Von Susan Bonath
Während Corona füllten sich Pharmakonzerne die Taschen, nun brummen das Kriegsgeschäft und die Energie-Abzocke. Lukrative Sonderprofite für Waren von zweifelhaftem gesellschaftlichem Nutzen sprudeln vor allem aus dem Steuertopf in Windeseile auf die Konten mächtiger Kapitaleigner. Nur um die Sozialtöpfe steht es schlecht. Geht es nach der Bundesregierung, soll die Rente bald unter dem Diktat von Aktiengewinnen stehen, die soziale Daseinsvorsorge weiter zusammengestrichen werden.
Und während die Reichen reicher und die Armen mehr werden, gehen sich die Lohnabhängigen mal wieder gegenseitig an die sprichwörtliche Gurgel. Geschürt und befeuert von Medien, Politikern und Wirtschaftsverbänden ist eine altbekannte Debatte neu entflammt: Sind Arme arm, weil sie faul sind? Ja, suggeriert der Mainstream mal mehr, mal weniger offen.
Das ist eine alte Masche. Man erinnere sich an die Hetzkampagnen gegen "Florida-Rolf" und "Mallorca-Karin", mit denen die Bild vor der Einführung von Hartz IV zu einer Menschenjagd gegen Arme trommelte. Die Herrschenden wissen, dass sie mit solchen Kampagnen den strapazierten Nerv überausgebeuteter Niedriglöhner, dauerkonkurrierender Statusakrobaten und frustrierter Bullshit-Jobber zielgenau treffen.
Je bedrängter sich Menschen fühlen, je aussichtsloser sie im Hamsterrad des monopolkapitalistischen Arbeitsmarktes strampeln und je ungewisser sie ihre Zukunft bewerten, desto mehr neigen sie dazu, nach unten zu treten. So lenken die Propagandisten trefflich von den Verursachern dieser Lage ab.
Die Erzählung von fleißigen und faulen Knechten gehört zur simpelsten Propaganda-Masche der Herrschenden aus ihrem Baukasten mit der Aufschrift "teile und herrsche". Sie ist viel älter als Gerhard Schröders "Hängematten-Theorie" und Franz Münteferings fehlerhaftes Bibelzitat, wonach nicht essen solle, wer nicht arbeitet. Es ist Zeit, über Faulheit und Arbeit nachzudenken.
Faulsein – ein Privileg der Reichen
Merkwürdigerweise wird Faulheit stets den Armen, aber nie den Reichen vorgeworfen, also jenen Millionen- und Milliardenerben, die heute hierhin, morgen dorthin jetten, sich mal an diesem, mal an jenem Strand sonnen und unfassbar viel Zeit für Partys, Lovestorys, Eklats und Lifestyle zu haben scheinen. Niemand fragt, wer ihre Villen putzt und wann sie endlich mal selbst arbeiten gehen.
In der früheren Linken gab es einen Demo-Spruch: "Bonzen in die Produktion". Wer heute Reiche auf diese Weise öffentlich der Faulheit bezichtigt, kann auf den Shitstorm warten: Man sei bloß neidisch auf das Erbe, oder wahlweise zu faul, sich selber anzustrengen. Ganz so, als wären alle Milliardäre mit ihrer eigenen Hände Arbeit so reich geworden.
Eine Reinigungskraft etwa, die zum heutigen Mindestlohn von zwölf Euro arbeitet, müsste für ihre erste Million rund 90.000 Stunden schuften. Das wären 11.250 Achtstunden-Tage in rund 540 Monaten oder 45 Jahren. Das Problem: Sie hat noch nichts gegessen und ihre Miete nicht bezahlt. Um diese Summe zu sparen, müsste sie also ihr ganzes Leben lang in zwei Vollzeitjobs arbeiten. Die Früchte ihrer Schufterei könnte sie ganz sicher nicht genießen. Fleiß ist also nicht unbedingt der Grund für exorbitanten Reichtum.
Faulheit als Triebkraft des Fortschritts
Eigentlich ist Faulheit gar nichts Schlechtes. Hätte der Mensch nie faul sein wollen, liefe er vermutlich heute noch als Neandertaler mit Faustkeil, Speer und Fellumhang durch europäische Wälder (der Neandertaler möge mir verzeihen). Nie wäre der Mensch auf die Idee gekommen, sich hinzusetzen und darüber nachzudenken, wie er sich das Leben leichter machen kann.
Der Mensch wollte sich schon immer von Arbeit befreien. Er erfand Werkzeug, Netze und das Rad, später dann Maschinen, Flugzeuge und Computer, um fauler sein zu können. Und Faulheit war auch nötig, um die Dinge zu erfinden. Dazu braucht man nämlich Ruhe zum Nachdenken. Schröders "Hängematte" wäre dafür ein perfekter Ort. Man kann mit ziemlicher Gewissheit behaupten: Faulheit war und ist die stärkste Triebkraft für den technologischen Fortschritt.
