zu dem Treffen, das Borrell vor seiner Abreise aus Kiew vor Vertretern der Presse hielt, betonte er die Wichtigkeit von Selenskijs zehn Punkte umfassendem Friedensplan. Es sei der einzige Friedensplan, der weltweite diskutiert werde, behauptete Borrell. Nur Selenskijs Plan würde die Aufmerksamkeit der Welt auf sich ziehen. Auch das ist eine glatte Lüge.
Bei den Treffen in Dänemark und in Saudi-Arabien auf der Suche nach eine Friedenslösung konnten sich die teilnehmenden Staaten nicht auf eine gemeinsame Erklärung einigen, in der Selenskijs Friedensplan erwähnt wurde. Die Länder des Globalen Südens lehnen den Plan aus guten Gründen ab. Selenskijs Friedensplan ist kein Plan für Frieden, sondern ein Plan für den Weg in den Dritten Weltkrieg.
Es gibt darüber hinaus auch keinerlei Grund, warum Russland sich auf den Plan einlassen sollte. Die Kräfteverhältnisse sind andere, für einen kompletten Rückzug aus dem Donbass und von der Krim, wie in der 10-Punkte-Plan als Vorbedingung für die Aufnahme von Friedensverhandlungen vorsieht, gibt es keinen Anlass. Der Westen ist schwach, ihm geht das Geld und die Munition aus. Die Ukraine ist in jeder Hinsicht nahe am Ende – wirtschaftlich, gesellschaftlich und militärisch. Die Ukraine wird nur noch von außen künstlich am Leben gehalten. Sie kann aus eigenen Mitteln noch nicht einmal mehr den Staatsapparat aufrechterhalten.
Mit den Vorgängen in den USA um den Haushalt wackelt die weitere Finanzierung des Krieges. Dass die EU-Kommission inzwischen überlegt, Gelder, die eigentlich Ungarn zustehen, der Ukraine zukommen zu lassen, wird die Solidarität der Kritiker des Kriegskurses mit Brüssel und Kiew nicht erhöhen. Ansonsten überlegt auch sie die Mittel deutlich zu reduzieren. Von den 1,5 Milliarden Finanzhilfe pro Monat ist man inzwischen bei 5 Milliarden pro Jahr angelangt.
Über das Pressestatement der deutschen Außenministerin anlässlich des Treffens in Kiew, in dem sie von einer EU faselt, die sich von Lissabon bis Lugansk erstreckt, bereitet man lieber den Mantel des Schweigens. Die Deutschen sollten es wertschätzen, dass man Baerbock in Moskau nicht für voll nimmt. In Russland werden Baerbocks Äußerungen als auflockernde und erheiternde Einspieler in Talkshows und Politik-Sendungen gebracht. Dass man die deutsche Außenministerin und ihre Statements ernst nehmen sollte, glaubt in Russland nach all den verbalen Fauxpas und diplomatischen Bruchlandungen inzwischen niemand mehr. Das ist gut so, denn würde man Baerbock in Moskau ernst nehmen, hätten die Äußerungen Baerbocks auch ernste Konsequenzen für Deutschland. Dass man in Russland in Baerbock eine Art Polit-Clown sieht, ist für die Deutschen daher eine gute Nachricht.
Das Treffen der EU-Außenminister war nicht mehr als ein PR-Gag, der von der prekären Situation und den Tatsachen der auslaufenden Unterstützung des Westens ablenken soll. Die USA ziehen sich aus der Unterstützung der Ukraine zurück. Der EU fehlen die Mittel, wichtige Verbündete wie Polen überwerfen sich mit Kiew. Der Widerstand gegen eine immer weitergehende Verlängerung des Krieges in der EU wächst. Und die Ukraine ist ohnehin faktisch bankrott – sie hat in der politischen Konstellation ohnehin am wenigsten zu melden. Der Krieg geht in seine letzte Runde und es wird immer deutlicher, dass der Westen den Stellvertreterkrieg verliert.
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