Von Tom J. Wellbrock
Das "Tal der Chancen" ist eine Kreation von Saskia Esken (SPD). Sie erklärt den Menschen mit dieser Botschaft, dass der Aufenthalt in einem Tal kein Problem sei, solange man optimistisch in die Zukunft blicke. Mit dieser verwässernden Idee steht Esken nicht allein da, sie bekommt verbale Unterstützung aus allen erdenklichen Richtungen. Und da liegt der Hase im Pfeffer: Verbale Unterstützung macht nicht satt.
Wir lassen uns in unsere Depression nicht hineinreden!
Nein, so wie in der Zwischenüberschrift hat Esken es natürlich nicht gesagt. Sie formulierte es blumiger, ein bisschen wie eine mittelmäßige Motivationstrainerin:
"Es ist wichtig, dass wir die unterschiedlichen Stimmen hören, aber wir dürfen uns nicht in eine Depression hineinreden lassen, die die Investitionsbereitschaft und auch die Innovationsbereitschaft bremst. Der Veränderungsmut in der Wirtschaft hängt genauso wie in der Gesellschaft davon ab, ob wir zuversichtlich in die Zukunft blicken oder schwarzmalen."
Also: Raus aus der Depression, rein in die Zukunftsfreude! Ähnlich hatte es kürzlich auch schon Ricarda Lang (Die Grünen) ausgedrückt. In einem viel beachteten und konsequent inhaltslos geführten Interview sagte Lang:
"Fakt ist: Andere Länder investieren viel mehr als wir. Deutschland hat im letzten Jahr gezeigt, dass es ein starkes Land mit einer starken Wirtschaft ist.
Wir sind leistungsfähig, das sollten wir nicht schlechtreden. Aber damit das so bleibt, sollten wir jetzt eine kluge Standortpolitik machen und investieren."
Lassen wir den Widerspruch der ersten beiden Sätze Langs einmal außen vor, bleibt unterm Strich der mit glänzenden Augen auf die Zukunft gerichtete Blick der Zuversicht übrig. Substanzlos, ideenlos, inkompetent und mit haufenweise Textbausteinen in der Tasche. Und dann kommt der Hinweis auf das "Tal der Chancen":
"Langfristig gesehen wird Strom durch die erneuerbaren Energien billiger. Die bauen wir mit Tempo aus, aber es wird noch ein paar Jahre dauern."
Ein paar Jahre? Das kriegen wir hin, ist doch eine schöne Perspektive, macht Hoffnung und schafft die Disziplin, sich daran zu beteiligen.
Hoffnung aufs Ungefähre
In einer fernen Zeit wird alles besser. Das Problem: Wer will das Gegenteil beweisen? Die Politik der Gegenwart ist ausgelegt auf etwas Ungefähres, Verwässertes, das heute keinem Menschen hilft. Zudem wäscht die Politik ihre Hände in Unschuld, schuld an dem Drama ist (natürlich!) zuallererst Wladimir Putin, der dafür gesorgt hat, dass wir unsere Wirtschaftspolitik umstellen (um nicht zu sagen: abschlachten) müssen, dann das Klima, das wie der Sensenmann erscheint und seine Ankunft ankündigt. Und last, but not least wimmelt es im Land von Demokratiefeinden, die sowieso schuld, weil rechts und antisemitisch sind.
Man könnte dieses Verlegen ewiger Glückseligkeit in eine ungewisse Zukunft als lächerlich und unglaubwürdig bezeichnen, aber das ist es nicht. Kürzlich sprach ich mit einem jungen Mann, der eine Ausbildung macht und sich politisch interessiert zeigt. Er erzählte von einem Podcast mit Maja Göpel, die auf Wikipedia so vorgestellt wird:
"Maja Göpel ist eine deutsche Volkswirtin, Transformationsforscherin, Nachhaltigkeitsexpertin und Gesellschaftswissenschaftlerin mit Schwerpunkt auf transdisziplinärem Denken."
Göpel sagt:
"Aus meiner Sicht haben wir es auch mit einer illiberalen Demokratie zu tun, in der das 'Wir' im 'Ich' zu klein geworden ist. Freiheit geht mit Verantwortung einher, Privilegien mit Verpflichtungen. Das sind grundlegende Prinzipien des Liberalismus und so steht es im Grundgesetz unserer sozialen Marktwirtschaft. Auch eine unsichtbare Hand als Marktmechanismus kann nur funktionieren, wenn die Preise in etwa die Kostenwahrheit abbilden und ein gewisses Maß an Gerechtigkeit in der Verteilung von Informationen, Bildung, Geld, Besitz und Macht nicht unterschritten wird."
Nachhaltig im Sinne einer "Nachhaltigkeitsexpertin" wirkt auch Göpels Gerede von "Wir müssen jetzt ein paar Jahre leiden, dann wird alles gut" auf die Einstellung des jungen Mannes, mit dem ich gesprochen habe. "Vielleicht", sagte er zu mir, "ist es ja wirklich so: Wir müssen da jetzt durch. Und dann geht es uns besser. Ich bin bereit, für eine gute Zukunft auf ein paar Dinge zu verzichten." Diese Hoffnung des jungen Mannes ist geradezu tragisch, sie wird aber täglich und aus allen möglichen Ecken bestätigt.
