Von Dagmar Henn
Also ein Bundesbeamter, der nach seinem Amtseid verpflichtet ist, Recht und Gesetz zu achten, fordert öffentlich: "Jeder potenzielle Amts- und Mandatsträger sollte vor der Wahl auf seine Haltung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung überprüft werden." Es wird interessant, zu sehen, ob ihm diese Position noch disziplinarische Maßnahmen einträgt.
Warum? Weil diese Forderung verfassungswidrig ist. Der Herr, ein Karrierediplomat namens Felix Klein, der nach jahrelanger Zuständigkeit für Südamerika zuletzt Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung wurde, spricht natürlich nicht aus, was diese Forderung tatsächlich bedeutet. Also muss man es ausbuchstabieren.
Das Wahlrecht, das jedem erwachsenen Staatsbürger zusteht, gibt es in zwei Formen: aktiv und passiv. Der Wortgebrauch täuscht ein wenig, denn das aktive Wahlrecht besteht nur darin, alle paar Jahre ein Kreuz machen zu dürfen, während das passive Wahlrecht bedeutet, für ein Amt oder ein Mandat kandidieren zu dürfen. Was Klein nicht sagt, ist, dass die Konsequenz einer solchen Überprüfung, sollte man sie etablieren, darin bestünde, einem Teil der Kandidaten das passive Wahlrecht abzusprechen. Und zwar auf einer sehr willkürlichen Grundlage. So gibt es zwar viele Politiker, die behaupten würden, die Befürwortung eines anderen Wirtschaftssystems als des kapitalistischen widerspräche dem Grundgesetz, aber es gibt ebenso Verfassungsrechtler, die belegt haben, dass genau dies nicht der Fall ist. Die Auslegung der Grenzen dessen, was gerade als in Übereinstimmung mit der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" gilt und was nicht, ist alles andere als konstant.
Allerdings gibt es klare Vorgaben, wann das Wahlrecht aberkannt werden kann. Gültig ist hier § 45 Strafgesetzbuch, Absatz 1:
"Wer wegen eines Verbrechens zu Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird, verliert für die Dauer von fünf Jahren die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen."
Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht Grundrechte aberkennt; auf jeden Fall aber ist eine richterliche Entscheidung die Voraussetzung, die allen Kriterien eines ordentlichen Verfahrens genügen muss, und die Grundlage ist immer ein massiver und bewiesener Rechtsverstoß. Der Bundesbeamte Klein stellt also eine politische Position, die nach Meinung der Verfassungsschutz- oder einer neu einzurichtenden anderen Behörde nicht die richtige "Haltung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung" darstellt, einer Verurteilung wegen eines Verbrechens gleich, das mit einer Haft von mindestens einem Jahr geahndet wird.
Sicher, der jetzigen Bundesregierung könnte man selbst einen derartigen Eingriff ins passive Wahlrecht noch zutrauen, da sie bisher schon einen äußerst traurigen Rekord im Umgang mit der Meinungsfreiheit hält. Aber noch einmal: Es geht dabei um ein grundlegendes politisches Recht, das nach dem Grundgesetz nicht an eine bestimmte Gesinnung gebunden ist, eine bestimmte Haarfarbe oder ein bestimmtes Einkommen, sondern einzig an die zwei Faktoren Staatsbürgerschaft und Volljährigkeit (übrigens hat die Bundesrepublik schon, weil sie geistig Behinderten das Wahlrecht verweigert, Probleme mit der UN).
Klein steht sicher nicht allein mit seinen Fantasien. Schließlich ist es in den letzten Jahren bereits gelungen, aus der Meinungsfreiheit die Freiheit zu machen, jene Aussagen zu wiederholen, die von den zuständigen offiziellen Stellen für wahr erkannt wurden, obwohl die Meinungsfreiheit nichts mit der Frage zu tun hat, ob die geäußerte Meinung richtig oder falsch ist. Wäre Wahrheit das Kriterium, müsste die Religionsfreiheit im Grunde mit fallen, denn es ist noch niemandem gelungen, einen gültigen Gottesbeweis anzutreten, was dann jegliche Form der Predigt zur Lüge machte, die ja als Meinung mittlerweile nicht mehr erlaubt ist.
Aber solche möglichen Konsequenzen eines derart engen Ansatzes beim Gebrauch der Grundrechte scheinen Klein wenig zu scheren. Er will einen Gesinnungs-TÜV nicht nur für potenzielle Beamte – da gab es doch einmal ein Verfahren gegen die Berufsverbote, das die Bundesrepublik verloren hat – sondern für alle Kandidaten aller öffentlichen Wahlen.
Wie stellt er sich das praktisch vor? Eine Art FDGO-Prüfgericht, das verhört und dann das Wahlrecht bestätigt oder entzieht? So etwas Ähnliches kann man in den Aufnahmen aus dem McCarthy-Ausschuss in den USA genießen. Die Vernehmungen von Brecht und Eisler sind da besonders zu empfehlen.
Es ist erstaunlich. Die ursprüngliche Begründung für die Schaffung solcher Stellen wie jener des Herrn Klein (es lässt sich nicht genau herausfinden, wie sie dotiert ist, aber Regierungsdirektor mit A15 dürfte die untere Grenze sein) war, dass sie helfen würden, die Demokratie vor Gefahren zu bewahren. Und nun erweist sich, dass genau diese Stellen die Gefahr für die Demokratie darstellen. Regierungsamtliche Apologeten einer weiteren Einschränkung demokratischer Rechte.
Und solche Fantasien über eine leichtfertige Aberkennung des passiven Wahlrechts passen zusammen mit Vorhaben wie einer erleichterten Einziehung oder Verweigerung von Pässen und der inzwischen unübersehbaren Neigung der Strafverfolgungsbehörden, jede Äußerung zu ahnden, die das NATO-Narrativ in Frage stellt. Was sich in Summe all dieser Tendenzen ergibt, ist etwas, was Herr Klein eigentlich in dienstlicher Funktion wiedererkennen müsste.
Sicher, noch ist Sommerloch, was auch alle möglichen Hinterbänkler und politischen Nebenfiguren nutzen, um Platz in der Presse zu beanspruchen. Aber die Klein'sche Fantasie passt zu gut zu Erfindungen wie "Delegitimierung des Staates", und schließlich begründet er sie noch mit den Umfrageergebnissen der AfD. Als ließe sich das Legitimationsloch, das die in jeder Hinsicht verhängnisvolle Politik dieser Bundesregierung gegraben hat, dadurch stopfen, dass man schlicht nur noch das eigene Personal zur Wahl antreten lässt.
Aber im Gegensatz zu möglichen Kandidaten für welche Wahlen auch immer ist Klein selbst als Bundesbeamter eigentlich verpflichtet, die von ihm so betonte freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht in Stücke zu schlagen. Derartige Äußerungen zum Wahlrecht wecken massive Zweifel an seiner Verfassungstreue.
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