Niger – Übergang zu neuer Souveränität oder neokoloniale Einmischung nach bekanntem Muster?

Die Drohungen einiger ECOWAS-Staaten, auf den Machtwechsel in Niger mit einer Militärintervention zu reagieren, ist noch nicht vom Tisch. Im Westen sähe man einen solchen Einmarsch sicher gern, doch hinter den Kulissen regt sich Widerstand selbst bei den Nachbarn Nigers, die nach außen hin ein militärisches Eingreifen befürworten.

Von Pierre Lévy

Werden die Nachbarländer militärisch in Niger eingreifen? Diese Drohung wurde am 31. Juli von der ECOWAS (Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten) ausgesprochen, fünf Tage nachdem eine Junta unter der Führung von General Tchiani die Macht in der Hauptstadt Niamey übernommen hatte. Eine Bedrohung, die von Paris unterstützt wird, das zwar nicht zu offensichtlich in Erscheinung treten möchte, aber befürchtet, die französischen Truppen vor Ort – etwa 1.500 Mann sowie schweres und hochentwickeltes Material und Ausrüstung – abziehen zu müssen.

Neben der Einführung von Wirtschaftssanktionen hatte die ECOWAS ein Ultimatum gestellt, das am 6. August ablief. Sie verlangte die Freilassung des gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum und die "Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung". Derzeit ist eine solche bewaffnete Aktion zwar immer noch im Gespräch, wird aber immer unwahrscheinlicher.

Erstens, weil die Unterstützung der Bevölkerung für das Militärregime wächst. Zweitens, weil die äußeren Bedingungen für eine bewaffnete Intervention immer komplizierter werden. Offiziell betonten die Führer der subregionalen Organisation ihre Einmütigkeit. In Wirklichkeit solidarisierten sich zwei wichtige Länder – Mali und Burkina Faso, die aufgrund von Militärputschen (2020, 2021, 2022) von der ECOWAS suspendiert wurden – mit ihren aufständischen nigrischen Kollegen und drohten sogar mit militärischer Unterstützung, falls Niger angegriffen würde. Vor allem aber weckt die Aussicht auf Gewaltanwendung selbst unter den "legalistischen" Ländern die Angst vor einem regionalen Flächenbrand. In Nigeria, der größten militärischen und demografischen Macht der Region und wahrscheinlicher Anführer einer möglichen Intervention, sprachen sich die Senatoren beispielsweise gegen eine solche Perspektive aus.

Darüber hinaus weigerte sich die Afrikanische Union, eine solche Aktion grundsätzlich zu unterstützen. Algerien, der große Nachbar im Norden, hat ebenfalls seine Ablehnung zum Ausdruck gebracht. Und kürzlich hat Washington diskrete Gespräche mit der Junta aufgenommen, wahrscheinlich in der Hoffnung, das Notwendigste – d.h. die strategische US-Präsenz von 1.000 Soldaten – zu retten. Der US-Außenminister meinte sogar, dass es "keine akzeptable militärische Lösung" gebe, was den diskreten, aber heftigen Zorn von Paris hervorrief, das über diesen Bruch der "Einheit" des westlichen Lagers empört war.

Niger ist das vierte Sahelland, das innerhalb von drei Jahren nach einem militärischen Aufstand im Namen der Wiederherstellung nationaler Interessen mit seiner engen Unterwerfung unter das westliche Lager bricht. Noch vor wenigen Wochen wurde das Land als ein umso entscheidenderer Verbündeter angesehen, als die französischen Streitkräfte aufgefordert wurden, Mali und später Burkina Faso zu verlassen. Der gestürzte nigrische Präsident, der sich derzeit in Haft befindet, drohte übrigens damit, so die Washington Post, dass die gesamte Sahelzone in den Einflussbereich Russlands rutschen könnte.

Die großen Demonstrationen der Bevölkerung in Bamako und Ouagadougou zur Unterstützung der Putsche hatten die Unfähigkeit des französischen Militärs angeprangert, der schrecklichen Geißel des dschihadistischen Terrorismus ein Ende zu bereiten – der ursprüngliche offizielle Grund für ihre Präsenz in diesen Ländern. Einige Teile der Bevölkerung, die vom Terror der islamistischen Gruppen besonders betroffen waren, hatten Paris sogar der Komplizenschaft mit diesen Gruppen beschuldigt. Und viele Demonstranten hatten offen an die Hilfe Russlands appelliert.

Zwar sind diese Sicherheitsbedenken auch in Niger vorhanden, doch die massive Unterstützung der Bevölkerung für die Junta erklärt sich vor allem aus der dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Lage des Landes, das trotz der Unmengen an Bodenschätzen zu den ärmsten der Welt gehört.

