Von Natalija Ossipowa
Zwei Großväter haben gekämpft. Jeder für seine Sache. Einer für den Triumph der Gerechtigkeit, des Friedens, der Freiheit, für eine vom Nazismus befreite Erde und das Ende aller imperialistischen Kriege. Der zweite kämpfte für einen Triumph Hitlers, dafür, dass keine Juden, Russen und Bolschewiki mehr existieren, dafür, dass das Dritte Reich herrscht. Den ukrainischen Nazis schien es, dass das Reich ihnen im Rahmen seines großen Projekts ein kleines zuteilt – eine Ukraine ohne Russen und sonstige Ethnien.
Freilich hatten Hitler und seine "Topmanager" nie vor, etwas Größeres als das Reichskommissariat Ukraine in diesen Gebieten zu schaffen. Sie zogen es aber vor, ihre Pläne nicht öffentlich zu machen.
Doch kehren wir zu den Großvätern und ihren Enkeln zurück.
Zwei Großväter – Semjon Iwanowitsch Selenskij und Jaroslaw Hunka (Gunko) – stießen im Raum der historischen Erinnerung aufeinander. Der eine ist der lebendige und gesunde 98-jährige Nazi, der in der SS-Division "Galizien" diente. Hunka ist der Großvater seiner nicht besonders klugen Enkelin Theresa, die ein Foto aus dem Besucherraum des kanadischen Ministerpräsidenten mit der Unterschrift "Dedo (ukr. Opa) wartet im Empfangssaal auf Trudeau und Selenskij" auf Facebook veröffentlichte. Kaum hatte Kanadas Regierungschef Trudeau die Schuld dem Parlamentssprecher Rota zugeschoben, fanden die Journalisten das Foto, das die politischen Lügner entlarvt.
Selenskij – ein Jude, ein Held und ein Antifaschist – ist der Großvater des gegenwärtigen Präsidenten der Ukraine, Wladimir Selenskij. Auch er hatte kein Glück mit seinem Enkel – der hatte seinen Großvater öffentlich verraten, indem er zusammen mit anderen Neonazis (nennen wir die dort Anwesenden beim Namen) dem ukrainischen SS-Mann zujubelte. Jaroslaw Hunka wurde als "ukrainisch-kanadischer Veteran des Zweiten Weltkriegs, der für die Unabhängigkeit der Ukraine gegen die Russen kämpfte und auch im Alter von 98 Jahren die Truppen unterstützt, ein ukrainischer und kanadischer Held", vorgestellt.
Also hatte Großvater Hunka im Zweiten Weltkrieg gegen den Großvater Selenskij – den unseren, einen russischen Helden (natürlich gehört er zu uns) – gekämpft.
"Galizien", die sogenannte Erste Ukrainische Division, erlangte traurige Bekanntheit durch ihre brutalen Morde an Juden, Polen, Russen, Weißrussen, Slowaken. In den Nürnberger Prozessen wurden die SS-Verbände, zu denen "Galizien" gehörte, als verbrecherische Organisation eingestuft. Im Jahr 1945 ergab sich "Galizien" an die Briten auf dem Gebiet Österreichs. Die Nazi-Verbrecher wurden trotz der Beschlüsse von Nürnberg nicht an die UdSSR ausgeliefert. Im Gegenteil, der Westen beschloss, sie im Kampf gegen unser Land einzusetzen. Im Jahr 1947 wurden 8.000 ukrainische Nazis nach Großbritannien überführt, wo sie die Staatsbürgerschaft erhielten und sich im ganzen Land niederließen. Sie arbeiteten für den MI6, aus ihnen wurden Saboteure für Einsätze in der UdSSR angeworben, sie dienten in den britischen Truppen. Als Nazijäger Mitte der 1980er-Jahre begannen, sich an die Kriegsverbrecher aus "Galizien" heranzuarbeiten, erließ Kanada eilig ein Gesetz, nach dem Kriegsverbrecher nicht ausgeliefert werden konnten, weswegen viele Nazis dorthin zogen. Doch noch zu Beginn der 2000er-Jahre verblieben noch etwa 1.500 Kämpfer von "Galizien" auf dem Gebiet Großbritanniens.