Ich wünsche ihm von ganzem Herzen, dass er recht hat und ich mich irre. Aber ich bin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überzeugt, dass Göpel und all die anderen den jungen Mann betrügen. Er aber möchte glauben, was ihm gesagt wird, und das ist nachvollziehbar und folgerichtig. Denn täglich wird ihm erzählt, wie schlimm alles ist und dass er ein wichtiges Zahnrad in der Maschine ist, die zur Besserung führt. Das ist jedoch keine positive Verstärkung von Verantwortungsgefühl, sondern die Drohung, dass das Ende naht, wenn er nicht tut, was von ihm verlangt, was ihm aufgetragen wird.
Nicht (mehr) politisch und gesellschaftlich analysiert wird der Teil des Göpel-Zitats, in dem sie von Gerechtigkeit, Bildung und der Verteilung von Informationen spricht. Auch das legt sie rhetorisch in die Zukunft, wenn sie sagt, nur so können eine soziale Marktwirtschaft funktionieren. Sie tut es also nicht, was an der "illiberalen Demokratie" liegt, die wir erst abschaffen müssen. Später einmal. Bis dahin spielt selbstverständlich auch die soziale Frage keine Rolle.
Geschaffen wurde durch eine machtvolle Minderheit die kollektive Schuld einer machtlosen Mehrheit, die durch das Individuum behoben werden soll, während genau dieses Individuum im übergeordneten "Wir" keine Rolle mehr spielt und Abstriche machen sowie Verzicht in Kauf nehmen muss.
Kollektivzwang des Individuums
Abweichende Meinungen und Perspektiven werden auch deshalb inzwischen massiv unterdrückt, weil das Kollektiv, die Bevölkerung, eine Erzählung braucht, nach der sie sich richten kann. Corona war so eine Erzählung, der Ukraine-Krieg ist es, der Klimawandel ohnehin. Man steigt entweder ein in das Boot der glücklichen Wissenden oder muss sich mit einem Platz im kalten Nass begnügen, wo einem statt Rettungsringe ständig Gewichte zugeworfen werden.
Der Neoliberalismus, der die Individualität als Freiheit predigt, gerät an seine Grenzen, er muss sich mit der woken Ideologie arrangieren. Denn so sehr das Individuum noch immer hochgehalten wird (auch von den Woken, die unbedeutende Minderheiten in den gesellschaftlichen Mittelpunkt stellen), so sehr gerät das kollektive erwünschte Verhalten in den Fokus.
Doch Neoliberalismus und Wokeness schließen sich keineswegs aus, daher ist der oberflächliche Widerspruch zwischen Individualität und Kollektivität leicht zu überwinden. Das bedeutungslose Individuum möge sich weiter mit seinen unwichtigen Themen beschäftigen, während der Neoliberalismus uns auf Verzicht und das Glück in einer fernen Zukunft vorbereitet. Für die richtige kollektive Haltung sorgt Wokeness mit moralischem Gehabe und einer intoleranten Erwartungshaltung gegenüber irrelevanten Nischenthemen. Nachdem die Bevölkerung auf diese Themen eingeschworen wurde, folgt der Zeigefinger fürs Kollektiv, das nur so individuell sein darf, wie es den vorgegebenen Narrativen entspricht.
Eingeschlichen: Die neue Erzählung der rosigen Zukunft
Das Verlegen der Problemlösungen auf die Zukunft hat uns längst im Griff. Von allen Seiten tönt es, wir müssten uns auf harte Jahre einstellen, müssten uns einschränken und einen Wohlstandsverlust akzeptieren. Danach werde es besser, hören und lesen wir. Und durch die Macht der Wiederholung ist die Bevölkerung zu einem erheblichen Teil mittlerweile einverstanden mit dieser Aussicht.
Es ist in erster Linie der Klimawandel, der für diese Täuschung verwendet wird. Er wird benutzt, um Szenarien zu erstellen, die auf Schätzungen und Modellrechnungen beruhen, die auch ganz anders aussehen könnten. Dargestellt werden die Mutmaßungen als unverrückbare Wahrheiten, die uns zu Handlungsweisen zwingen, die als gesetzt und indiskutabel bezeichnet werden.
Sämtliche Eigenverantwortung der Politik wird so weggewischt, es wird auf das Später hingearbeitet, ohne das Jetzt als Kern des Problems zu berücksichtigen. Damit einher geht die dreiste Behauptung, dass es sich bei den jetzigen Problemen um Naturkatastrophen handelt, die nur langfristig gelöst werden können. Der oben zitierte junge Mann hat diese als Wahrheit getarnte Lüge akzeptiert und hofft nun auf die Kompetenz der Politik und die Disziplin der Bevölkerung. Er sieht – wie viele andere inzwischen auch – ein imaginäres Licht am Ende eines Tunnels, in dem weitgehend Dunkelheit herrscht.
Und so haben wir es mit vermeintlichen Wahrheiten zu tun, die da wären: Corona war (und ist) tödlich, die Impfung schadet nicht, Putin ist der Aggressor, die Demokratiefeinde sind die gesellschaftliche Gefahr und der Klimawandel als tödliche Erscheinung in Stein gemeißelt.
Hinzu kommt die sich von hinten herangeschlichene Erzählung: In einem fernen Land, in einer fernen Zukunft, wird alles besser sein.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.
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