Zwar war der Machtwechsel zwischen dem früheren Präsidenten Mahamadou Issoufou und seinem Nachfolger Mohamed Bazoum nach den Präsidentschaftswahlen 2021 friedlich verlaufen – ein Argument, das von den französischen (und EU-)Behörden ständig wiederholt wurde –, doch sind Unzufriedenheit und Frustration gewachsen, insbesondere angesichts des Ausmaßes von Korruption und Vetternwirtschaft. Die riesigen Vermögen, die einige der bisherigen Machthaber angehäuft haben, sehen angesichts eines Mindestlohns von nur 45 Euro pro Monat untragbar aus.

Dies erklärt, warum die größte Oppositionspartei und der Gewerkschaftsbund das Militär unterstützt haben. So konnte General Tchiani die Einsetzung des Nationalen Rates zur Rettung des Vaterlandes mit "den Problemen der allgemeinen Korruption und Straflosigkeit, der Misswirtschaft, der Veruntreuung öffentlicher Gelder, des Parteienclanismus [...], der Verletzung der demokratischen Rechte und Freiheiten, der Aushöhlung des staatlichen Rahmens zugunsten privater und ausländischer Interessen, der Schulkrise und dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems" begründen. Die "verfassungsmäßige Ordnung", die von den ECOWAS-Führern und ihren westlichen Sponsoren so gelobt wurde, beinhaltete auch die Inhaftierung oder das Exil von Oppositionsführern – Details, die Emmanuel Macron 2020 nicht davon abhielten, Niger als "Beispiel für Demokratie" zu bezeichnen... Und auch den Chefdiplomaten der EU, Josep Borrell, der am 5. und 6. Juli (also kurz vor dem Putsch) in Niamey mit großem Pomp empfangen wurde, beunruhigte dies nicht.

Denn was wiegen diese Überlegungen, wenn es für den Westen darum geht, eine gewisse strategische Kontrolle über die Sahelzone zu behalten ‒ umso mehr, wenn er mit Angst sieht, wie Russland von Tausenden von Demonstranten um Hilfe gebeten wird? Auch wenn man sich davor hüten sollte, die geäußerten Slogans zu einseitig zu interpretieren, muss man doch feststellen, dass sowohl in Mali als auch in Burkina Faso die Machthaber damit eine Perspektive sehen, um aus der vom Westen auferlegten Unterwerfung auszubrechen.

Die Rede, die der Burkinabe (Einwohner Burkina Fasos) Ibrahim Traoré während seines Besuchs in Sankt Petersburg am 27. Juli hielt, war in dieser Hinsicht beeindruckend, da sie die Imperialisten schonungslos anprangerte. Erstaunliche Rückkehr der Geschichte: Dieser berief sich auf den 1987 ermordeten Führer Thomas Sankara, der bei allen Afrikanern, die Unabhängigkeit und Fortschrittlichkeit liebten, einen historischen Eindruck hinterlassen hatte.

General Traoré wurde von Wladimir Putin mit Wärme empfangen. Der afrikanische Führer wollte sich aber vor allem auf die Unterstützung beziehen, die die Sowjetunion ein halbes Jahrhundert lang den progressiven Kräften des Kontinents gewährt hatte. Eine Ehrung, deren Bedeutung für die Zukunft umso bemerkenswerter war, als der junge Offizier zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der UdSSR erst drei Jahre alt war. Diese hat also viele afrikanische Völker und Länder mehr geprägt, als man denkt, was die westlichen Regierungen wahrscheinlich nicht gerade erfreut.

Eine letzte Frage sollte noch aufgeworfen werden: Im Namen welcher Legitimität erklären sich die benachbarten Machthaber Nigers und ihre europäischen Sponsoren, allen voran Paris, selbst zu Verteidigern der "verfassungsmäßigen Ordnung" Nigers? Keiner. Sie berufen sich aber auf Rechtsprotokolle innerhalb der ECOWAS (die in den letzten Jahren mehrfach zum Einsatz gekommen sind). Ein Beweis dafür, dass eine regionale Organisation, die vorgibt, Länder im Namen ihrer geografischen Nähe politisch zu integrieren, von Natur aus Einmischung und Souveränitätsverlust mit sich bringt.

Ist das bei der Europäischen Union anders? Wenn morgen eine neue Gelbwesten-Bewegung in Frankreich entstehen und sich durchsetzen würde, oder gar vorhätte, Emmanuel Macron das Schicksal seines entfernten Vorgängers Ludwig XVI. erleiden zu lassen, würde der Europäische Rat dann beschließen, europäische Truppen gegen den Aufstand zu entsenden? Sicherlich ist die Annahme eines Volksaufstandes in Frankreich – oder in Deutschland oder anderswo – sehr theoretisch.

Für den Moment.

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