Das heutige Ergebnis des menschlichen Faulheitsstrebens ist beachtlich: Fließbänder und Roboter besorgen einen Großteil der Produktion fast autonom. Der faule Mensch lässt Computer für sich rechnen, Maschinen für sich arbeiten, Algorithmen für sich denken.
Wäre die Welt gerecht, müsste wohl jeder nur noch zwei, drei Stunden täglich wirklich arbeiten. Doch wie alle Herrschaftsordnungen ist der Kapitalismus nicht gerecht. Während sich Vermögende die Früchte des Faulheitsstrebens gönnen, treiben sie Arme mit der sprichwörtlichen Peitsche zur Arbeit, besser gesagt: zur Lohnarbeit. Davon können die Malocher nicht genug leisten. Denn wie der Focus jüngst suggerierte: Selbst Frührente und Teilzeitarbeit seien einem mysteriösen Faulheitsvirus geschuldet.
Gute Arbeit, schlechte Arbeit
Denn Lohnarbeit ist eben nicht gleich Arbeit. Sie ist nur jener Teil der Arbeit, die Menschen ohne eigene Produktionsmittel an deren Eigentümer verkaufen müssen, um zu überleben. Und letztere gewinnen dadurch immer, indem sie sich den Mehrwert dieser Fremdarbeit aneignen.
Dabei spielt es keine Rolle, welchen Nutzen die Produkte, die dabei herauskommen, für die Otto-Normal-Gesellschaft haben. Egal, ob Waffen oder Brot, mRNA-Impfstoffe oder Blutdruckmessgeräte, Heroin oder Kinderspielzeug: Was immer lukrativ verkauft werden kann, beschert auch Arbeitsplätze auf der einen, Profit auf der anderen Seite.
Nun gibt es zum einen Arbeit, die sehr schlecht bezahlt wird, weil sie keinen unmittelbaren Profit für irgendwen abwirft. Dazu gehören viele soziale Jobs, also etwa in der Pflege und der Jugendsozialarbeit. Hinzu kommen unzählige sogenannte Bullshitjobs, die kein Mensch wirklich braucht. Man denke an die Werbeindustrie, die Produktion von Plastikplunder, so einige Verwaltungsposten oder an die Faktenchecker.
Und schließlich ist für eine funktionierende Gesellschaft jede Menge Arbeit nötig, die keiner bezahlt: Haushalt, Familie, Kinder, die Pflege Angehöriger, Nachbarschaftshilfe und solche Dinge. Man stelle sich einmal vor, von einem Tag zum anderen fielen alle Mütter aus. Das würde eine unfassbare gesellschaftliche Katastrophe nach sich ziehen. Ob die wohl auch anstünde, fielen plötzlich alle Börsenspekulanten oder vom Steuerzahler alimentierten Minister aus?
Aber der alleinerziehenden Mutter mit drei Kindern, die Bürgergeld bekommt, wird schon mal Faulheit unterstellt. Obwohl sie vermutlich mehr arbeitet als Bundesfinanzminister Christian Lindner und erst recht als jeder Börsenspekulant. Niemand käme wohl auf die Idee, letztere der Faulheit zu bezichtigen, selbst dann, wenn sie den lieben langen Tag in der Hängematte auf ihrem Grundstück lägen.
Märchenonkel der Profiteure
Das Problem liegt auf der Hand: All die überbezahlten Propagandisten, Hetzer und Markt-Mystiker haben die Begriffe Arbeit und Faulheit nach ihrem Gusto einfach umdefiniert. Fleißig sind in ihrer Erzählung nur jene Armen, die ergeben bis zum Umfallen dem Kapitalmarkt dienen und dafür sorgen, dass Profite in die Taschen einzelner sprudeln. Die Reichen aber brauchen nur die Hand aufhalten und kassieren, um als fleißig zu gelten.
Man sollte die Promoter von Geschichten über Fleißige und Faule als das benennen, was sie sind: Märchenonkel im Dienst der Profiteure, die nur eins bezwecken: Die Lohnabhängigen zu spalten und dadurch jeden aussichtsreichen Widerstand gegen die Verhältnisse zu verunmöglichen. Man werfe einen Blick in die USA mit ihren wachsenden Slums, um zu sehen, wohin der Weg ohne Widerstand von unten im angeblich "freiheitlich-demokratischen" Westen auch hier noch führen könnte. Selbst für den Mittelstand ist das die wohl schlechteste Option.
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