Welche Heldentaten hat also "der Held der Ukraine und Kanadas" vorzuweisen, für welche Dienste dankte der Parlamentssprecher Rota dem greisen Nazi? Beispielsweise ermordeten am 28. Februar 1944 die Kämpfer der SS-Division Galizien 850 Bewohner des Dorfs Huta Pieniacka in Polen, indem sie sie in ihren Häusern bei lebendigem Leibe verbrannten. In der Slowakei schlug "Galizien" im Jahr 1944 den nationalen Aufstand nieder und ermordete dabei auch Zivilisten. Bekannt ist die Strafaktion im Dorf Nižná Boca, wo die Nazis mehrere Zivilisten erschossen – darunter einen 15-jährigen Jugendlichen, in dessen Tasche eine sowjetische Münze gefunden wurde. All diese Beispiele stammen aus britischen Quellen. Dennoch wurden die Ermittlungen geheim gehalten, und das Thema vor der Öffentlichkeit möglichst verborgen. Denn Nazis sind im Kampf gegen die Russen immer nützlich.
Einen Gegensatz dazu bildet die Beschreibung der Militärkarriere von Semjon Iwanowitsch Selenskij. Hier ist seine Seite auf dem Portal "Gedächtnis des Volkes". Unseres Volkes.
Selenskij begann seinen Kriegsdienst als Kommandeur einer Mörserabteilung. Später kommandierte er eine Schützenkompanie des 174. Regiments der 57. Garde-Schützendivision. Er wurde mit zwei Orden des Roten Sterns ausgezeichnet. In einem der Auszeichnungsdokumente ist in der Spalte "Kurze konkrete Beschreibung der persönlichen militärischen Heldentat" zu lesen: "Genosse Selenskij Semjon I. ist ein guter Organisator und Leiter seiner Kompanie. Als das Bataillon kämpfend den Fluss Westlicher Bug erreichte, fand er persönlich sofort eine Furt und überquerte unter heftigem gegnerischen Feuer mit der gesamten Kompanie den Fluss, ohne jemanden zu verlieren. Und begann, die Deutschen hinter den Bug zurückzuschlagen." Beim Lesen der Auszeichnungsdokumente von Semjon Iwanowitsch Selenskij werden sofort der Stil, das Format und die Handschrift erkennbar. Eine Beschreibung von Heldentaten wie bei unseren Großvätern und Großmüttern. Doch wir hatten und haben keine Großväter wie Hunka, einen nach Kanada geflohenen SS-Mann. Der Hauptmechanismus der heutigen Konfrontation zwischen Faschisten und Antifaschisten ist eben diese Familiengeschichte und Familienerinnerung. Gegen wen kämpften deine Großväter, auf wessen Seite standen sie?
Es ist eine schmerzhafte Frage. Eine Antwort darauf werden wir wohl auch nach dem Ende des Kriegs nicht finden: Wie kam es dazu, dass sich die Enkel von Helden auf die Seite von Nazis, Kriegsverbrechern und Mördern ihres eigenen Volkes stellen? Selenskij ist nicht das erste und bei Weitem nicht das einzige Beispiel. Es ist eine bemerkenswerte Erscheinung – Menschen verraten öffentlich die Sache ihrer Vorfahren, vergessen die Gräber von Verwandten, die beim Pogrom von Lwow oder dem Massaker von Wolhynien starben, und schwören der neuen europäischen Gemeinschaft, die durch Russophobie und Nazismus zusammengeschweißt ist, die Treue. Wie kommt es dazu? Denn selbst der Leiter der Freunde des Simon-Wiesenthal-Zentrums, Dan Panneton, empörte sich zwar über die Einladung eines Nazis ins kanadische Parlament, betonte aber dennoch, dass die Solidarität mit der Ukraine in ihrem Kampf gegen Russland unglaublich wichtig sei. Doch die Mehrheit der westlichen Vertreter machen gar keine einschränkenden Anmerkungen zur Unzulässigkeit des Nazismus. Es gibt schließlich wichtigere "Werte" als den Antifaschismus, als den gemeinsamen Kampf gegen Nazismus und Antisemitismus, nämlich den Kampf gegen Russland, Russophobie, die Schaffung einer antirussischen Internationale, die einen echten Nazi aus Hitlerzeiten mit dem westlichen Establishment vereinigen kann. Was macht da schon Familienerinnerung oder Familienehre aus? Dabei kamen Selenskijs Verwandte im Holocaust um.
