Von Thomas Röper
Ich habe den Politico-Artikel, in dem es um die Frage ging, was passiert, wenn Selenskij – natürlich von den Russen – ermordet wird, bereits übersetzt. In dem Artikel war eine sehr interessante Passage enthalten, die ich hier noch einmal zitiere. Danach schauen wir uns an, was das im Klartext bedeutet.
"Auch die Geschichte bietet eine gewisse Beruhigung. Kreml-Verschwörer täten gut daran, das datengestützte Papier zu lesen, das die Wissenschaftler Benjamin Jones und Benjamin Olken für das amerikanische National Bureau of Economic Research (NBER) verfasst haben und in dem sie die Auswirkungen der 59 Attentate auf Staatsoberhäupter zwischen 1875 und 2004 auf Institutionen und Krieg untersuchen. "Ermordungen von Autokraten führen zu erheblichen Veränderungen in den Institutionen des Landes, während Ermordungen von Demokraten dies nicht tun", so die Schlussfolgerung.
"Ein Attentat hat noch nie die Geschichte der Welt verändert", erklärte der britische Premierminister Benjamin Disraeli selbstbewusst Wochen, nachdem Präsident Abraham Lincoln erschossen wurde, während er sich im Ford's Theater in Washington, D.C., ein Theaterstück ansah. Die Ermordung hatte in der Tat kaum Auswirkungen auf die Reformen seiner Regierung."
Autokratie und Demokratie?
Die Aussage ist deshalb interessant, weil sie zeigt, wie wenig Einfluss die Staats- oder Regierungschefs in westlichen "Demokratien" auf die Politik ihrer Länder haben. So ändert etwa der Austausch eines Staats- oder Regierungschefs, egal ob durch Ermordung oder auf andere Weise, zum Beispiel durch Wahlen, nichts an der Politik des Staates. Das würde ja bedeuten, dass in "Demokratien" nicht die Regierungschefs die Politik bestimmen, wenn die Politik auch nach ihrem Tod einfach weitergeführt wird.
In "Autokratien" ist das laut Politico anders, was bedeutet, dass ein Regierungschef in den Staaten, die der Westen als "Autokratien" bezeichnet, reale Macht hat, während das in den Staaten, die Politico als "Demokratien" bezeichnet, nicht der Fall ist. Anders kann man das Ergebnis der Studie, aus der Politico zitiert, nicht verstehen.
Da stellt sich mir sofort die Frage, wer denn dann in den "Demokratien" die Politik, die sich auch nach dem Austausch eines Regierungschefs nicht ändert, bestimmt. Das ist eine rhetorische Frage, denn in meinem Buch "Abhängig beschäftigt" habe ich sie ausführlich beantwortet. Aber anschauen wollen wir uns das Thema trotzdem noch mal.
Ich finde es bemerkenswert, wie offen Politico darüber schreibt und dabei – natürlich ungewollt – offenbart, wie die "westlichen Demokratien" in Wahrheit funktionieren.
Die "Kontinuität der Politik"
Für dieses Phänomen, dass sich in den "westlichen Demokratien" selbst nach Wahlen nichts an der Politik eines Landes ändert, gibt es sogar einen Begriff. Er lautet "Kontinuität der Politik".
Das wird in den westlichen Medien als etwas Positives dargestellt, wenn es zum Beispiel darum geht, dass die deutsche Außenpolitik "verlässlich" sei, weil sie sich auch nach Regierungswechseln in Deutschland nicht ändert. Nur bedeutet das im Umkehrschluss nicht, dass Wahlen herzlich wenig ändern, wenn alle deutschen Parteien im Kern für die gleiche Außen- und Wirtschaftspolitik stehen?
Man könnte hierauf einwenden, dass die Menschen in Deutschland diese "Kontinuität der Politik" gut finden und wollen, weshalb daran nichts Schlechtes ist. Das Problem bei dieser Aussage ist nur, dass es in Deutschland keine Partei gibt, die für eine fundamental andere Wirtschafts- und Außenpolitik steht, sodass die Deutschen bei Wahlen selbst dann nicht die Möglichkeit haben, daran etwas zu ändern, wenn sie wollten.
Und wenn in Deutschland mal eine Partei entsteht, die eine andere Politik will, dann wird sie von allen deutschen Medien als radikal und extremistisch dargestellt und alle "etablierten" Parteien verweigern jedwede Zusammenarbeit mit ihr. So war es beispielsweise mit den Grünen (als sie noch "echte" Grüne waren) in den 1980er-Jahren, als die Grünen aus der NATO aussteigen wollten. Erst als Joschka Fischer die Grünen auf die transatlantische Linie gebracht hat, durften sie 1998 an die Regierung und haben auch prompt dabei geholfen, die Bundeswehr in den ersten illegalen Angriffskrieg der Nachkriegsgeschichte gegen Jugoslawien zu schicken.
Wer lenkt die "Demokratie"?
In Deutschland ist offensichtlich, wer die deutsche "Demokratie" lenkt, denn die Bundesregierung sagt ja bei wichtigen Themen offen, dass sie sich mit dem "Verbündeten" USA abstimmen müsse, bevor sie eine Entscheidung trifft. Sie könnte auch ehrlicher sein und erklären, dass sie auf Anweisungen aus Washington wartet.
Das klingt für Sie übertrieben?
Dann will ich daran erinnern, was Bundeswirtschaftsminister Habeck bei seinem Antrittsbesuch in den USA gesagt hat. Zu seinem Antrittsbesuch bei seinen Vorgesetzten in Washington hat er das Anfang März 2022 nämlich offen gesagt, worüber zum Beispiel der Focus seinerzeit berichtet hat:
"Je stärker Deutschland dient, umso größer ist seine Rolle." Diese Worte sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck bei seinem zweitägigen Besuch in Amerika. In den USA sei man erfreut, dass Deutschland bereit sei, "eine dienende Führungsrolle auszuüben".
Habeck sieht es als seine Aufgabe als deutscher Wirtschaftsminister an, den USA "führend zu dienen", was bedeutet, dass Deutschlands Aufgabe darin besteht, den Willen der USA in der EU zu unterstützen oder zum Beispiel Deutschland gegen seinen wichtigsten Handelspartner China in Stellung zu bringen. Oder dafür zu sorgen, dass die USA endlich ihr Fracking-Gas in der EU verkaufen können, was seit zehn Jahren eines der wichtigsten Ziele der US-Politik in Europa war.
Wenn man Habecks Arbeit aus dieser Sicht, also aus Sicht der US-Interessen, betrachtet, macht er einen hervorragenden Job.
Wenn Deutschland aber nur ein Erfüllungsgehilfe der USA ist – womit wir wieder bei der "Kontinuität" der deutschen Außenpolitik wären, die nicht geändert werden kann -, ist die interessante Frage, wer denn die Politik der USA lenkt, der Deutschland dienen soll, wie Habeck es ehrlicherweise formuliert hat.
Wer die "Demokratie" der USA lenkt
Diese Frage habe ich gerade erst in einem Artikel über die neuen Anklagepunkte gegen Trump beantwortet und ich wiederhole es gerne noch einmal. Die USA wurden schon als korrupte Oligarchie gegründet und sind das bis heute geblieben. Das ist keineswegs übertrieben, wie ein Blick auf die Gründungslegende der USA zeigt.
Die Legende besagt, dass der Unabhängigkeitskrieg der USA mit der Boston Teaparty begonnen hat, die ein Protest der Menschen gegen die britische Kolonialherrschaft war. Das stimmt so jedoch nicht.
In Wahrheit ist der Teaparty ein Streit um Steuern und Zölle vorausgegangen. Und es ging dabei nicht um Steuern und Zölle, die die einfachen Leute bezahlen mussten. Denen konnte das Thema herzlich egal sein. Die Steuern und Zölle betrafen die Gutsbesitzer und Plantagenbesitzer in den britischen Kolonien in Amerika. Das waren zu der Zeit die Oligarchen in Amerika. Und die haben dann über ihre Zeitungen die Unzufriedenheit geschürt, die schließlich zum Unabhängigkeitskrieg geführt hat.
Die Zeitungen haben daher nicht geschrieben, dass die Steuern, die die Gutsherren in den amerikanischen Kolonien zu zahlen hatten, viel niedriger waren als die vergleichbaren Steuern von Gutsherren im britischen Mutterland. Stattdessen wurde die Losung "no taxation without participation" (keine Steuern ohne Teilhabe) erfunden und das Wort "Freiheit" wurde zum Zauberwort. Den einfachen Menschen wurde klargemacht, dass man frei sein müsse von der Kolonialmacht in London.
In Wahrheit ging es jedoch nicht um Freiheit für die Menschen, sondern um Steuerfreiheit für die Plantagenbesitzer (also die damaligen Oligarchen) in den amerikanischen Kolonien. Und die haben sich tatsächlich ihr System geschaffen, denn sie waren es, die sich die Verfassung und die Gesetze des neuen Staates ausgedacht und darin ihre eigene Macht festgeschrieben haben, indem sie dafür gesorgt haben, dass jeder, der ein politisches Amt antreten möchte, Wahlkampfspenden braucht – und die zahlen die Oligarchen an jene, die ihnen genehm sind, damit sie die Macht der Oligarchen, also das System, nicht gefährden, sondern schützen.
Dass die USA eine Oligarchie sind, ist nicht meine verrückte Fantasie. Das hat 2014 eine große Studie von zwei Professoren sehr berühmter US-Universitäten herausgearbeitet. Sie haben anhand tausender Meinungsumfragen geprüft, ob das, was in Washington in die Gesetze geschrieben wird, auch das ist, was die Mehrheit der US-Bürger möchte. Ergebnis: Null Prozent Übereinstimmung zwischen dem Willen der Wähler und den Gesetzen, die die gewählten Vertreter dann beschlossen haben.
Die USA sind der Studie zufolge keine Demokratie, sondern eine Oligarchie, in der einige wenige sehr reiche und mächtige Menschen entscheiden, was getan wird. Aber für die Menschen wird die Illusion einer Demokratie erschaffen.
Von der Studie haben Sie wahrscheinlich noch nie etwas gehört, denn die Medien haben darüber praktisch nicht berichtet. Wenn es um Kritik am System geht, schweigen die Medien. Kein Wunder: Sie gehören ja den Oligarchen!
Der Kreis schließt sich
Daher ist die Aussage, die Politico getroffen hat, sehr wahr: Einen "demokratischen" Staats- oder Regierungschef zu ermorden, ändert nichts an der Politik einer westlichen "Demokratie", weil die wichtigen Entscheidungen nicht von den gewählten Politikern getroffen werden. Und weil das so ist, bringen auch Wahlen nichts, solange man bei Wahlen nur "Volksvertreter" wählen darf, die für das Volk die Entscheidungen treffen. Denn in den westlichen "Demokratien" wird peinlich genau darauf geachtet, dass die Wähler über kein einziges Sachthema entscheiden dürfen – darüber entscheiden andere. Der Fachbegriff dafür lautet "repräsentative Demokratie", wobei der Begriff "gelenkte Demokratie" ehrlicher wäre.
Thomas Röper ist Herausgeber und Blogbetreiber der Webseite Anti-Spiegel. Dort wurde der Text am 03.08. erstmalig veröffentlicht.
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