Dennoch gibt es auch etwas Positives an diesem schändlichen Beifall für einen Nazi, der so viele Menschen in Russland und auf der ganzen Welt entsetzt.
Einige zweifeln immer noch: Hat denn Russland recht, war es denn nötig, die spezielle Militäroperation zu beginnen, stehen wir denn auf der richtigen Seite der Geschichte, haben wir nicht das Gute und das Böse verwechselt? Zumal die Propaganda der Gegenseite einen mit Argumenten überschüttet, und dort, wo es keine gibt, sie eben erfindet, fälscht und blutige Schauspiele veranstaltet, wie etwa in Butscha. Wenn man nun beobachtet, wie das gesamte kanadische Parlament einhellig begeistert einem Nazi zujubelt und die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, während der greise Nazi sich gerade noch vor einem Hitlergruß zurückhält, von einer solchen Bejubelung seiner Verbrechen zu Tränen gerührt – wenn man dies beobachtet, wird jeder normale Mensch erleichtert aufatmen: Nein, wir haben keinen Fehler gemacht. Nein, wir sind immer noch der Erinnerung an unsere heldenhaften Großväter treu, die gegen die gleiche heuchlerische, brutale und gierige Kraft gekämpft haben, die nicht einmal ihre Gestalt wechselte – die gleichen wohlgesitteten Frauen, die als Zuschauerinnen den Nürnberger Prozess genauso begafften wie zuvor die Naziaufmärsche in Nürnberg, die gleichen gutbürgerlichen Herren, die ihre jüdischen Nachbarn an die Nazis auslieferten, die gleichen Ausreden für den eigenen Hass und die eigenen Verbrechen: Es ist immer jemand anderes Schuld, damals – "die jüdischen Bolschewisten", heute die "russischen Aggressoren". Und immer die gleiche Maske der heuchlerischen Unschuld, wenn sie auf frischer Tat ertappt wurden, wenn ihnen die Archivbilder des jungen Jaroslaw Hunko in den Reihen von "Galizien" vor die Nase gehalten werden: Wir wussten ja gar nicht, dass er ein Nazi ist, man hat uns ja nicht gewarnt, das ist alles ein bedauernswerter Zufall.
Und damit lüftet sich das Geheimnis: Wie konnten sie nur? Warum hielten sie den Nazismus in Europa damals nicht auf? Weil der Nazismus damals wie heute unglaublich vorteilhaft, bequem und verlockend ist. Und deswegen hat Großväterchen Hunka-Gunko wohlbehalten und umsorgt bis heute überlebt und seine Verbrechen nicht nur nicht bereut, sondern sie durch Jahrzehnte wie eine Heldentat getragen.
Alter muss man respektieren, lehrte man uns und meinte damit, dass unsere Großväter echte Helden des Kriegs und der Arbeit sind. Doch hier sehen wir ein anderes Alter, das Alter eines Verbrechers und Schurken, dem von der westlichen regierenden Elite hofiert wird. Das ist das Alter, das sie respektieren und ehren.
Und hier verläuft somit wohl die Grenze zwischen den "Eigenen" und den "Fremden".
Ein Großvater trägt keine Verantwortung für seinen Enkel. Doch der Enkel wird sich für sich selbst in vollem Maße verantworten müssen.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti.
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